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Gericht: Mädchen darf nicht in Knabenchor

Sven Töniges mit dpa
16. August 2019

Die Mutter einer Neunjährigen wollte durchsetzen, dass ihre Tochter in einem Knabenchor mitsingen darf und klagte auf Aufnahme. Nun hat ein Berliner Gericht die Klage zurückgewiesen.

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Staats- und Domchor Berlin
Bild: Imago Images/epd

Hat ein Mädchen einen Anspruch darauf, in einem Knabenchor mitzusingen? Nein, entschied nun das Berliner Verwaltungsgericht. Es hatte die Klage der Mutter einer Neunjährigen zu verhandeln, die einen Platz für ihre Tochter in dem ausschließlich von Jungen besetzten Staats- und Domchor beansprucht.

Das Recht auf Kunstfreiheit überwiege bei der Entscheidung des Chors, das Mädchen abzulehnen, befand das Gericht am Freitag. Das Klangbild des Chors habe Vorrang. Der Chor hatte dem Gericht zufolge die Absage weniger mit dem Geschlecht, als mit mangelnder Begabung des Mädchens begründet. Das Kind wäre aufgenommen worden, wenn seine Stimme dem Klangbild eines Knabenchores entsprochen hätte.

Aus Sicht der klagenden Mutter verletzte dies den Anspruch auf gleiche Teilhabe an staatlichen Leistungen. Die Zugangsbeschränkung auf Jungen diskriminiere das Mädchen unzulässig. Die Neunjährige hatte zuvor im Kinderchor der Komischen Oper Berlin und in der Domsingschule in Frankfurt am Main gesungen.

Wahlkampfthema

Auch wenn diese Frage nun erstmals juristisch verhandelt wurde, ist der Streit um ein mögliches "Mädchen-Stimmrecht" in Knabenchören nicht neu. In Dresden wurde er zuletzt zum Politikum. Die Piratenpartei forderte in ihrem Kommunalwahl-Programm, dem weltbekannten Kreuzchor- seit 800 Jahren ein reiner Knabenchor, einen gleich zu behandelnden Mädchenchor zur Seite zu stellen.

Durchsetzen konnten die Piraten ihren Vorschlag damals nicht. Der Chef des Chores, Kreuzkantor Roderic Kreile, will, dass Knabenchöre Knabenchöre bleiben. Das allein mit Tradition zu begründen, greife aber zu kurz, sagte der Musiker im Deutschlandfunk. Knabenchöre seien einfach der beste Ort, das Potenzial von Jungenstimmen zu fördern, so, wie es für Mädchen eben auch hochkarätige Mädchenchöre gebe.

Sind Stimmunterschiede angeboren oder antrainiert?

Die Frage, inwieweit sich Stimmen von Mädchen und Jungen aber überhaupt physiologisch unterscheiden, oder Unterschiede eher antrainiert sind, ist umstritten – und wurde nun auch zentral für die Verhandlung in Berlin.

Dr. Susann Bräcklein vor dem Berliner Verwaltungsgericht
Mutter und Rechtsanwältin Dr. Susann Bräcklein vor dem Berliner VerwaltungsgerichtBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Die Unterschiede zwischen Mädchen- und Jungenstimmen seien nicht so gravierend wie immer wieder dargestellt. Das hätten auch Untersuchungen ergeben, argumentierte die klagende Mutter, die zugleich auch Anwältin ihrer Tochter war. Kai-Uwe Jirka, Leiter des beklagten Staats- und Domchores, widersprach. Die Stimme eines Jungen sei bis zum Stimmbruch mit etwa 13 Jahren unvergleichbar mit der Stimme eines Mädchens, die sich früher (und nicht so extrem) verändert. Dank Körperwachstum und einiger Testosteronschübe klinge die Jungenstimme dann am schönsten – "ein letzter Schwanengesang", bevor sie ins Krächzen übergehe.

Dass Knabenchöre etwas Besonderes sind, wussten etwa auch Gustav Mahler oder Hector Berlioz, die in einigen Kompositionen ausdrücklich Knabenchöre vorgeschrieben hatten. Und im Übrigen sei der Staats- und Domchor in erster Linie keine Ausbildungsstätte, sondern ein Kunstensemble. Deswegen habe er auch als Leiter das letzte Wort, sagte Jirka.

Staats- und Domchor Berlin
Der Staats- und Domchor unter Leitung von Kai-Uwe Jirka, hier Heiligabend 2008Bild: Iimago Images/epd

Die Anwältin hält diese Begründung für vorgeschoben. Der Chor wolle eben keine Mädchen aufnehmen. Am Ende sei es doch nur eine Frage der Ausbildung, dass eine Stimme so klingt, dass sie zu einem Chor passt. Da schüttelte Chorleiter Jirka mit dem Kopf. Es mache keinen Sinn, eine Mädchenstimme so zu trimmen, dass sie wie die eines Jungen klingt. "Warum wollten das Eltern ihrer Tochter antun?", fragte er vor Gericht.

Chor-Debatte auch anderorts

Derlei Debatten sind nicht auf Deutschland beschränkt. In der zurückliegenden Weihnachtszeit, Hochsaison der Knabenchöre, forderte die britische Opernsängerin Lesley Garrett über die Zeitschrift "Radio Times", Schluss mit dem "kompletten Anachronismus" reiner Knabenchöre zu machen, und rief den Chor des King's College auf, die landesweit übertragene Heiligabend-Messe nach tausend Jahren nun für Mädchenstimmen zu öffnen.

tön/pj (dpa)