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Gerichtsstreit um Kirchenasyl beendet

Christoph Strack mit KNA, dpd
18. September 2019

Verwaltung und Justiz gehen in Deutschland strikter gegen Kirchenasyl vor. Zum ersten Mal stand nun ein Geistlicher vor Gericht, weil er Kirchenasyl gewährte. Der Prozess ist beendet, ein Urteil gibt es nicht.

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Deutschland | Pfarrer wegen Gewährung von Kirchenasyl vor Gericht
Pfarrer Ulrich Gampert sitzt auf der AnklagebankBild: picture-alliance/dpa/B. Liss

In Deutschland sitzt ein christlicher Geistlicher wegen der Gewährung von Kirchenasyl auf der Anklagebank - und der betroffene Flüchtling, ein Afghane, gleich mit. Doch das von Experten mit Spannung beobachtete Verfahren ging ohne Urteil aus.

Pfarrer Ulrich Gampert aus Immenstadt im Allgäu und seine Kirchengemeinde hatten den Migranten mehr als ein Jahr lang im Kirchenasyl beherbergt. Die Justiz warf ihm deshalb Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt vor.

Gampert hatte zunächst einen Strafbefehl über 4000 Euro erhalten. Weil er dagegen Einspruch einlegte, landete der Fall vor Gericht. Nach Einschätzung von Experten wurde damit erstmals in Deutschland ein Geistlicher wegen der Gewährung von Kirchenasyl vor Gericht zitiert und angeklagt. Auch der betroffene Flüchtling, Reza Jafari, hatte einen Strafbefehl erhalten und dagegen Einspruch eingelegt. Laut dem Gerichtsbeschluss muss er nun 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

Deutschland | Pfarrer wegen Gewährung von Kirchenasyl vor Gericht
Ebenfalls auf der Anklagebank: Flüchtling Reza Jafari (m.)Bild: picture-alliance/dpa/Bildfunk/B. Liss

Geringe Schuld

Die Vorsitzende Richterin des Amtsgerichts im bayerischen Sonthofen sah nun nur eine geringe Schuld und stellte das Verfahren gegen den 64-jährigen Pfarrer ein. Allerdings muss er, den Vertraute als ruhig und zurückhaltend beschreiben, an eine gemeinnützige Einrichtung eine Geldbuße in Höhe von 3000 Euro zahlen, auf die sich alle Beteiligten verständigten. Juristisch interessant ist, dass zu der Einstellung des Verfahrens keine Revision möglich ist.

Die Evangelische Landeskirche in Bayern zeigte sich nach der Entscheidung "froh und erleichtert". Der in der Kirchenleitung für Asyl zuständige Oberkirchenrat Michael Martin betonte jedoch, "als Landeskirche hätten wir gerne eine grundsätzliche Klärung bekommen, ob die Gewährung von Kirchenasyl Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ist".

Deutschland | Pfarrer wegen Gewährung von Kirchenasyl vor Gericht
Getragen von der Solidarität vieler Kolleginnen und Kollegen - der Pfarrer vor seiner Kirche in ImmenstadtBild: picture-alliance/dpa/B. Liss

Der Rechtsstreit bewegt viele engagierte Kirchengemeinden. So gab es Ende Juli in Kempten, der nächstgrößeren Stadt neben Immenstadt und Sonthofen, Szenen, die man in Deutschland selten zuvor sah. Da zogen rund hundert Geistliche und Kirchenvertreter verschiedener Konfessionen in liturgischen Gewändern im Schweigemarsch durch den Ort. "Kirchenasyl ist nicht kriminell!", hieß es auf Schildern. Oder "Jeder hat das Recht, vor Verfolgung Asyl zu genießen". 

Der Streit wird schärfer

Im "Fall Gampert" bekommt ein seit Jahren schärfer werdender Streit um das Kirchenasyl eine neue Dimension. Seit den 1980er Jahren gewähren Kirchengemeinden in Einzelfällen Menschen, die von Abschiebung bedroht sind, Schutz. Mit diesem Handeln widersetzen sie sich geltender Rechtslage, aber sie berufen sich auf die humanitäre Notlage. Doch immer wieder kritisieren Politiker diese Praxis. Und in einer Reihe von Fällen drangen Sicherheitskräfte auch in kirchliche Räume ein und beendeten den Schutz von Flüchtlingen.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in NürnbergBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Nach kirchlichen Angaben gewährten in Bayern zuletzt Kirchengemeinden in rund 80 Fällen Kirchenasyl, 35 davon in evangelischen Einrichtungen. Nicht selten sind dies Menschen aus Afghanistan, die die Abschiebung in ihre Heimat oder die Rückführung in ein anderes Land mit deutlich strikterer Abschiebepraxis als Deutschland fürchten. Bundesweit sind es mehrere hundert Fälle. 

"Law-and-Order"

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) drängt verstärkt auf Abschiebungen auch aus Kirchenasyl und verweist dazu auf ein Mitte 2018 in Kraft getretenes Verfahren. Kirchliche Experten kritisieren das scharf. "Wer seinen Kopf noch auf den Schultern trägt, ist in den Augen des BAMF kein Härtefall", urteilte kürzlich die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche", die evangelische Pastorin Dietlind Jochims. An diesem Mittwoch sagte sie der Deutschen Welle, der Prozess gegen Pfarrer Gampert zeige "ganz exemplarisch" ein akutes Problem.

Dietlind Jochims Flüchtlingspastorin der Nordkirche Norddeutschland Porträt
Dietlind Jochims, evangelische PfarrerinBild: Stefan Hesse

Bei der Auslegung des Begriffs Rechtsstaat zeige sich eine Entwicklung "von der Menschenfreundlichkeit des Rechts" hin zur "Härte des Rechts" und zu einer "Law-and-order-Mentalität von Rechtsstaat", die Expertinnen und Experten breiter diskutieren müssten. Fragt man andere Geistliche, die sich in aktuellen Fällen von Kirchenasyl engagieren, teilen sie die Empörung von Jochims über den Kurs des Bundesamts und der Gerichte.

Pfarrer Gampert zeigte sich nach der Verhandlung über die Einstellung des Verfahrens erleichtert. Wichtig sei ihm, dass er lediglich eine Geldbuße zahlen müsse - "und dass das nicht heißt, dass es grundsätzlich strafbar ist, Kirchenasyl zu gewähren oder in Anspruch zu nehmen".

Ein Dank

Das aktuelle Informationsblatt seiner Gemeinde zeigt direkt neben einem Foto der im Schweigemarsch demonstrierenden Pfarrer und Pfarrerinnen ein weiteres Bild. Es zeigt einen jungen Mann mit einem Lächeln im Gesicht. Darunter steht: "Reza Jafari bedankt sich für die Zeit im Kirchenasyl." Er konnte das Kirchenasyl schon vor Monaten verlassen, nachdem der Petitionsausschuss des bayerischen Landtags einen Abschiebestopp beschlossen hatte. Aber der läuft im November aus.