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Kunst

Kultur-Kraftwerk: Moskaus spektakuläres GES-2

Emily Sherwin
4. Dezember 2021

Gegenüber vom Kreml wurde ein Kraftwerk in ein Kulturzentrum verwandelt. Finanziert hat es der reichste Mann Russlands - mit dem Anspruch, die Stadt zu verwandeln.

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Zentrum für zeitgenössische Kunst GES-2. Davor steht die Skupltur "Big Clay" von Urs Fischer.
Neues Zentrum für zeitgenössische Kunst in den alten Hallen des Kraftwerks GES-2 am Ufer der MoskwaBild: DIMITAR DILKOFF/AFP

"Keine Angaben" lautet die trockene Antwort der Pressesprecher vonGES-2, des neuen Kulturmagnets im Zentrum von Moskau, auf die Anfrage der DW, was das Projekt gekostet hat.

Die 36.000 Quadratmeter große Ausstellungsfläche im Herzen der russischen Hauptstadt, verteilt auf mehrere Gebäude auf einem mehr als zwei Hektar großem Grundstück, dürfte ein enormes Budget verschlungen haben. Erst recht, wenn man bedenkt, dass das majestätische, aber marode und stillgelegte Kraftwerk aus dem frühen 20. Jahrhundert von keinem Geringeren als dem berühmten italienischen Architekten Renzo Piano zu neuem Leben erweckt wurde. Laut der offiziellen Agenda soll GES-2 - so der beibehaltene frühere Name des Kraftwerks, das vor allem das Moskauer Straßenbahnnetz versorgte - nun kreative Energien in die Adern der russischen Metropole speisen.

Vladimir Putin mit Leonid Mikhelson und Teresa Mavica bei der Begehung des neuen Kulturzentrums. Links im Bild - Moskauer Bürgermeister Sergei Sobyanin
Prominenter Besucher: Russlands Regierungschef Putin mit Financier Michelson und Kulturmanagerin MavicaBild: Mikhail Metzel/POOL/TASS/dpa/picture alliance

Vor dem Eingang stehend blickt der Besucher direkt zum nur wenige hundert Meter entfernten Kreml, der gegenüber auf der anderen Uferseite der Moskwa liegt. Somit hatte Präsident Putin keinen weiten Weg, um als erster Gast das Gebäude zu besichtigen. Schnellen Schrittes lief der russische Staatschef durch die lichten Räume, klimperte gar eigenhändig einige Töne auf dem neuen Steinway-Flügel im Konzertsaal und lieferte den russischen Medien das Kulturthema des ausklingenden Jahres: In Moskau ist das russische "Centre Pompidou"eröffnet worden. Star-Architekt Renzo Piano hat schließlich seinerzeit auch das Kulturzentrum in Paris, benannt nach dem französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou, gebaut.

Auch im Bereich zeitgenössische Kunst zeigt man sich nun in Russland - wie bereits im Weltall oder Ballett - an der Spitze der Weltavantgarde. "Auftrag erfüllt" heißt das für Leonid Michelson, der als reichster Mann Russlands gilt und das Projekt finanziert hat. Michelson leitet den von ihm gegründeten, privaten Gaskonzern "Novatek", hat sich aber auch einen Namen als Mäzen und Sammler gemacht. Michelsons Vermögen beträgt laut dem Wirtschaftsmagazin "Forbes" mehr als 24 Milliarden Dollar. Ein Gerhard Richter-Gemälde soll über seinem Schreibtisch hängen.

Innenraum von "GES-2" in Moskau
Lichter, offener Raum: Neugestaltung des ehemaligen Industriegebäude GES-2 von Renzo Piano und seinem TeamBild: Maxim Shemetov/REUTERS

Teresa Mavica, Italienerin und studierte Sowjetologin, leitet Michelsons Kunststiftung "V-A-C", die hinter dem Projekt steht. Die Kunst-Fachfrau an der Seite des Oligarchen gilt als graue Eminenz der russischen Kulturszene. Die Stiftung ist seit einem Jahrzehnt unter anderem in Venedig und London tätig. Nun geht es nach Moskau - so auch der Titel einer der ersten Ausstellungen: "Nach Moskau, nach Moskau, nach Moskau", wie einst die drei Schwestern im gleichnamigen Drama von Anton Tschechow schwärmten. Der Link zur russischen wie sowjetischen Kultur-Vergangenheit mit ihrer Gloria und Nostalgie ist zentral für die Ausrichtung des neuen Kulturzentrums.

Ein "Haus der Kultur" 3.0

Es soll kein Museum im klassischen Sinne werden, sondern eine Art Begegnungs- und Produktionsstätte für die russische und internationale Kulturszene. Man hat sich auf den alt-sowjetischen Begriff "Haus der Kultur" kapriziert, was aber nun neu gedeutet werden soll. "Ich will hier ein Haus etablieren, das für alle offen ist", verkündete Teresa Mavica den Journalisten bei der Eröffnung. Ein hochdotiertes internationales Kuratoren-Team, angeführt vom künstlerischen Leiter Francesco Manacorda, ebenfalls Italiener und früher an der Tate Liverpool tätig, soll Bereiche wie visuelle und performative Kunst, modernen Tanz und zeitgenössische Musik einem breiten Publikum nahebringen.

Moskauer Kraftwerk Nummer 2 auf einem historischen Foto aus 1913
Einst ein Tempel der Industrialisierung: Kraftwerk Nummer 2 auf einem historischen Foto von 1913Bild: gemeinfrei

Der von Renzo Piano gestaltete Gebäudekomplex bietet dafür alle Möglichkeiten: Er verfügt über hochmoderne Kino- und Konzertsäle, verwandelbare Ausstellungsräume, Künstlerwohnungen und Ateliers, Cafés und Restaurant, eine für alle zugängliche Bibliothek und einiges mehr. "Eines der Schlüsselelemente dieses Gebäudes war es, die Trennung zwischen der Stadt und dem Gebäudeinneren aufzuheben, Transparenz zu schaffen und alle möglichen Grenzen und Mauern zu beseitigen. Wir wollen dasselbe zwischen den Disziplinen tun. Wir wollen sicherstellen, dass Poesie, Film und bildende Kunst miteinander sprechen können", so Manacorda gegenüber der DW. Der Besuch ist kostenlos.

Renzo Piano schwärmte vor den Journalisten vom tollen russischen Auftraggeber, der alles tat, um die Ideen des Architekten zu verwirklichen: "Um ein gutes Gebäude zu bauen, braucht man eben einen guten Kunden."

Kultur-Kraftwerk gegenüber vom Kreml

Schon zur Eröffnung an den ersten Dezembertagen gab es in Anwesenheit der russischen und internationalen Kulturprominenz einen regelrechten Reigen von spannenden Kulturevents. Unter anderem startete der isländische Performance-Künstler Ragnar Kjartansson eine für die nächsten 100 Tage angelegte Live-Neuverfilmung der US-amerikanischen Soap-Opera "Santa Barbara", die sich im postsowjetischen Russland der 1990er-Jahren zum Kult entwickelte. Auch zahlreiche Education- und Weiterbildungsprogramme sind am Start. Ja, es gäbe einige Einschränkungen bei der Kunstproduktion in Russland, meinte Kjartansson. Er sehe die aber eher als Herausforderung an.

Darsteller bei der die Neuverfilmung der Serie "Santa Barbara"
Nostalgisch: Neuverfilmung der Kult-Serie "Santa Barbara" ist als eine Art "lebendige Skulptur" zu verstehenBild: Emily Sherwin/DW

Die russische Kulturszene jubelt mehrheitlich dem neuen mächtigen und zahlkräftigen Player entgegen. "Je mehr Projekte es dieser Art gibt, desto spannender und offener wird das gesellschaftliche Leben", meint etwa der in Berlin lebende Komponist Sergej Newski im DW-Gespräch, der auch das Musik-Programm des neuen Kulturzentrums mitgestaltet. "Aktuelle Kunst findet hier eine systematische institutionelle Unterstützung."

Etwas reservierter äußerte sich der renommierte Galerist Marat Gelman gegenüber den Reportern: "Putin und seine Regierung träumen davon, dass sie die Politik einfrieren und gleichzeitig die Wirtschaft oder die Kunst weiterentwickeln können", sagte Gelman. "Das sieht aus wie Schizophrenie." Gelman lebt zur Zeit mit seiner Familie in Montenegro. Zur Eröffnung der GES-2 war der als regierungskritisch geltende Kunstmanager dennoch persönlich angereist.