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Geschädigte Heimkinder warten noch

19. Januar 2011

Der Runde Tisch Heimerziehung empfiehlt die Einrichtung eines Millionenhilfsfonds für missbrauchte Kinder in Waisenheimen. Pauschalzahlungen werden ausgeschlossen. Eine Entscheidung, die auch auf Kritik stößt.

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Schwarz-Weiß Photographie Spielende Kinder in einem Waisenheim aus den 50er Jahren (Foto: picture-alliance)
Die Idylle trügt: Spielende Kinder in einem deutschen Waisenheim der 50er JahreBild: picture-alliance/akg-images

Der Runde Tisch Heimerziehung hat am Mittwoch (19.01.2010) seinen Abschlussbericht an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) übergeben. Darin empfiehlt das Gremium unter Leitung der Grünen-Politikerin Antje Vollmer die Einrichtung eines Hilfsfonds für geschädigte Heimkinder im Umfang von mindestens 120 Millionen Euro.

Tausende Geschädigte hoffen auf Unterstützung

700.000 bis 800.000 Kinder und Jugendliche wuchsen zwischen den 1940er und 1970er Jahren in der damaligen Bundesrepublik in Heimen auf. Mehr als die Hälfte der Einrichtungen befand sich in kirchlicher Trägerschaft.

Auf einer Tagung in Hannover 2009 zeigen sich ehemaligen Mitarbeiter kirchlicher Heime und ehemalige Heimkinder gemeinsam vor einem Kunstwerk von Gudrun Adrion(Foto: dpa)
Ehemalige Mitarbeiter und Heimkinder vor einem Werk der Künstlerin Gudrun AdrionBild: picture-alliance/dpa

Der Runde Tisch kam nach zweijähriger Arbeit jetzt zu dem Ergebnis, dass den Heimkindern in dieser Zeit vielfach schweres Unrecht angetan wurde. Neben Demütigungen und Gewalt, sei es dabei auch zu sexuellen Übergriffen, Freiheitsentzug und Arbeitszwang gekommen.

Mit dem Fonds soll den Betroffenen nun geholfen werden. Unklar ist allerdings noch, wie viele ehemalige Heimkinder letztendlich auch ein Anrecht auf Entschädigungszahlungen haben. Einige Tausend sollen sich in den vergangenen zwei Jahren beim Büro des Runden Tisches und weiteren Anlaufstellen gemeldet haben.

Gremium stetzt auf individuelle Entschädigungszahlungen

Das Geld aus dem Hilfsfonds soll den Opfern der Heimerziehung unter anderem in Form von Rentenausgleichszahlungen zu Gute kommen, so die Empfehlung des Runden Tisches Heimerziehung. Auch Unterstützungen zur Behebung von Folgeschäden, wie beispielsweise Trauma-Therapien, sollen durch den Fonds finanziert werden. Die Höhe der Entschädigungszahlungen soll dabei immer von Fall zu Fall berechnet werden.

Die Vorsitzende des Runden Tisches und Grünen-Politikerin Antje Vollmer (Foto: dapd)
Antje Vollmer, hofft auf eine schnelle Umsetzung des geplanten HilfsfondsBild: dapd

Die bundesweite, telefonische Anlaufstelle des Runden Tisches in Berlin soll ebenfalls weiter gefördert werden. Wie ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums mitteilte, wird die Arbeit der zentralen Anlaufstelle um ein weiteres Jahr verlängern.

Der Bund, die elf westlichen Bundesländer sowie die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland sollen sich jeweils zu einem Drittel an dem Hilfsfonds beteiligen. Über dessen Einrichtung entscheiden Bundestag und Bundesrat. Unsicher ist, ob es noch in diesem Jahr zu einer Umsetzung der geplanten Hilfen kommen wird.

Kirchen drängen auf schnelle Hilfe

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hofft auf eine schnelle und möglichst unbürokratische Umsetzung der im Abschlussbericht enthaltenen Empfehlungen. Der Präsident des Kirchenamtes der EKD, Hans Ulrich Anke, erklärte, die evangelische Kirche und ihre Diakonie würden sich jeder Verzögerung bei der Realisierung des geplanten Hilfsfonds für ehemalige Heimkinder energisch entgegenstellen.

Auch der Sekretär der katholischen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, mahnte, viele der Betroffenen warteten schon lange auf Hilfe. Es dürfe daher nicht zu unnötigen Verzögerungen kommen.

Beide großen Kirchen in Deutschland haben sich bereits zu ihrer Verantwortung bekannt. Sie sehen nun Bund und Länder in der Pflicht, ebenfalls entsprechende Zusagen für ihren Anteil an dem geplanten Hilfsfonds zu machen.

Unzufriedenheit bei den Betroffenen

Ehemalige Heimkinder protestieren mit Puppen und Plakaten (Foto: dpa/lbn)
Das Schweigen brechen: Ehemalige Heimkinder protestierten im Frühjahr 2010Bild: picture alliance / dpa

Der Sprecher der ehemaligen Heimkinder in Niedersachsen, Jürgen Beverförden, zeigte sich unzufrieden mit dem Abschlussbericht des Runden Tisches. Er bedauere, dass das Gremium individuelle Hilfen empfehle, anstelle der von den Opfern geforderten pauschalen Zahlungen, sagte Beverförden der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Er kündigte an, sich weiter für eine Pauschallösung mit "auskömmlichen Renten" und Einmalzahlungen einsetzen zu wollen: "Wenn es meine Gesundheit zulässt, gehe ich mit Freunden die Ochsentour. Wir werden Klage in Straßburg einreichen."

Auch viele der Betroffenen selbst sind mit den präsentierten Ergebnissen unzufrieden. Sie fordern eine pauschale Opferrente von monatlich 300 Euro oder eine Einmalzahlung von 54.000 Euro für jeden Geschädigten. Nach Berechnungen der Opfervertreter sehen die Empfehlungen des Runden Tisches dagegen nur Zahlungen von höchstens 4000 Euro pro Person vor.

Autoren: Stephan Stickelmann, Tanja Schmidt (afpd, dpa, epd, kna)
Redaktion: Susanne Eickenfonder