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Bedrohte Arbeit

Claudia Auer19. Oktober 2006

Nichtregierungsorganisationen haben oftmals andere Zielvorstellungen als die jeweiligen Regierungen. In Russland sieht sich die staatliche Macht zuweilen von NGOs angegriffen und reagiert mit Behinderungen.

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Protest gegen das neue Registrierungsgesetz für Nichtregierungsorganisationen
Proteste begleiteten die Verkündung des neuen Registrierungsgesetzes für NichtregierungsorganisationenBild: AP

"Polizei im Moskauer Büro. Wir werden besetzt". Als Gerhard Wallmeyer, Vorstandsmitglied von Greenpeace Russland, im März 1999 die Mail seiner Kollegen aus dem russischen Büro erhält, ist er alarmiert. Das Komitee gegen Terrorismus nahm das Büro der Umweltorganisation unter die Lupe. Die Begründung: Aufhebung eines terroristischen Netzwerks. Nach vier Stunden und persönlichem Einsatz des Moskauer Bürgermeisters zogen die Truppen wieder ab. Später stellte sich heraus: Die Durchsuchung war gegen eine Aktion von Greenpeace gegen den Bau einer Müllverbrennungsanlage in Moskau gerichtet. Die Betreiber hatten das Komitee auf terroristische Aktionen bei Greenpeace aufmerksam gemacht. Ohne gerichtliche Papiere marschierten die Truppen in das Büro der Nichtregierungsorganisation (NGO). Ausrichten konnten sie damit nichts.

Vorbereitet sein

Sieben Jahre ist das her und für Wallmeyer hat sich nicht viel verändert: Wird eine Nichtregierungsorganisation unbequem, finden sich in Russland Mittel und Wege der Behinderung. Wichtig ist, wer gerade wo das Sagen hat. Denn: "Die Befehle kommen nicht immer von ganz oben. Es gibt viele Partikularinteressen der Behörden - und die haben ihre Polizei", erklärt Wallmeyer. "Als NGO muss man in Russland immer vorbereitet sein. Man muss wissen, was man im Falle eines Falles zu tun hat".

Plakat von Amnesty International zur Solidarität mit Russland
Die Gesetzgebung macht die Arbeit der NGOs wie Amnesty International schwer

Solche Fälle kennen die ausländischen NGOs in Russland zur Genüge. "Wird eine NGO unbequem, findet sich bei irgendeiner Gesetzgebung immer ein Hebel, eine NGO zu verbieten", sagt Peter Franck, Russland-Experte von Amnesty International. Das größte Problem für die ausländischen Nichtregierungsorganisationen sind die nebulösen gesetzlichen Vorgaben. Begriffe werden nicht näher erläutert und sind für die jeweilige Behörde scheinbar willkürlich interpretierbar. "Oftmals sind die Gesetze schwammig formuliert, wir müssen sie aber bis ins Detail umsetzen", erläutert Wallmeyer. "Wird man ungemütlich, wird ein Gesetz so ausgelegt, als hätte man es nicht bis auf den I-Punkt eingehalten."

Machtkontrolle unerwünscht

"Der Raum der NGOs ist da, wo Politik nicht selbst tätig wird. Sobald ein politischer Bereich berührt wird, ist die Sensibilität zu groß", erklärt Franck. Da ist die Grenze, wo der Staat seine Macht bedroht sehe. Alles, was den eigenen Machtapparat kontrollieren könne, werde argwöhnisch betrachtet. NGOs, die in sozialen Bereichen tätig seien, hätten daher weniger Probleme mit den Behörden. Hart treffe es hingegen immer mal wieder die Menschenrechts- und Umweltorganisationen.

Großaufwand Registrierung

Greenpeace Kampagnen Geschäftsführer Roland Hipp (l) und Greenpeace Gründungsmitglied Gerhard Wallmeyer stehen im Hamburger Hafen vor dem Greenpeace-Schiff "Beluga II´"
Georg Wallmeyer (rechts im Bild) will abwarten, was das neue Registrierungsgesetz in sich birgtBild: picture-alliance/dpa

Besorgniserregend entwickelt sich die Situation für die NGOs seit im April 2006 ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen in Kraft getreten ist. Bis zum 18.10.2006 mussten sich die etwa 200 ausländischen Nichtregierungsorganisationen neu registrieren lassen. Für diese bedeutet das ein enormer Verwaltungsaufwand. Die NGOs sollen zur Registrierung Unterlagen bereitstellen, die die Geschichte der Organisation dokumentieren. Die Anmeldungsprozedur sei sehr kompliziert, kritisierte Jens Siegert vom Moskauer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. "Es muss ein ganzer Dschungel an Dokumenten abgegeben werden." Erschwert werde der Prozess zudem durch die Öffnungszeiten der zuständigen Behörde. Drei Stunden pro Woche kümmerten sich dort die Beamten um die Belange der gestressten Antragsteller.

Argwöhnisch blicken die NGOs nun auf die weitere Entwicklung. Denn auch die Ablehnungsgründe sind fadenscheinig formuliert. Franck von Amnesty: "In der Richtlinie steht, dass die NGOs nicht registriert werden, die Ziele verfolgen, die eine Bedrohung für den Souverän, die politische Unabhängigkeit, die territoriale Unverletzlichkeit, die nationale Einheit und Eigenart, das kulturelle Erbe oder die nationale Föderation Russlands darstellen. Keiner weiß, was das genau heißen soll".

Einige NGOs haben schon Bescheid bekommen: Sie dürfen bleiben. Alle anderen müssen warten. Was nun? Darauf weiß keiner so recht eine Antwort. "Es gibt Signale von den Behörden, dass wir weiterarbeiten können, uns aber nicht nach außen richten dürfen, bis die Entscheidungen getroffen sind. Doch was heißt nun wieder nach außen richten? Kann ich noch meine Mails beantworten?", fragt sich Peter Franck.

Ambivalente Politik

Wallmeyer sieht die Lage jedoch nicht nur negativ. Ambivalent, so bezeichnet er das Verhalten der Regierung gegenüber den NGOs. Einerseits würde die Arbeit beeinträchtigt werden, andererseits zeige Präsident Putin Interesse an den Organisationen, habe sich während des G8-Gipfels in St. Petersburg (Juli 2006) ausführlich mit ihnen auseinandergesetzt. "Greenpeace kann hier in Russland wirklich viel bewirken. Die Regierung interessiert sich für manche Gebiete und Themen nicht. Da gibt es ein Machtvakuum, in dem die NGOs viel bewirken können", zeigt Wallmeyer auch die andere Seite auf.

Falk Bomsdorf ist ganz anderer Meinung. Der Leiter des russischen Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung sieht seine Arbeit nicht beeinträchtigt. "Man kann nicht sagen, dass das System gegen uns vorgeht", sagt er. Auch das neue Registrierungsgesetz mache ihm keine Sorgen: "Da hat man uns gesagt, es läuft alles, und es läuft auch alles."

Die anderen warten da lieber ab. Man weiß ja nie. Denn was auf dem Blatt Papier steht, kann in der Realität etwas ganz anderes bedeuten.