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Gestresste Gene

27. August 2010

Können Gefühle unser Erbgut verändern? "Ja!", meint Florian Holsboer. Der Münchener Depressionsforscher untersucht, welchen Einfluss Stress auf unsere DNS haben kann. Seine Versuchsmodelle: neugeborene Mäuse.

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Schatten einer Frau die sich an den Kopf fasst (Foto:Bilderbox)
Bild: Bilderbox

DW-WORLD.DE: Herr Holsboer, die Epigenetik beschäftigt sich mit der Auswirkung äußerer Einflüsse und Erfahrungen auf unser Erbgut. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diesen noch sehr jungen Forschungszweig mit Depressionen zu verbinden?

Florian Holsboer, Leiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München: Wir wissen, dass Menschen, die eine traumatische Erfahrung machen, hinterher oft nicht mehr dieselben sind. Ob das Soldaten sind, die im Afghanistankrieg waren, oder Kinder, die missbraucht wurden. Dass es eine Verbindung zwischen äußeren Einflüssen und Depressionen geben muss, ist klar. Aber wie diese Verbindung genau aussieht und wie solche Erfahrungen den Menschen auf der physiologischen Ebene beeinflussen und verändern können, das wussten wir nicht - und das hat uns interessiert.

Und was haben Sie herausgefunden?

Um festzustellen, was sich im Gehirn und auf den Genen von traumatisierten Menschen abspielt, haben wir zunächst Untersuchungen mit Mäusen gemacht. Wir haben untersucht, was passiert, wenn man neugeborene Mäuse über mehrere Tage hinweg jeweils einige Stunden von ihren Müttern trennt.

Welche Auswirkungen hat das?

Was wir beobachten konnten, war, dass der Stress bei den Mäusen zu einem erhöhten Hormonspiegel führt. Und zwar lagen genau die Hormone in einer erhöhten Konzentration vor, die wir auch bei unseren depressiven Patienten in einer erhöhten Dosis vorgefunden hatten. Die DNS selbst war nicht verändert, aber die epigenetischen Marker. Das sind kleine Moleküle, die wie Schalter auf der Erbsubstanz sitzen und die Aktivität der Gene steuern. Diese Marker waren durch das Trauma verändert worden.

Florian Holsboer im Labor (Foto:MPI für Psychiartie, München)
Florian Holsboer im LaborBild: MPI

Die Veränderung der Genaktivität hat also zu einer erhöhten Hormonproduktion geführt?

Genau. Der Stress aufgrund der Trennung von der Mutter hat bei den Tieren zu Änderungen auf dem Erbgut geführt, die wiederum zu einer Konzentrationserhöhung von genau den Hormonen geführt haben, die an der Auslösung von Depressionen beteiligt sind.

Die Mäuse haben Depressionen bekommen?

Wir können eine Maus natürlich nicht fragen, ob sie depressiv ist. Aber wir können ihr Verhalten beobachten und auf menschliche Situationen übertragen. Die vernachlässigten Mäuse sind zum Beispiel ängstlicher als ihre Artgenossen. Sie essen weniger, haben seltener Sex und bewegen sich auch viel weniger. Alles Verhaltensweisen, die wir auch von Menschen mit Depressionen kennen.

Außerdem ist das Säugetierhirn in seinen Grundmechanismen über alle verschiedenen Lebensformen hinweg gleich. Das mag einen nicht so fröhlich stimmen, aber der Unterschied zwischen einem Mäuse- und einem Menschengehirn ist gar nicht so groß.

Wie ist denn der derzeitige Stand Ihrer Forschungen?

Wir wissen, dass nicht jede Depression die gleiche Ursache hat. Im Gegenteil: Wir fassen unter dem Begriff eine Vielzahl von Erkrankungen zusammen, die ganz unterschiedliche Verursachungsmechanismen haben. Jetzt wird uns langsam klar, dass die verschiedenen Einflüsse sich ganz unterschiedlich auf den Körper auswirken: Bei dem Einen ist Hormon A in der Konzentration verändert, beim Anderen Hormon B und beim Dritten sind die Hormonkonzentrationen zwar normal, aber die Menge der Botenstoffe im Gehirn ist verändert.

Aber nicht jeder, der ein Trauma hat, bekommt Depressionen. Woran liegt das?

Menschen sind unterschiedlich. Manche sind einfach widerstandsfähiger als andere. Diese Widerstandsfähigkeit kann eine rein genetische sein, sie kann aber auch epigenetisch sein. Denn Erfahrungen und äußere Einflüsse können sich natürlich auch positiv auf die Gene auswirken und den Menschen für Krisensituationen stärken.

Kugelmodell der DNS-Doppelhelix (Foto:AP)
DNS DoppelhelixmodellBild: AP

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Behandlung von Depressionen in Zukunft ändern?

Da wir allmählich lernen, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Depressionsformen zu erkennen, wird uns die Zukunft ganz sicher spezialisiertere Behandlungsmethoden bringen. Nicht mehr ein Breitbandmedikament für alle, sondern individuelle Therapien und Medikamente.

Wird auch international auf dem Gebiet von Depression und Epigenetik geforscht?

Ja, es gibt einige internationale Ansätze. Aber ich kann sagen, dass das Max-Planck-Institut für Psychatrie in München auf diesem Gebiet führend ist und eine Vorreiterrolle hat.

Können epigenetischen Veränderungen wie diejenigen, die zu Depressionen führen, auch vererbt werden?

Das ist eine sehr interessante Frage, die lange Zeit von der Genetik verneint wurde. Bisher dachte man, dass epigenetische Veränderungen spätestens mit der Zellteilung wieder verloren gehen, dass die Weitergabe von Erfahrungen über das Erbgut also nicht möglich ist. Mittlerweile gibt es aber eindeutige Hinweise, die in die andere Richtung gehen. Es gibt Studien, in denen nachgewiesen wurde, dass sich sogar die Lebensbedingungen der Großeltern noch im Erbgut der Enkel widerspiegeln können. Wie das genau funktioniert, wissen wir aber heute noch nicht.

Interview: Sophia Wagner
Redaktion: Judith Hartl