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Wie sieht das europäische Ausland die große Koalition?

Jeanette Seiffert27. November 2013

Endlich steht der Koalitionsvertrag zwischen den Unionsparteien und der SPD. Im europäischen Ausland ist die große Koalition grundsätzlich beliebt - aber nicht überall ist man begeistert über Details der Vereinbarungen.

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Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer (Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images)
Bild: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images

Die europäischen Börsen jedenfalls haben positiv auf die Einigung in Deutschland reagiert. Der Kurs des Euro stieg leicht an, auch der Eurostoxx50, der die wichtigsten Aktien in Europa bewertet, legte um 0,2 Prozent zu. Doch das lag vermutlich nicht allein am Inhalt des Koalitionsvertrags, sondern auch an der Tatsache, dass sich SPD, CDU und CSU überhaupt endlich auf die wichtigsten Punkte einer gemeinsamen Regierung geeinigt haben.

Quälend lange haben sich die deutschen Koalitionsverhandlungen hingezogen. Denn eines war den Regierungen in Paris, London, Warschau und Co. klar: In der Europapolitik liegen alle wichtigen Entscheidungen auf Eis, bis die neue Berliner Regierung im Amt ist. Ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso begrüßte die vereinbarte Koalition von Union und SPD deshalb als "wichtigen Schritt".

"Sparen, sparen, sparen", bleibt die Devise für die Griechen

Nun liegt der Koalitionsvertrag auf dem Tisch. Stolze 185 Seiten hat er, doch für Griechenland sind vor allem die Passagen interessant, die sich mit der europäischen Schuldenkrise beschäftigen. Direkte Hilfszahlungen an verschuldete Staaten soll es weiterhin nur geben, wenn die Empfängerländer strikte Spar- und Reformauflagen einhalten.

Die griechische Regierung dürfte daher enttäuscht sein, vermutet Illias Katsoulis, Politologe an der Athener Panteion-Universität. "Ich habe den Eindruck, dass sie gehofft hatte, dass sich die SPD in einer Koalition für eine Politik stark macht, die sich gegen diese europäische Austeritätspolitik richtet." Der ehemalige griechische Außenminister Dimitrios Droutsas, der jetzt Abgeordneter im Europaparlament ist, bringt die zukünftige deutsche Europa-Politik im Gespräch mit der Deutschen Welle wie folgt auf den Punkt: "Angela Merkel und die Unionsparteien haben sich in diesem Punkt voll durchgesetzt: 'Sparen, sparen, sparen', wird weiter die Devise sein."

Griechenlands Ex-Außenminister Dimitrios Droutsas. (Foto: ddp images/AP.)
Merkels Sparkurs regiert weiter: Griechenlands Ex-Außenminister Dimitrios DroutsasBild: AP

Wasser predigen, Wein trinken?

Der Politikwissenschaftler Katsoulis meint außerdem, dass es den Griechen mit Blick auf ihre eigene Situation nur schwer zu vermitteln sei, dass es nun in Deutschland einen Mindestlohn von 8,50 Euro und höhere Renten für Mütter geben soll und viele Deutsche künftig schon mit 63 Jahren in Rente gehen dürfen sollen. "Die Gehälter und Pensionen in Griechenland sind dermaßen gesunken - wir haben im Durchschnitt 50 bis 60 Prozent unseres Einkommens eingebüßt." Dadurch sei die Kaufkraft in Griechenland dramatisch zurückgegangen - auch durch die Griechenland-Politik der alten und vermutlich auch neuen Kanzlerin Angela Merkel.

Die kroatische Zeitung Vecernji List wundert sich über die großen Zugeständnisse der Union gegenüber den Sozialdemokraten: den gesetzlichen Mindestlohn, aber auch Zugeständnisse bei der doppelten Staatsbürgerschaft. "Die Konservativen werfen - so scheint es - für die große Koalition fast alle ihre Prinzipien über Bord", urteilt die kroatische Zeitung.

Doppelte Staatsbürgerschaft "light"

Denn künftig soll die so genannte Optionspflicht fallen, so steht es im Koalitionsvertrag. Das würde bedeuten, dass sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern nicht mehr bis zum 23. Geburtstag für einen der beiden Pässe entscheiden müssen. Eine doppelte Staatsbürgerschaft für alle Einwanderer, also auch für die älteren Zugewanderten, soll es aber nicht geben.

Junge Türkin mit deutschen und türkischem Pass (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)
Künftig zwei Pässe für junge Deutschtürken?Bild: picture-alliance/dpa

Von der Neuregelung wären in Deutschland vor allem junge Deutschtürken betroffen. Für sie wäre das ein riesiger Schritt nach vorne, sagte Emre Gönen vom Europäischen Institut der Bilgi Universität in Istanbul im DW-Interview. In der Türkei selbst sei das kein großes Thema: "Angela Merkel bleibt weiterhin Kanzlerin - das ist die einzige Nachricht, die in der Türkei zählt", betont der Soziologe. Und das nicht unbedingt nur im positiven Sinne: "Die türkischen Medien wissen, dass Angela Merkel die Türkei nicht in der Europäischen Union haben will - deshalb gibt es nur wenig Hoffnung, dass der Weg für die Türkei frei wird, solange Merkel Kanzlerin ist." Die Passagen zum EU-Beitritt im Koalitionsvertrag sind wenig eindeutig: Es handle sich um einen Prozess mit "offenem Ende", ist dort zu lesen. Dennoch erwartet der türkische Wissenschaftler einen positiven Einfluss der Sozialdemokraten: "Ich erinnere mich daran, dass bei der letzte große Koalition ab 2005 die deutsche Politik gegenüber der Türkei sehr viel flexibler war als bei der folgenden schwarz-gelben Regierung - vielleicht kann man dieses Verhältnis nun fortsetzen."

Verständnisvolle Russlandpolitik

Russland dürfte über den Koalitionsvertrag zufrieden sein: Ein ganzes Kapitel beschäftigt sich mit den engen wirtschaftlich und politisch Beziehungen zwischen Berlin, Brüssel und Moskau.

Für Wladislaw Below vom Europa-Institut der Russischen Wissenschaftsakademie ist es eine gute Nachricht, dass die Sozialdemokraten vermutlich künftig mitregieren: "Die SPD ist schon ein sicherer Partner für Russland, aber auch die CDU/CSU. Das hat auch die frühere große Koalition gezeigt. Der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Angela Merkel - das sind Politiker, die ein großes Verständnis für Russland haben."

Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin (Foto: Rainer Jensen/dpa)
Langjähriges Vertrauensverhältnis: Putin und der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard SchröderBild: picture-alliance/dpa

Im deutschen Nachbarland Niederlande dagegen ist man zumindest wegen einer Passage auf Seite 39 des Koalitionsvertrags ziemlich sauer: Dort nämlich ist festgeschrieben, dass schon 2014 eine Autobahnmaut für ausländische Autofahrer eingeführt werden soll. "Nachdem sich Berlin traut, die europäischen Nachbarn zu melken, ist die Gefahr groß, dass eine Mautwelle durch Europa rollt", befürchtet die niederländische Zeitung De Telegraaf. "Mautvignetten sind die Axt an der Wurzel der Europäischen Union."