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KonflikteBenin

Sahel: Die Gewalt rückt immer näher

Katrin Gänsler
11. Dezember 2021

Vom Zentralsahel ziehen bewaffnete Gruppierungen weiter Richtung Süden, etwa nach Benin, um auch dort Anschläge zu verüben. Das schwächt die ganze Region. Aus Benin berichtet Katrin Gänsler.

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Benin Symbolbild Sicherheit
Viele Familien sind bereits vor der Gewalt geflüchtet. (Archivbild)Bild: Yanick Folly/AFP

In Benin sind die sozialen Netzwerke in diesen Tagen voll mit Werbung für die schönsten Ausflugsziele im Land. Die Wochen um den Jahreswechsel herum sind Hauptsaison. Im Ausland lebende Beninerinnen und Beniner besuchen über die Feiertage ihren Familien. Für europäische Urlaubsgäste ist es die beste Reisezeit. Die Regenzeit ist vorbei, und durch den Harmattan, den trockenen, von der Sahara zum Atlantik wehenden Nordostwind, sind die Nächte angenehm kühl. Sanny Kassim, der Betreiber des Hotels Le Bélier in der Stadt Natitingou im Norden, macht sich jedoch Sorgen. Die 27 Buchungsstornierungen, die bisher bei ihm eingegangen sind, haben zwar mit der neuen Corona-Variante Omikron zu tun. Er erhält allerdings auch zahlreiche Anfragen zur Sicherheit.

Benin | Sanny Kassim
Ohne Sicherheit funktioniert der Tourismus nicht, sagt Reiseleiter Sanny KassimBild: Katrin Gänsler/DW

Im Norden hat es Ende November und Anfang Dezember zwei Anschläge gegeben, die ersten dieser Art im Land. Die betroffenen Orte Porga und Banikoara liegen in der Nähe der Grenze zu Burkina Faso und des Pendjari-Parks, Top-Ausflugsziel in Benin und ganz Westafrika. Die Rede ist von dschihadistischen Terroranschlägen. Sanny Kassim sagt jedoch: "Es gibt viele Gerüchte." Genau die sind ein enormes Risiko für sein Geschäft. "Solche Informationen haben einen großen Einfluss, wenn sie sich nicht widerlegen lassen." Vom Tourismus leben in Natitingou längst nicht nur Reiseführer, sondern auch Hotels, Supermärkte und Dörfer, die bei Gruppenreisen besucht werden.

Angeschlagener Tourismus

Dabei sei in den vergangenen Jahren viel dafür getan worden, um den Pendjari-Park, der von der Organisation African Parks verwaltet wird, sicher zu machen. In der Nacht auf den ersten Mai 2019 wurde ein beninischer Tourguide ermordet, zwei Franzosen entführt. "Regierung und Parkbetreiber hat das aufgeweckt", sagt Kassim. Das Hotel in der Nähe der Grenze zu Burkina Faso wurde geschlossen, eine Sicherheitszone eingerichtet. "Wenn ich im Park bin, fühle ich mich in Sicherheit."

Benin | Pendjari Nationalpark
Der Pendjari-Nationalpark ist eine wichtige Touristenattraktion in BeninBild: Katrin Gänsler/DW

Der Norden Benins ist in Westafrika nicht die einzige Region, die gerade in den Fokus von Banditen und Terroristen rückt. Auch in Burkina Faso, wo bereits seit 2016 schwere Anschläge im Norden verübt werden, breitet sich die Gewalt aus. Mit Nadiagou im Südosten kontrolliert erstmals die aus Mali stammende Dschihadisten-Miliz Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime (JNIM) ein ganzes Dorf. Es liegt in der Grenzregion zu Benin und Togo, was für beide Länder ein Risiko darstellt.

Von den Dörfern in die Städte

Ein beliebtes Ausflugsziel waren in Burkina Faso bisher die Region Banfora mit Wasserfall und Wäldern sowie die Stadt Bobo-Dioulasso im Südwesten. Dort lebt Lehrer Sid-Lamine Salouka, der besorgt ist. In der Stadt sei die Gewalt zwar noch nicht zu spüren. "In den Dörfern haben die Menschen aber wirklich Angst. Manchmal kommen Dschihadisten. Selbst wenn diese keine Angriffe verüben, sorgt das für Druck." Auch Expertinnen und Experten beobachten eine zunehmende Präsenz. "Mittlerweile sind dort bewaffnete Dschihadistengruppen sehr aktiv", sagt Rinaldo Depagne, Projektdirektor Westafrika der Denkfabrik International Crisis Group (ICG). Auch sei die burkinische Armee präsent. "Wir haben eine neue Kampfzone."

Mali | Kalfa Sanogo
Bürgermeister Kalfa Sanogo schätzt die Sicherheitslage in Sikasso noch als gut einBild: Katrin Gänsler/DW

Von Bobo-Dioulasso sind es keine 200 Kilometer nach Sikasso, ein Handelszentrum im Süden Malis. Im Oktober wurden in der Region fünf Personen entführt. Bisher ist vor allem der Norden, wo im Frühjahr 2012 die schwere Sicherheitskrise begann, betroffen gewesen. In der Stadt selbst, sagt Bürgermeister Kalfa Sanogo, habe es bisher keine Vorfälle gegeben. "Wichtig sind aber vorbeugende Maßnahmen von Seiten der Sicherheitskräfte. Werden diese nicht getroffen, dann kann sich das schnell ändern."

Süden zunehmend bedroht

Nach Einschätzung von Rinaldo Depagne hat sich die Sicherheitslage in der ganzen Region in den vergangenen 25 Jahren weiter verschlechtert. Damals sei es, von regionalen Krisen abgesehen, "relativ friedlich für eine so große Region" gewesen. Aktuell gibt es Beobachtungen, dass bewaffnete Gruppierungen weiter in Richtung Süden gehen. Grenzen sind durchlässig und kaum bewacht. Unklar sei allerdings, ob sich die Bewegungen dort dauerhaft einrichten wollen oder nicht.

Karte - Westafrika - EN

Auch ist über die Intentionen wenig bekannt. Längst ist nicht immer klar, ob es sich um bewaffnete Banditen handelt, die durch ungesicherte Gebiete Drogen, Menschen und Waffen schmuggeln wollen. Oder sind es Dschihadisten wie JNIM und den Islamischen Staaten in der Größeren Sahara (EIGS), die in besetzten Gebieten eine radikale Form des Islam einführen wollen?

Unklare Situation in Nigeria

Darüber wird auch im Nachbarland Nigeria diskutiert, das meist unabhängig von der Entwicklung im Sahel gesehen wird. Die 2001 gegründete Gruppe Boko Haram, die sich 2010 radikalisierte, gilt weiter - obwohl sie auch im Norden Kameruns sowie in der Provinz Diffa im Niger, Anschläge verübt, als lokales Phänomen. Mittlerweile gibt es aber Spekulationen darüber, dass sich der Islamische Staat in der Westafrikanischen Provinz (ISWAP) - die Gruppe spaltete sich 2016 von Boko Haram ab - in Richtung Bundesstaat Zamfara ausbreitet. Dort kommt es seit Jahren zu schwerer Gewalt. Banditen überfallen Dörfer, entführen und ermorden Menschen und stehlen Vieh.

Nigeria | Adamu Abubakar Kotorkoshi
In Zamfara mischen sich Terroristen unter die Banditen, beobachtet Adamu Abubakar KotorkoshiBild: Katrin Gänsler/DW

"Wir vermuten die Infiltrierung durch Dschihadisten", sagt Adamu Abubakar Kotorkoshi, Leiter der nichtstaatlichen Organisation Center for Community Excellence in der Provinzhauptstadt Gusau:  "Grund dafür ist, wie die Anschläge ausgeführt werden, welche Waffen genutzt werden. Einige Angriffe gleichen denen im Nordosten Nigerias". Rinaldo Depagne spricht hingegen von bewaffneten Gruppierungen. Doch gleich, wer dahintersteckt: "Die Situation ist ebenfalls besorgniserregend."