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Gewalt und Putschgerüchte

Peter Hille15. Juni 2012

Brutale Überfälle an der Grenze zu Liberia und ein angeblicher Putschversuch: Auch mehr als ein Jahr nach Ende des blutigen Kampfs um das Präsidentenamt kommt die Elfenbeinküste nicht zur Ruhe.

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Blaumhelm Soldaten der UN in der Elfenbeinküste (Foto: dapd)
Bild: dapd

Die Putschisten sind in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Ihr Anführer liest vom Blatt ab, während die Kamera hektisch vor und zurück zoomt: "Ivorer! Wir, Mitglieder der Sicherheitskräfte, haben uns entschieden, Verantwortung zu übernehmen. Wir werden den Alptraum unserer Landsleute beenden." Ein Militärrat werde die Regierungsgewalt übernehmen, verkündet der Oberst in Tarnuniform weiter.

Zu sehen ist diese Szene in einem Video, das der Innenminister der Elfenbeinküste, Hamed Bakayoko, am Dienstag (12.06.2012) im Abendprogramm des staatlichen Rundfunks vorführte. Im Gespräch mit Journalisten beschuldigte er Anhänger des ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo, das Video zur Vorbereitung eines Putsches gegen die ivorische Regierung gedreht zu haben. Sprecher der Gruppe sei Oberst Katé Gnatoa gewesen, der in Gbagbos ehemaliger Präsidentengarde gedient habe. Ihn und seine Mitverschwörer habe man festgesetzt.

Blutiger Kampf um die Macht

Zwischen November 2010 und April 2011 tobte in der Elfenbeinküste ein blutiger Machtkampf. Gbagbo hatte die Präsidentschaftswahlen verloren, weigerte sich jedoch, sein Amt an den neu gewählten Präsidenten Ouattara abzugeben. Der konnte sich schließlich mit Hilfe von Truppen der Vereinten Nationen und französischer Soldaten durchsetzen und lieferte Gbagbo an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag aus. Dort wartet der ehemalige Präsident des westafrikanischen Landes nun darauf, dass ihm der Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht wird. Während der Kämpfe, denen rund 3.000 Menschen zum Opfer fielen, soll Gbagbo Morde und Vergewaltigungen in Auftrag gegeben haben, um seine Macht zu erhalten.

Portrait von Laurent Gbagbo (Foto: picture-alliance/dpa)
Laurent Gbagbo, ehemaliger Präsident der Elfenbeinküste, vor Gericht in den HaagBild: picture-alliance/dpa

Doch auch wenn Gbagbo nun hinter Gittern sitze, die ivorische Krise sei längst nicht vorbei, sagt Rinaldo Depagne, Westafrika-Experte der International Crisis Group (ICG). "Es gibt immer noch eine kleine Gruppe von Extremisten, die mit der ehemaligen Regierung in Verbindung stehen und Präsident Ouattara stürzen wollen."

Geständnis unter Folter?

Auch die Regierung von Alassane Ouattara hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, Anhänger des ehemaligen Präsidenten planten derzeit einen Umsturz. Rinaldo Depagne glaubt, dass Gbagbos Parteigänger vor allem im Ausland aktiv sind. Dort sei auch das Video der Putschisten entstanden.

Portrait von Alassane Ouattara. (Foto: AP)
Seit einem Jahr im Amt: Präsident Alassane OuattaraBild: AP

Doch es gibt auch Zweifel an der Echtheit des Films. Jens Hettmann, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abidjan, der größten Stadt des Landes, ist zumindest skeptisch. Er weist darauf hin, dass die ivorischen Sicherheitskräfte Gefangene gefoltert haben könnten, um sie zu bestimmten Äußerungen zu zwingen. "So könnte auch das öffentliche Geständnis des ehemaligen Verteidigungsministers Moise Lida Kouassi zustande gekommen sein", vermutet Hettmann.

Kouassi war vergangene Woche von Togo an die Elfenbeinküste ausgeliefert worden und hatte vor laufender Kamera zugegeben, einen Putsch mitgeplant zu haben. Auch dieses Video wurde im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Er habe darin jedoch "steif und unnatürlich gewirkt wie eine Sprechpuppe", sagt Hettmann. Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch aus New York werfen Präsident Ouattara und seiner Regierung regelmäßig vor, bei der Verfolgung von Gbagbo-Gefolgsleuten von Rache getrieben zu sein und nicht allein Gerechtigkeit im Sinn zu haben.

Neue Gewalt im Westen

Jens Hettmann betont, dass die Gefahr für die öffentliche Sicherheit in der Elfenbeinküste nicht nur von den Anhängern Gbagbos ausgehe. Auch das Lager Ouattaras sei verantwortlich für gewaltsame Übergriffe, die in einigen Teilen des Landes zum Alltag gehörten. "Jedenfalls kann man feststellen, dass eine mentale Abrüstung auf beiden Seiten noch nicht stattgefunden hat", sagt Hettmann. Anlass zur Beunruhigung gebe es daher genug - wobei nicht bei allen Gewalttaten von einem politischen Hintergrund auszugehen sei.

Die Skyline von Abidjan: (Foto: Katrin Gänsler/DW)
Die Skyline von AbidjanBild: DW

Im Westen des Landes, an der Grenze zu Liberia, kam es zuletzt wieder zu gewaltsamen Übergriffen gegen Zivilisten. Vier Menschen starben, als unbekannte Angreifer in der Nacht zu Dienstag (12.06.2012) das Dorf Sieblo-Ouala überfielen und die Bewohner mit Macheten und Schusswaffen aus ihren Häusern trieben. Drei Tage zuvor waren in einem Nachbardorf 18 Menschen ermordet worden, darunter sieben Blauhelmsoldaten der UN-Friedensmission, die dort für Sicherheit sorgen soll. Auch für diese Attacken macht die ivorische Regierung Anhänger Gbagbos verantwortlich. Sie sollen über die liberianische Grenze eingedrungen sein und sogar liberianische Kindersoldaten für ihren Kampf rekrutieren.

Droht ein neuer Bürgerkrieg?

Die Regierungen beider Länder haben die Grenzen mittlerweile dicht gemacht. In der Grenzregion waren während des Machtkampfs zwischen Gbagbo und Ouattara zahlreiche Milizen beider Lager in Kämpfe und Massaker an Zivilisten verwickelt. Diese Gruppen sind weiterhin im Besitz zahlreicher Waffen.

Karte der Elfenbeinküste. (Grafik: Per Sander/DW)
Immer wieder Gewalt im Grenzgebiet zu LiberiaBild: DW

Nach Ansicht von Rinaldo Depagne von der International Crisis Group schlittert die Elfenbeinküste deshalb wieder in Richtung Bürgerkrieg. Die erneuten Übergriffe im Westen des Landes ließen darauf schließen, dass es militante Gruppen gebe, die das Land mit einer Guerillataktik destabilisieren wollen. Damit die Elfenbeinküste Frieden findet, müsse sich aber zunächst der Staatsapparat wandeln: "Es muss ein ganz neues System aufgebaut werden, in dem das Recht zählt und nicht die Rache", so Depagne.