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Kräne für die Schiene

3. Oktober 2010

Vierzig Elefanten auf einmal in die Höhe heben - für einen Eisenbahnkran der Firma Kirow ist das keine Herausforderung. Das Leipziger Unternehmen ist fast 130 Jahre alt und bei Eisenbahnkränen der Weltmarktführer.

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Ein Mechaniker von Kirow am Drehgestell eines Eisenbahndrehkrans (Foto: dpa)
Ein Mechaniker von Kirow am Drehgestell eines EisenbahndrehkransBild: picture-alliance/dpa

Der Mittelständler ist am westlichen Stadtrand von Leipzig zu Hause. Nur eine Schranke trennt die großen, backsteinverkleideten Werkshallen von der Straße und den Wohnhäusern in dem Viertel. Es ist 12 Uhr mittags und in der Betriebskantine von Kirow herrscht reger Betrieb. Frische Zutaten, ein Koch, der früher in einem Leipziger Spitzenrestaurant gearbeitet hat und ein Ambiente, das moderne Architektur mit dem Charme einer denkmalgeschützten Industriehalle verbindet: Die Kantine, so sagt Ludwig Koehne, Geschäftsführer des Kranbauunternehmens Kirow lächelnd, sei sein ganzer Stolz. "Ich sage immer: Ohne Mampf kein Kampf. Ein gutes Essen führt dazu, dass man einfach produktiver ist und ich selber will ja auch gut essen."

Immer auf Achse

Ludwig Koehne, Kirow-Geschäftsführer (Foto: Kirow)
Ludwig Koehne, Kirow-GeschäftsführerBild: Kirow Leipzig

Allzu oft kann der gebürtige Düsseldorfer das gastronomische Angebot in Leipzig allerdings nicht genießen. Sechs Monate im Jahr ist Koehne unterwegs bei seinen Kunden. Gerade kommt er aus Vietnam, in Kürze geht es weiter nach Washington, dann folgen London und Berlin. Kräne verkauft man nicht am Schreibtisch, sagt der 44-jährige. In Leipzig werden allerdings nicht nur Kräne hergestellt, sondern auch Schwertransporter. Eisenbahnkräne werden im Unfalldienst von Eisenbahnen und beim Gleisbau eingesetzt. Die Transporter bewegen Schlacke in Stahlwerken.

Die Produktion der Schwermaschinen braucht viel Platz. Bis zu 120 Meter lang und 14 Meter hoch sind die Werkshallen bei Kirow. Sie stehen unter Denkmalschutz und erinnern an die fast 130-jährige Geschichte des Unternehmens. Gegründet wurde es 1887 von den Ingenieuren Liebig und Unruh. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Umbenennung in Schwermaschinenbau S. M. Kirow - ein ermordeter sowjetischer Parteisekretär und Vertrauter Stalins stand damals mit seinem Namen Pate. "Wir haben uns nach der Wende entschieden, den Namen zu behalten", sagt Kirow-Geschäftsführer Koehne. "Uns war klar, dass wir durch den Namen immer Aufmerksamkeit erregen würden. Außerdem gab es 5000 ausgelieferte Kirow-Kräne und solche Referenzen sollte man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen."

Produktionshalle von Kirow Leipzig (Foto: Kirow)
Produktionshalle von Kirow LeipzigBild: Kirow

Manufaktur für großes Gerät

Bis auf den Namen erinnert in dem Unternehmen nichts mehr an die DDR. In den Werkshallen stehen moderne Maschinen, die Arbeitskräne, die sich an den Hallenwänden und unter der Decke spannen, leuchten in blau und rot. Fertigungsstraßen und industriell genormte Arbeitsabläufe sucht man indes vergebens. Der Mittelständler mit seinen 140 Mitarbeitern begreift sich als Manufaktur, die hochtechnologische Einzelfertigungen nach kundenspezifischen Aufträgen baut. Damit hat es Kirow zum Weltmarktführer gebracht.

Historische Urkunde von Unruh und Liebig (Foto: Kirow)
So fing es an: Historische Urkunde von Unruh und LiebigBild: Kirow Leipzig

Für Eisenbahnkräne braucht man hochfesten Stahl. Das sei sehr speziell, sagt Ludwig Koehne, das könne nicht jeder herstellen. "Das ist Hightech, weil das eine ganz besondere Wärmebehandlung erforderlich macht. Das ist auch ein wichtiger Teil unseres Know-hows." Der Metallbau ist aber nur ein Teil des Erfolgsgeheimnisses von Kirow. Den anderen Teil findet man in einem modernen Verwaltungsgebäude, das gegenüber den Werkshallen liegt. Hier haben die Maschinenbauingenieure und Programmierer, zusammen mit der Geschäftsleitung ihre Büros. Vor jeweils zwei Bildschirmen tüfteln sie das komplexe Innenleben der High-Tech-Maschinen aus und arbeiten an Innovationen.

Wechselvolle Geschichte

"Das ist unsere Stärke", sagt Ludwig Koehne und erzählt von einem Auftrag für den Stahlbauer Thyssen-Krupp, der für sein Werk in Rio de Janeiro einen besonderen Transporter brauchte. "Das ist das erste Stahlwerk, das kein Schienennetz hat. Dort wird das Roheisen vom Hochofen zum Stahlwerk auf gummibereiften Spezialtransportern transportiert, die 700 Tonnen tragen. Das ist das erste Mal, dass in dieser Gefahrenklasse, also 700 Tonnen, 1200 Grad heißer Stahl auf Gummireifen transportiert wird", berichtet Koehne und in seiner Stimme schwingt Stolz mit. Denn nicht nur der Spezialtransporter konnte in diesem Jahr in Brasilien seine Premiere feiern, sondern auch ein neuentwickelter Mobilkran aus dem Osten Deutschlands.

Eisenbahn-Drehkran beim Gleisbau (Foto: Kirow)
Eisenbahn-Drehkran beim GleisbauBild: Kirow

Vorauszusehen war der Erfolg nicht, als die westdeutsche Koehne-Gruppe 1994 das ehemalige DDR-Unternehmen "Schwermaschinenbau Kirow Leipzig" übernahm. Von der langen Tradition im Kranbau war wenig übriggeblieben, es gab gerade einmal ein Produkt, einen technisch veralteten Eisenbahnkran. "Wir haben auch Glück gehabt - und die Gelegenheit genutzt", meint Ludwig Koehne. Die Gelegenheit, das war die Pleite der Bremer Vulkan-Werft im Jahr 1996. Dadurch standen die Vulkan-Beteiligungen Kocks Krane International in Bremen und der Kranbau Eberswalde, der heute Ardelt heißt, zum Verkauf. Kirow griff zu und so entstand aus Kirow, Ardelt und Kocks die Kranunion.

Krise setzte auch Kirow zu

Eisenbahnkran von Kirow (Foto: Kirow Leipzig)
Einsatz in Tibet - Eisenbahnkran von KirowBild: Kirow Leipzig

Nach wie vor hat jeder Standort seine eigene Produktpalette. Ardelt ist spezialisiert auf hocheffiziente Dreh- und Portalkräne, Kocks auf Hafenkräne, die so groß sind, dass sie in den Grenzbereichen des Machbaren operieren. 15 Produkte bietet die Kranunion an, mit einigen davon ist sie Weltmarktführer. Ein Begriff, so sagt Koehne, der die Latte intern doch relativ hoch lege. "Jemand der sagt, dass er es ist, der darf keinen Unsinn mehr machen."

Keinen Unsinn machen, das heißt für Koehne, dass die Firma an Bewährtem festhalten, gleichzeitig aber an einer Strategie für die Zukunft arbeiten sollte."Und sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen", sagt Koehne noch. Die Finanz- und Wirtschaftskrise steckt auch der Kranunion noch in den Knochen. 2009 blieben die Aufträge aus, erst seit sechs Monaten füllen sich die Bücher wieder. 2011 geht es erneut bergauf, sagt Ludwig Koehne zum Abschied. Dann steigt er in sein Auto, um nach Berlin zum Flughafen zu fahren. Von dort geht es in die USA, der nächste Kunde wartet schon.

Autorin: Sabine Kinkartz

Redaktion: Henrik Böhme