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Gekonnte Provokation

Cornelia Rabitz10. Mai 2012

Er gehört zu Deutschland bekanntesten Publizisten. Ob als Autor oder Filmemacher – Henryk M. Broder polarisiert in jedem Fall. Auch seine neue Streitschrift zeigt einmal mehr seine Lust an der Enttabuisierung.

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Henryk M. Broder (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wo Broder drauf steht, ist auch Broder drin - soviel steht fest. Wer eines seiner Bücher kauft, der weiß, was er oder sie bekommt. Der streitbare Autor hat sich als eine Art "Aufrührer" fest im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik etabliert. Schon der Titel seiner jüngsten Veröffentlichung - "Vergesst Auschwitz!" - verspricht, was alle seine Bücher auszeichnet: Provokation. Und das nicht zu knapp. Nichts für zartbesaitete Seelen also. Auch die Verfechter der politischen Korrektheit seien einmal mehr gewarnt: Vor diesem Autor ist kaum ein Tabu sicher. Wer nicht selbst eine gewisse Lust an der Zuspitzung, an der Grenzübertretung spürt, sollte um Broders Schriften einen weiten Bogen machen.

Krachend und drastisch

Auch im aktuellen Fall kommen einige typische Ingredienzien hinzu. Das etwas selbstgefällige Verweisen auf eigene Werke, die Selbststilisierung zum Opfer antisemitischer Verbalausfälle, sprich: das geradezu genussvolle Zitieren aus Briefen oder Hass-Mails, die Broder erreichen. Die sehr persönliche Abrechnung mit politischen Gegnern - oder Gegnerinnen. Der unnachsichtige Hinweis auf die Widersprüchlichkeiten, die Schwächen und  Verlogenheiten in der aktuellen Nahost-Debatte. Seine rückhaltlose Unterstützung Israels. So viel gilt auch hier: An Broder scheiden sich die Geister.

Buchcover: Henryk M. Broder 'Vergesst Auschwitz!' (Knaus-Verlag)
Bild: Knaus

Dies alles vorausgesetzt muss man gleichwohl sagen: Das neue Buch ist eine Lektüre wert! Mit spitzer Feder glänzend formuliert, voller Anspielungen und Wortspiele, voll krachender Drastik und mit einem fast befreienden Impetus gegen alles Verschwiemelte und Verklausulierte vermag es viele unserer Selbstgewissheiten und denkfaulen Bequemlichkeiten zu erschüttern. Broder, mit der selbst erteilten Lizenz zur provokanten Frage, rüttelt auf, irritiert - und demaskiert. Und so schwer erträglich das für manch einen sein mag, stets belegt er seine Behauptungen auch mit Beispielen.

Ressentiment und Wellness

Zu Broders bekannten und auch hier wieder ausgebreiteten Argumentationsmustern gehört das beharrliche Verweisen auf einem fortbestehenden Antisemitismus in Deutschland: "Eher zeigt sich ein Steuerhinterzieher beim Finanzamt selbst an, als dass ein ganz normaler Deutscher zugibt, ein Problem mit Juden zu haben." Ebenso wie der Vorwurf des anti-israelischen Ressentiments: "Israel ist im Wellness-Bewusstsein der Deutschen ein Störfaktor. Ein Stachel im Fleisch, ein Steckschuss, der immer wieder Schmerzen verursacht."

Den so genannten "Gutmenschen" in den zivilgesellschaftlichen Gruppen lastet er politische Blindheit an, Einseitigkeit, kritiklose Parteinahme für die Palästinenser sowie dumpfe Voreingenommenheit gegenüber der israelischen Seite. Das deutsche Interesse an Israel sei - gleichgültig von welcher Seite es komme - obsessiv und "unheilbar":  "Wäre das Schicksal der Juden zwischen 1933 und 1945 ebenso vielen Menschen ebenso nahegegangen, hätten die Nazis die 'Endlösung' absagen müssen."

Rituale, Obsessionen

Und dann sind da noch die Linken, die eine Gazaflotte ausrüsten und das iranische Regime verniedlichen: "Alle europäischen Linksparteien haben ein Problem mit Israel, je linker, umso stärker." Und schließlich hält er der deutschen Gedenkkultur seinen Spiegel vor. Es habe sich mittlerweile ein ganzes Arsenal abgenutzter Rituale entwickelt, schreibt Broder. Man pflege hierzulande einen geradezu pathologischen "Erinnerungswahn":  "Die Deutschen leiden an Hitler wie andere an Schuppenflechte." Und weiter: "Ob es um den Einsatz in Jugoslawien oder in Afghanistan geht, um Atom, Gentechnik, Stammzellen, Sterbehilfe - immer steht das Nazi-Menetekel an der Wand und fordert seinen Tribut. Das ritualisierte Gedenken verschafft keine Erleichterung, sondern produziert auf die Dauer Überdruss."

Und wer schließlich so weit gekommen ist, der lässt sich auch durch diese Behauptung nicht mehr erschüttern:  "Den Juden werden sie Auschwitz immer übel nehmen."  

Ein Broder wie er im Buche steht!

Henryk M. Broder: "Vergesst Auschwitz! – Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage"
Verlag Knaus
175 Seiten, € 16,99
ISBN 978-3-8135-0452-1