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La Oroya, einer der schmutzigsten Orte der Welt.

13. Mai 2010

Luft, Wasser, Erde – La Oroya in Peru liegt ein einem der wertvollsten Ökosysteme der Welt. Doch der Bergbau hat dort alles vergiftet.

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Foto: AP
Für die beiden Mädchen führt der Weg zur Schule direkt über den toxischen Abraum der MinengesellschaftBild: AP

Sogar vom Weltraum aus ist La Oroya nicht zu verfehlen. Ein weißer Fleck im Grau-Braun der Andenlandschaft, quadratkilometerweit, so sticht es aus dem Computer-Satellitenbild. "Das Weiße ist verbrannte Erde", beginnt Paula Meza die virtuelle Ortsbegehung, "das kommt von den Schwefel-Abgasen aus der Metallschmelze hier." Dann klickt sie Millimeter um Millimeter weiter: neben der Schmelze die Stadt, rund um die Stadt Abfallhalden, weiter hinten, "das Schwarze", offene Minen, 19 an der Zahl – noch weiter hinten, ein kleiner Grünstreifen: "das zeigen sie dann in den Werbespots."

La Oroya in Peru hat Weltberühmtheit erlangt – als einer der schmutzigsten Orte der Welt. Die Anden-Stadt, knapp 200 Kilometer von Lima entfernt, liegt nahe dem Cerro de Pasco - im großen Bergbauzentrum eines Landes, dessen wichtigstes Exportgut seit jeher Bodenschätze sind: "Doch reich wurde Peru davon nie, im Gegenteil", sagt Ana Leyva. Die Menschenrechtsanwältin ist gemeinsam mit Paula Meza auf Deutschland-Reise. Sie wollen erzählen, wie es aussieht, in den Bergbaugebieten Perus, in denen ausländische Minen-Unternehmen immer noch agieren wie in dunkelster Kolonialzeit.

Warum nur sind alle krank?

Abbauhalde bei der Stadt La Oroya
Abbauhalde bei der Stadt La Oroya.Bild: Günther Keine

Die Erzverarbeitungsanlage des US-Unternehmens Doe Run Company und die 19 ansässigen offenen Minen verpesten Luft, Wasser und Erde des Andenhochlandes – und damit eines der wertvollsten Ökosysteme der Welt. Pflanzen verdorren, das Zuchtvieh verkümmert und in der Dreckbrühe des Mantaro-Flusses sind die letzten Fische längst erstickt. Der Bergbau raubt den Bauern ihre Lebensgrundlage und macht sie noch anfälliger für Krankheiten: "Denn wenn ein Körper unterernährt ist, setzen sich die Giftsstoffe noch schneller in den Knochen und im Blut fest", erklärt Paula Meza.

Fast jedes Kind in La Oroya habe Blei im Blut. Blei belastet das Nervensystem, führt zu Hyperaktivität, zu Depressionen oder auch zu Krebs. Dazu kommen Arsen, Cadmium, Quecksilber, Antimon - die Liste ist lang. "Den Bewohnern war aber gar nicht bewusst, dass sie inmitten von Gift leben," sagt Paula. Die Doe Run Company verharmloste die Fälle gleichzeitig über die örtliche Radiostation. "Sie haben sich nur gefragt, warum so viele Leute krank werden."

Gift? – Kaufen wir gerne!

Egal für welches der Schwermetalle, alle Grenzwerte werden in La Oroya um ein Vielfaches überschritten - Paula Meza hat sie selbst gemessen, in einer Studie für das peruanische Gesundheitsministerium, die 1999 von der Universität San Luis erstellt wurde. Die Bergbauingenieurin arbeitete damals noch selbst bei der Doe Run Company, die die Schmelze 1997 vom peruanischen Staat übernommen hatte. Das Unternehmen versprach, die Anlagen zu modernisieren – nichts geschah.

"Natürlich nicht," sagt Paula Meza. Denn mit den rostigen und veralteten Maschinen können Mineralien verarbeitet werden, die andere Betriebe mit spitzen Fingern von sich weisen würden. "Weil sie so giftig sind, dass sie gegen alles - internationale Auflagen und den gesunden Menschenverstand - verstoßen." Doch Doe Run lasse die schmutzigen Metalle sogar importieren – aus Chile, Bolivien oder auch anderen Teilen Perus. Daraus extrahierten sie die brauchbaren Stoffe – Kupfererz, Blei und Zinn, die sich teuer im Ausland verkaufen lassen. "Den Giftmüll lassen sie bei uns."

Rausholen, rausschaffen – die alte Geschichte

Der Fluss Mantaro bei La Oroya
Der völlig verseuchte Mantaro-Fluss bei La Oroya.Bild: Günther Keine

Lange Zeit wurden keine Steuern auf die Ausfuhren ausländischer Unternehmen erhoben. Das hat sich zwar geändert, aber die Einnahmen – 30 Prozent der Gewinne – versickern nun meist in den Provinzbehörden. Korruption sei das eine, sagt Ana Leyva, doch vor allem fehle ein nationaler Entwicklungsplan. "Die Beamten in den Provinzbehören wissen überhaupt nicht, was die Menschen brauchen, und noch viel weniger, wie man so etwas wie regionale Entwicklung vorantreiben könnte", sagt Ana Leyva. Peru lieferte Rohstoffe, eine weiterverarbeitende Industrie gab es nie, wurde nie aufgebaut.

Und bis heute fehlt das Personal dafür: die wenigen Absolventen aus der Hauptstadt Lima zieht es nicht gerade ins einsame Hinterland der Anden. Die dortigen Bewohner sind meist Bauern, die ihren Lebensunterhalt seit jeher mit Landwirtschaft bestritten haben. Nicht nur, dass der Bergbau ihre Äcker und Zuchtgebiete zerstört, er bietet ihnen auch keine Alternativen: denn einfache Arbeiten werden schon längst durch Maschinen ersetzt. Insgesamt, so schätzen Nichtregierungsorganisationen, sind höchstens 150.000 Peruaner im Bergbau beschäftigt. Das Land hat 30 Millionen Einwohner.

Warten, bis es knallt

Versprechen contra Realität, statt Arbeitsplätze verdorrte Ernten – das heize Konflikte an, sagt Ana Leyva, die als Anwältin auch die Klagen in der "Defensoría del Pueblo", dem staatlichen Beschwerdebüro, einsieht. Allein im März habe es über hundert Konflikte in Bergbaugebieten gegeben: Protestmärsche, Straßenblockaden, aber auch Ausschreitungen mit Verletzten und Toten gab es. "Doch erst wenn es knallt, greift der Staat ein," so die Erfahrung der Anwältin. 2003 hat sie das "Red Muqui" mitbegründet. Die Organisation klärt die Menschen in den betroffenen Dörfern über die Risiken und ihre Rechte auf.

Vor allem aber versucht sie, Staat und Unternehmen dazu zu bringen, ihrer Verantwortung für Umwelt und die Gesundheit der Menschen nachzukommen. Das große Problem: "Der Staat ist in vielen Gegenden Perus gar nicht präsent. Das Land ist so groß."

Und so werden die einfachsten Kontrollen wie Wasser- und Erdproben nicht gemacht. Zwar gab es wegen der vielen Proteste Fortschritte. Statt des Bergbauministeriums – "was für eine Farce ohnehin" – war nun eine unabhängige Behörde zuständig. Doch, sagt Ana Meza, "jetzt wurde alles ins Umweltministerium verlegt – dort gibt es aber weder Geld noch Personal."

Deutschland nicht unschuldig

Bergbauarbeiter aus dem Bergbauzentrum Cerro de Pasco
Bergbau hat in Peru Tradition - reich wurde es davon noch nie.Bild: Red Muqui

"Mehr Kosmetik als wirklicher Wachmann", so denkt Ana über das Umweltministerium, bei dessen Aufbau vor zwei Jahren auch Deutschland mitgeholfen hat. Dabei hätte Berlin sehr wohl eine Verantwortung für die Situation in den Abbaugebieten: Peru ist nach Chile der zweitwichtigste Kupferimporteur Deutschlands. Wo genau und unter welchen Bedingungen diese Metalle gefördert werden, wer beteiligt ist und in welchem Maße, das alles weiß niemand im Detail: "Es fehlt an Transparenz," sagt Sebastian Rötters von der Nichtregierungsorganisation FIAN. Allerdings sei bisher auch kein politischer Wille erkennbar, für diese Transparenz zu sorgen: "weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene."

Die laschen Standards zu verschärfen sei vor allem dann schwierig, wenn bereits bilaterale Abkommen über den Status Quo abgeschlossen sind. Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Peru ist so ein Vertrag – Mitte Mai wurde er auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid unterschrieben. Ana von der Organisation "Red Muquí": "Anstatt von seinen Rohstoffen zu profitieren, verliert der Staat an Einfluss." Und das in einer Situation, fügt sie verbittert hinzu, in der man eigentlich eine starke Hand bräuchte, die sich um das Wohl der eigenen Bevölkerung kümmert.

Autorin: Anne Herrberg

Redaktion: Oliver Pieper