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Politik

Giftanschlag auf Nawalny empört den Westen

2. September 2020

Ein Labor-Befund erschüttert die Beziehungen des Westens zu Russland: Nachdem im Blut des Kreml-Kritikers Nawalny ein Nervenkampfstoff nachgewiesen wird, fallen harte Worte - von Kanzlerin Merkel, der EU und der NATO.

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Moskau | Alexei Nawalny  FBK Razzia Polizei
Alexej Nawalny (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/D. Dilkoff

Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny ist nach Untersuchungen eines Spezial-Labors der Bundeswehr mit dem chemischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Die Bundesregierung sieht das als "zweifelsfrei" erwiesen an und fordert die russische Regierung eindringlich zur Aufklärung auf.

Die Welt will eine Antwort

Kanzlerin Angela Merkel sprach von einem "versuchten Giftmord" an einem der führenden Oppositionellen Russlands: "Er sollte zum Schweigen gebracht werden." Es stellten sich jetzt "sehr schwerwiegende Fragen", die nur die russische Regierung beantworten könne und müsse, sagte Merkel in einer ungewöhnlich deutlichen Stellungnahme, in der sie auch ihre persönliche Betroffenheit deutlich machte. Das Verbrechen gegen Nawalny richte sich "gegen die Grundwerte und Grundrechte, für die wir eintreten", sagte sie. "Die Welt wird auf Antworten warten."

Das Auswärtige Amt bestellte den russischen Botschafter Sergej Netschajew ein, um Russland dazu aufzufordern, "vollumfänglich und mit voller Transparenz" aufzuklären. Russland müsse die Verantwortlichen ermitteln und zur Rechenschaft ziehen, sagte Außenminister Heiko Maas.

Nach Einschätzung des Osteuropa-Experten Hans-Henning Schröder sind die Möglichkeiten Deutschlands wie auch der gesamten EU, in dieser Sache auf Russland einzuwirken, sehr begrenzt. Es gebe kaum Sanktionen, die Moskau wirklich im Kern treffen könnten, sagte Schröder in einem Interview der Deutschen Welle. Selbst ein Verzicht auf russisches Gas sei unrealistisch, weil dies enorm teuer wäre und eine erhebliche Umorganisation der Lieferströme verlangen würde. Schröder ist Politik-Professsor an der Freien Universität Berlin und auch für die Stiftung Wissenschaft und Politik tätig. 

Das Untersuchungsergebnis erschüttert die ohnehin schon schwer angeschlagenen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sowie anderen westlichen Staaten noch einmal massiv. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, "jeder Einsatz von chemischen Waffen sei eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit". Man werde mit Deutschland und allen anderen Bündnispartnern das weitere Vorgehen erörtern.

Feige und abscheulich

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bezeichnete die Vergiftung des russischen Oppositionspolitiker als abscheulichen und feigen Akt. "Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden", forderte von der Leyen auf Twitter.

Ähnlich äußerte sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Er wies daraufhin, dass das verwendete militärische Nervengift der Nowitschok-Gruppe von der Sowjetunion und später von Russland entwickelt worden sei. Ein Nervengift dieser Art wurde auch bei der Vergiftung des ehemaligen russischen Doppelspions Sergej Skripal und seiner Tochter Julia im britischen Salisbury 2018 verwendet. Die beiden überlebten nur knapp. Als Reaktion hatten zahlreiche westliche Staaten russische Diplomaten ausgewiesen.

Auch diesmal strebt die Bundesregierung ein abgestimmtes Vorgehen der westlichen Verbündeten an. Merkel und Maas sprachen davon, dass eine "angemessene" Reaktion gefunden werde müsse. Wie diese ausfällt, "werden wir auch im Lichte dessen entscheiden, wie Russland sich verhält", sagte Maas.

Merkel beriet sich auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, was ebenfalls zeigt, wie hoch sie die Bedeutung des Falls einschätzt. Die Bundesregierung informierte zudem die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) über den Labor-Befund. Der Konvention für die Ächtung von Chemiewaffen ist auch Russland beigetreten.

Berlin Nawalny in Charite | Spezialtrage
Am 22. August wurde Nawalny in die Charité gebracht, die Klinik gilt als eine der besten der WeltBild: Getty Images/M. Hitij

Nawalny, der am 20. August auf einem Flug in seiner Heimat plötzlich ins Koma gefallen war und zunächst in Omsk untersucht wurde, wird auf Drängen seiner Familie in der Berliner Uni-Klinik Charité behandelt. Die deutschen Ärzte gingen nach einer Auswertung von klinischen Befunden bereits vor Tagen davon aus, dass er vergiftet wurde. Die russische Regierung hatte die Einschätzung als vorschnell bezeichnet.

Weiter auf der Intensivstation

Die Charité teilte mit, der Gesundheitszustand von Nawalny sei weiter ernst. Die Symptome der nachgewiesenen Vergiftung seien zwar rückläufig. Nawalny werde aber weiterhin auf einer Intensivstation behandelt und künstlich beatmet. Mit einem längeren Krankheitsverlauf sei zu rechnen. Langzeitfolgen der schweren Vergiftung seien weiterhin nicht auszuschließen.

Russland kritisierte das Vorgehen der Bundesregierung scharf. "Laute öffentliche Erklärungen werden bevorzugt", ließ das Außenministerium in Moskau wissen. "Die vorhandenen gesetzlichen Mechanismen zur Zusammenarbeit werden völlig vernachlässigt", hieß es zudem.

Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, betonte jedoch, dass Moskau auf die Erklärung aus Berlin zum jetzigen Zeitpunkt nicht "qualifiziert reagieren" könne. Russland sei bereit zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden, bekräftigte er. Die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau habe bereits eine offizielle Anfrage geschickt, diese sei jedoch nicht beantwortet worden.

Wie reagiert Russland im Fall Nawalny? Gespräch mit Juri Rescheto

haz/sti/wa (DW, dpa, afp, rtr)