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Politik

"Brexit ist wie eine Religion"

Birgit Maaß
23. Januar 2017

Seit Fondsmanagerin Gina Miller Theresa Mays Regierung verklagt, sieht sie sich Hasstiraden ausgesetzt. Dabei geht es ihr nur darum, das Parlament in den Brexit-Prozess miteinzubeziehen, sagt sie im DW-Gespräch.

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Großbritannien Gina Miller vor dem Obersten Gericht in London
Bild: picture alliance/abaca/K. Green

Deutsche Welle: Was glauben Sie, werden Sie vor dem Höchsten Gericht in Großbritannien mit ihrer Klage gewinnen?

Gina Miller: Ja. Die Gesetze sind klar, da gibt es nichts zu rütteln: Das Parlament steht über allem. Die ganze Aufregung ist politisch motiviert, hat mit dem Gerichtsverfahren überhaupt nichts zu tun. Einige Medien und Politiker haben mich zur Hassfigur erklärt. Aber haben die sich überhaupt mit dem Fall beschäftigt? Wenn sie wüssten, worum es wirklich geht, müssten sie mich doch eigentlich unterstützen. Aber die Hysterie ist unglaublich. Es ist wie mit einer Religion, mit Vernunft hat das alles nichts zu tun.

Aber haben Ihre Kritiker nicht irgendwo Recht? Schließlich haben Sie sich immer gegen den Brexit ausgesprochen, also ist auch Ihre Klage politisch motiviert.

Ich habe für den Verbleib in der EU gestimmt. Aber wir haben verloren, also muss man jetzt nach vorne denken. Alle haben immer von Selbstbestimmung gesprochen. Also muss jetzt, bevor wir den Artikel 50 auslösen, das Parlament miteinbezogen werden. Unser Parlament ist schließlich der Souverän und muss darüber debattieren und abstimmen. Wir müssen ganz genau durchleuchten, was der Brexit überhaupt bedeutet: Für die Landwirtschaft, die Wissenschaft, für die Bildung, die Sicherheit.

Was genau erwarten Sie von den Abgeordneten?

Sie sollen einfach ihren Job machen. Das tun sie bisher nämlich nicht. Sie sollen das tun, was das Beste für das ganze Land ist, für die Menschen, die sie gewählt haben. Das ist das Problem mit Theresa May: Sie macht das, was gut für ihre Partei ist, nicht das, was gut für das Land ist. Manchmal müssen Politiker unpopuläre Entscheidungen treffen. Also hoffe ich, dass nach unserem Sieg vor Gericht die Politiker an die Arbeit gehen und über Artikel 50 debattieren werden.

Glauben Sie, dass Theresa May grundsätzlich auf dem richtigen Weg ist? Sie will ja aus dem Binnenmarkt austreten.

Meiner Meinung nach haben die Leute darüber gar nicht abgestimmt. In erster Linie ging es darum, die Einwanderung zu begrenzen, aber heisst das automatisch, dass wir deshalb auch aus dem Binnenmarkt austreten? Dafür gibt es keine Beweise. Es haben sich viele bei mir gemeldet, die für den Brexit gestimmt haben, und die jetzt auf meiner Seite sind, weil sie so einen harten Brexit nicht wollen. 

Seit dem Gerichtsverfahren stehen Sie sehr unter Beschuss. Inwieweit hat sich Ihr Leben dadurch verändert?

Insbesondere mein Familienleben hat sich verändert, das hatte ich so nicht erwartet. Ich gehe mit meiner Familie am Wochenende kaum noch vor die Tür, ich benutze keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Meine Kinder benutzen in der Schule einen eigenen Eingang. Ich habe sehr bedrohliche Briefe bekommen, und die Polizei nimmt das ernst.

Wenn ein weißer Mann dieses Gerichtsverfahren eingeleitet hätte, dann würde das vermutlich alles anders aussehen. Es waren persönliche Verletzungen, es ging nicht um das Gerichtsverfahren, diese Leute haben sich mit der Klage selbst überhaupt nicht auseinandergesetzt.

England London Referendum Brexit
Nicht nur das Volk, auch das Parlament soll über den Brexit abstimmen, fordert Klägerin MillerBild: picture-alliance/empics/C. Ball

Und haben Sie sich auch unterstützt gefühlt?

Ich war schockiert darüber, dass mich kaum jemand öffentlich unterstützt hat. Ich war naiv: Ich dachte, wenn die Leute erst mal einsehen, dass es um ganz fundamentale Dinge geht, dass ich die Demokratie unterstütze, dass ich dann öffentliche Unterstützung bekommen würde. Aber seit Juli, seitdem mich das Gericht zur Hauptklägerin erklärt hat, habe ich mit keinem einzigen Politiker gesprochen. Das finde ich schockierend.

Die Leute haben Angst. Diejenigen, die sich normalerweise öffentlich äußern, befürchten, als Verräter abgestempelt zu werden. Das ist nicht gut für unser Land. Man kann nur dann vernünftige Entscheidungen treffen, wenn unterschiedliche Meinungen besprochen werden. Brexit ist so eine einschneidende Veränderung, das muss auf jeden Fall vorher diskutiert werden!

Und deshalb haben Sie sich nicht einschüchtern lassen?

Viele Leute haben mir geraten, ich solle aufgeben. Aber wir müssen den Leuten die Dinge erklären. Ich gehe in Fernsehshows, beantworte Zuhörerfragen im Radio. Man hat mir gesagt, dass mir als dunkelhäutige Frau nicht zusteht, mich zu äußern. Dass ich gar nicht intelligent genug sein kann für diese Klage, dass reiche und mächtige Männer hinter mir stehen. Was ist bloß los mit unserer Gesellschaft? Das dürfen wir nicht einfach so stehen lassten.Ich habe eine Stimme, und ich habe moralische Prinzipien. Und ich empfinde es als meine Pflicht, mein Land zu verteidigen. Ein anderes Motiv habe ich nicht.

Das Gespräch führte Birgit Maaß