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Gipfel soll Atomstreit beenden

5. September 2010

Seit Monaten streitet die schwarz-gelbe Koalition über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Jetzt soll eine Entscheidung fallen. Dazu hat Kanzlerin Merkel die Koalitionsspitzen eingeladen.

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Blick vom Berliner Reichstag, Sitz des Deutschen Bundestages auf das Bundeskanzleramt (Foto: AP)
Bundeskanzlerin Merkel hat ins Kanzleramt eingeladenBild: dpa

Im Atomstreit drückt die Regierung aufs Tempo: Die Koalitionsspitzen wollen noch an diesem Sonntag (05.09.2010) den Streit um längere Laufzeiten der Kernkraftwerke entscheiden. Im Gespräch ist ein Zeitraum von zehn bis 15 Jahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuletzt eine Verlängerung innerhalb dieser Zeitspanne als energiepolitisch vernünftig bezeichnet. Bei dem Treffen wollen Wirtschaftsminister Brüderle (FDP) und Umweltminister Röttgen (CDU) ihren monatelangen Streit beilegen und Grundlagen des künftigen Energiekonzeptes der Bundesregierung beschließen. Auch soll beim Energiegipfel geklärt werden, wie viel die Stromkonzerne für längere Laufzeiten bezahlen müssen. Medien berichten, die sogenannte Brennelementesteuer könnte zeitlich befristet werden. Unklar ist, ob die Konzerne eine mehrjährige Frist bekommen, um ihre Reaktoren mit Milliardenbeträgen zum Schutz gegen Flugzeugabstürze und Terrorangriffe nachzurüsten.

Bundesrat soll möglichst umgangen werden

Blick in den Plenarsaal des Bundesrates (Foto: AP)
Im Bundesrat hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehrBild: AP

Inzwischen liegt auch die abschließende Bewertung von Justiz- und Innenministerium vor, ob die Regierung bei der Verlängerung der Laufzeiten den Bundesrat umgehen kann. Die beiden Häuser seien zu dem Schluss gekommen, dass dies bei einer Verlängerung von "nicht mehr als 10 Jahren" möglich sei, hieß es in Koalitionskreisen. Die Regierung möchte auch deshalb den Bundesrat umgehen, weil dort Union und FDP keine Mehrheit mehr haben. Mehrere Bundesländer haben daher schon angekündigt, vor Gericht gehen zu wollen.

An dem Spitzentreffen im Kanzleramt nehmen neben CDU-Chefin Merkel auch die Parteivorsitzenden von FDP und CSU, Guido Westerwelle und Horst Seehofer, teil. Dazu kommen Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), seine FDP-Kollegin Birgit Homburger und CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. Die Runde will Eckpunkte für das Energiekonzept der Bundesregierung erarbeiten, das am 28. September vollständig vorgestellt werden soll.

Atomkraftwerk Biblis in Hessen (Foto: AP)
Umstrittene Laufzeiten: Wie lange sollen die AKW am Netz bleiben?Bild: picture alliance / dpa

Brüderle und Röttgen bislang uneins

Der liberale Wirtschaftsminister Brüderle und der christdemokratische Umweltminister Röttgen vertraten bis zuletzt in praktisch allen Fragen unterschiedliche Auffassungen. So hatte Röttgen sich zuletzt zwar nicht mehr öffentlich festgelegt, zuvor aber stets für eine höchstens acht Jahre längere Laufzeit plädiert. Brüderle will dagegen zwölf bis 20 Jahre. Röttgen forderte außerdem, die Meiler durch Umbauten besser gegen Flugzeugabstürze zu schützen und die Einnahmen aus den Gewinnabschöpfungen für den Ausbau erneuerbarer Energien einzusetzen.

Neben der fraglichen Sicherheit der Atommeiler geht es auch ums Geld: Bereits vereinbart ist, dass die Energiewirtschaft ab 2011 über eine Brennelementesteuer oder eine andere Abgabe 2,3 Milliarden Euro zum Bundeshaushalt beisteuern soll. Die geplanten zusätzlichen Zahlungen bei längeren Laufzeiten für den Ausbau der erneuerbaren Energien könnten etwa 25 Prozent der Mehreinnahmen der Konzerne betragen. Dabei soll sichergestellt werden, dass diese Gelder möglichst bald fließen und auch der mittelständischen Wirtschaft zur Verfügung stehen.

Täuschung bei der Sicherheitsfrage

Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender (Foto: AP)
SPD-Vorsitzender Gabriel wirft der Regierung vor, Interessenpolitik zu betreibenBild: AP

Nach Auffassung von SPD und Deutscher Umwelthilfe (DUH) versucht die Regierung, die Bürger in der Frage erhöhter Sicherheitsauflagen für die Atomkraftwerke zu täuschen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warf der Bundesregierung vor, Interessenpolitik für die Stromkonzerne zu betreiben. Es habe von Anfang an festgestanden, "dass Frau Merkel und Herr Westerwelle vorhaben, alte Atommeiler länger laufenzulassen. Das ist die Klientel dieser beiden Parteien. Es gab große Wahlunterstützung der vier großen Energiekonzerne", sagte Gabriel. Das aktuelle Vorgehen bei den Sicherheitsauflagen sei perfide, sagte die DUH-Leiterin für Klimaschutz und Energiewende, Cornelia Ziehm. Dies bedeute, "dass der Staat seine Schutzpflichten gegenüber seinen Bürgern in eine Schutzpflicht zugunsten der Anlagenbetreiber umkehrt. Die Sicherheit der Bevölkerung wird verkauft." Die sieben ältesten Reaktoren gelten wegen zu geringer Wandstärken der Reaktoren als nicht stabil genug, um Terrorattacken mit Passagierflugzeugen standzuhalten. Als Maßstab sollen die Sicherheitsrichtlinien für die jüngsten Meiler Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 gelten.

Die Energiekonzerne müssten sich bei längeren Laufzeiten auf erhebliche Nachrüstkosten einstellen, damit alle 17 deutschen Atommeiler gegen Abstürze großer Flugzeuge gesichert sind. Bei einer Verlängerung der Laufzeiten um zwölf Jahre belaufen sich die Kosten einem Gutachten zufolge auf 20,3 Milliarden Euro.

Mehrheit der Deutschen gegen Verlängerung der Laufzeiten

Die Umweltorganisation Greenpeace rechnete unterdessen vor, dass selbst eine moderate Laufzeitverlängerung um zehn Jahre dazu führen könnte, dass die letzten deutschen Meiler erst 2053 vom Netz gingen. Das wäre dann der Fall, wenn zusätzliche Stromkontingente an alte Meiler gingen, die wegen Sicherheitsauflagen vom Netz müssen. Dann könnten sich die Produktionszeiten neuerer Meiler entsprechend verlängern. Bei der Mehrheit der Bevölkerung treffen um zehn bis 15 Jahre längere Atomlaufzeiten auf Ablehnung, wie eine ARD-Umfrage ergab. 59 Prozent der Befragten sprachen sich dagegen aus, 37 Prozent dafür.

Autorin: Annamaria Sigrist (dpa, apn, afp)
Redaktion: Stephan Stickelmann

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