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Gisdols Ruhe verleiht dem HSV Kraft

Jörg Strohschein aus Gelsenkirchen
13. Mai 2017

Der Hamburger SV hat auf Schalke nur einen Punkt geholt. Trotzdem kann er den Klassenerhalt noch aus eigener Kraft schaffen. Der Grund: Trainer Markus Gisdol strahlt nicht erst nur vor diesem Endspiel viel Ruhe aus.

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FC Schalke 04 - Hamburger SV
Bild: Picture alliance/dpa/I. Fassbender

Die Wangen waren dunkelrot, der Blick von Markus Gisdol wirkte noch ein wenig hektisch. Aber trotz der vorangegangenen Strapazen über 90 Minuten versuchte der Trainer des Hamburger SV Ruhe auszustrahlen. Das 1:1 in letzter Sekunde beim FC Schalke 04, das der eingewechselte Pierre-Michel Lasogga perfekt machte, hatte den Trainer sichtlich Nerven gekostet. Guido Burgstaller hatte die Schalker in der ersten Hälfte in Führung geschossen.

"Das war ein erster Schritt für uns. Nächste Woche müssen wir den Sack zumachen. Es war ein sehr emotionales Spiel", sagte Gisdol mit merklich ruhiger Stimme. Am kommenden Samstag spielt der HSV im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg darum, wer in die Relegation muss. Nur mit einem Sieg gegen die Niedersachsen hätten sich die Hanseaten vorzeitig gerettet.

Zwei Punkte nach sechs Spielen

So sachlich und entspannt wie nach diesem Gelsenkirchener Drama hatte der Fußballlehrer während seiner gesamten Amtszeit beim HSV schon immer seine Analysen getroffen. Und damit hat er bewirkt, dass beim Hamburger Traditionsverein trotz der erneut sportlich äußerst schwierigen Situation deutlich mehr Ruhe eingekehrt war.

"Jetzt können wir erstmal durchatmen nach unserer unglaublichen Aufholjagd", sagte Gisdol, "um dann wieder voll konzentriert zu sein." Die Hamburger haben ihr Schicksal schließlich noch immer selbst in der Hand. Auf diesen für den HSV glücklichen Umstand hatte nicht mehr jeder Anhänger vor dem 33. Spieltag gehofft.

Am 26. September 2016 hatte Gisdol seine schwierige Aufgabe in der Hansestadt angetreten. Der HSV hatte gerade einmal mickrige zwei Punkte nach sechs Partien auf dem Konto und galt bereits Vielen als sicherer Absteiger. Umso anspruchsvoller war die Aufgabe des Trainers.

Mit Empathie und Struktur

Der HSV-Trainer musste nach seinem Dienstbeginn eine neue Struktur in der Mannschaft entwickeln - also sichtete er, hinterfragte, dachte sich neue Optionen aus. "Du musst als Trainer Empathie haben, musst die Menschen lesen können", sagte er damals. "Du musst nur Mensch sein." Mit dieser Empathie hat er die Spieler, die Vereins-Verantwortlichen und auch das zuletzt leidgeprüfte Hamburger Publikum überzeugen können.

Gisdol tritt in der Öffentlichkeit eher verbindlich auf. Von sich aus würde der ehemalige Schalker Co-Trainer unter Huub Stevens kaum eine Diskussion beginnen. Der 47-Jährige beobachtet lieber und beurteilt die Dinge dann auf seine Weise. Vertrauen muss man sich bei ihm verdienen.

Introvertierter Gisdol

Sein Familienleben ist Privatsache. Nur so viel: Gisdol ist verheiratet und hat zwei Kinder. Und er ist Schwabe - Extrovertiertheit ist deren Sache zumeist nicht. Richtig gut kennen den Hamburger Coach nur wenige.

"Markus Gisdol ist ein eher introvertierter Mensch, der nicht die große Bühne sucht", sagte HSV-Sportchef Jens Todt kürzlich. "Markus ist kein Umarmer. Er kennt die Spielregeln des Zirkus Profifußball, aber er muss nicht unbedingt im Rampenlicht der Manege stehen."

Der Trainer brauchte allerdings Zeit, den Klub und seine Mannschaft zu verstehen. Bis Anfang November und drei Niederlagen gegen Frankfurt, Köln und Dortmund. Dann begann er seine Gedanken beim HSV umzusetzen. Dabei kamen ein neuer Teammanager, ein neues Mannschaftsgefüge und neue Kabinenregeln heraus.

Klare Personalentscheidungen

So grenzte Gisdol etwa den Kreis derjenigen, die aus dem Klub zur Mannschaft wollten, deutlich ein. Auch vor schwierigen Personal-Entscheidungen, um eine homogene Gruppe herzustellen, machte er nicht Halt. Verteidiger Emir Spahic musste den Klub verlassen, Talent Alen Halilovic wurde nach Las Palmas ausgeliehen.

Hamburg Trainer Markus Gisdol
Bild: Picture alliance/AP Photo/M. Meissner

Gisdols Analyse ergab zudem, dass er dringend neue Innenverteidiger benötigt sowie einen zentralen Defensivspieler. Mäzen Klaus-Michael Kühne sorgte für das nötige Geld. Mit Mergin Mavraj und Kyriakos Papadopoulos wurde die Abwehr im Winter für insgesamt 7,5 Millionen Euro zunächst stabilisiert, für neun Millionen Euro kam auch der Brasilianer Walace.

Die Veränderungen griffen zunächst. Ab Februar bis Mitte April wirkte die Mannschaft überraschend stabil, setzte ihre Aufholjagd fort und arbeitete sich auf Platz 14 hoch. Doch dann folgte eine erneute Schwächephase. Drei Niederlagen in Folge und das torlose Heim-Remis gegen Mainz sorgten zuletzt dafür, dass die Mannschaft wieder auf den 16., den Relegationsplatz abgerutscht war.

Kampfgeist der Spieler geweckt

Die Kraft schien nachzulassen, bis zum kraftvollen Auftritt seiner Mannschaft in Gelsenkirchen. "Das war eine unglaubliche Aufholjagd von uns", sagte Gisdol nach dieser Partie dann auch erleichtert.

Die spielerischen Probleme seines Teams konnte der Trainer zwar nicht abstellen, der Ballbesitz der Hamburger lag in dieser Saison durchschnittlich unter 50 Prozent. Aber immerhin konnte er den Kampfgeist seiner Spieler wecken. "Die Hamburger haben in der zweiten Halbzeit mehr daran geglaubt als wir", sagte Schalke-Trainer Markus Weinzierl nach dem Abpfiff.

Die Hanseaten können die dritte Relegation innerhalb von vier Jahren noch umgehen. 2014 retteten sich die Hanseaten nur aufgrund eines Auswärts-Tores gegen Greuther Fürth (0:0 und 1:1). Ein Jahr später verwandelte Marcelo Diaz einen Freistoß in letzter Sekunde in der dritten Minute der Nachspielzeit zum 1:1. Nicolai Müller sorgte in der Verlängerung für den Siegtreffer. Auf ein solches, neuerliches nervenzerreißendes Schauspiel würden die Hamburger in dieser Saison gerne verzichten.

Gisdols Vertrag wurde erst kürzlich um zwei Jahre bis 2019 verlängert. Seine Chancen stehen ganz gut, dass er das nächste Jahr auch wieder in der Bundesliga verbringen kann. Wenn er und seine Spieler im Endspiel gegen Wolfsburg die Nerven bewahren. Zumindest bei Markus Gisdol muss man sich in dieser Frage wohl keine Sorgen machen.