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Der Sohn des Kandidaten

Michael Knigge9. März 2007

Hat ein Präsidentschaftskandidat eine Privatsphäre? Diese Frage wird in den USA alle vier Jahre gestellt und neu beantwortet. Aktuelles Beispiel: Das gestörte Verhältnis des Republikaners Rudy Giuliani zu seinem Sohn.

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Rudy Giuliani schüttelt Präsident Bush die Hand
Rudy Giuliani mit Präsident BushBild: AP

Für die New York Times war es eine bedeutende Geschichte. Gleich drei Reporter waren auf den Artikel über die familiären Probleme des republikanischen Präsidentschaftskandidaten angesetzt. Höhepunkt des Stücks war ein Interview mit Giulianis Sohn Andrew, in dem dieser erklärt, dass er mit seinem Vater über längere Zeit nicht mehr gesprochen habe und dass es Probleme mit dessen neuer Frau gebe. Man versuche jetzt gemeinsam die Schwierigkeiten zu lösen. Der 21-Jährige, derzeit Student an der Duke University, ergänzte, er werde sich nicht am Wahlkampf seines Vaters beteiligen, da er sich ganz auf sein Ziel konzentriere, Profi-Golfer zu werden.

Es kam wie es kommen musste: Der Zwist der Familie Giuliani wurde zum nationalen Medien- und Gesprächsthema. Giuliani, dessen Büro eine Stellungnahme zum Verhältnis zu seinen Kindern für den Artikel der New York Times noch abgelehnt hatte, musste reagieren. Zwei Tage nach Veröffentlichung des Artikels bat der frühere New Yorker Bürgermeister während eines Wahlkampfauftritts in Kalifornien – bei dem es eigentlich um kriminelle Jugendgangs gehen sollte - um Berücksichtigung der Privatsphäre für seine Familie. Dies sei notwendig, um die Schwierigkeiten überwinden zu können, für die er allein die Verantwortung trage. Selbst wenn die Medien Giulianis Appell berücksichtigen und auf weitere Geschichten über das Privatleben der Familie verzichten: Die Tatsache, dass der Mann, der gute Chancen hat Nachfolger von Präsident Bush zu werden, mit seinem Sohn nicht klarkommt ist bereits Teil des Persönlichkeitsprofil des Kandidaten Giuliani geworden.

Unklare Grenzen zwischen Politik und Privatleben

Dabei ist Frage, wo das Privatleben eines Präsidentschaftskandidaten beginnt und wo es endet und wie die Medien darüber berichten, so alt wie die amerikanische Demokratie. Spannender ist, wie die Grenzen zwischen politischem und privatem Leben der Bewohner des Weißen Hauses im 20. Jahrhundert immer wieder neu justiert wurden.

Präsident Roosevelt sitzend mit dem britischen Premier Winston Churchill, ebenfalls sitzend
Präsident Roosevelt mit dem britischen Premier Winston ChurchillBild: AP

So war den meisten Amerikanern während der Ära Roosevelt nicht bewusst, dass ihr Präsident aufgrund einer Polio-Erkrankung einen Großteil seiner Zeit im Rollstuhl verbringen musste. Franklin Delano Roosevelt und seine Berater befürchteten, Berichte über die Krankheit würden die Menschen verunsichern und seinem Image als militärischer Oberbefehlshaber während des Zweiten Weltkriegs schaden und baten die Medien um Zurückhaltung. Die stillschweigende Übereinkunft hielt. FDR ist nicht nur der am längsten amtierende amerikanische Präsident, sondern gilt auch als einer der historisch bedeutendsten Bewohner des Weißen Hauses. Bilder, die FDR im Rollstuhl zeigen, gibt es bis heute nur wenige.

Kennedy und die Medien

John F. Kennedy mit seiner Frau Jacqueline im Tennisdress
Tennis mit Gattin: John F. Kennedy mit seiner Frau JacquelineBild: dpa

Ähnlich zurückhaltend verhielten sich die Medien wenige Jahrzehnte später. Obwohl die zahlreichen außerehelichen Verhältnisse und die Medikamentenabhängigkeit von Präsident John F. Kennedy in Washington ein offenes Geheimnis waren, berichteten die Medien praktisch nicht darüber. Im Gegenteil: Die Kennedys wurden häufig als vorbildliche moderne Familie dargestellt.

Der stillschweigende Pakt zwischen Medien und Politikern endete spätestens in den Achtziger und Neunziger Jahren zeitgleich mit dem Siegeszug des Kabelfernsehens. 1988 zog der damals führende Kandidat der Demokraten, Gary Hart, nach der Veröffentlichung einer außerehelichen Affäre, seine Bewerbung zurück. Hart hatte die Presse zuvor geradezu herausgefordert, ihn zu beschatten und Nachforschungen über sein Privatleben anzustellen. Rund zehn Jahre musste Präsident Bill Clinton wegen eines angeblichen Meineids im Zusammenhang mit einer Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky um sein Amt bangen. Zuvor hatte er öffentlich ein außereheliches Verhältnis vehement bestritten.

Medien als Sittenwächter

Porträtbild von Monica Lewinsky
Berühmte Praktikantin: Monica LewinskyBild: AP

Dagegen hielten sich die Medien mehrheitlich an den Wunsch der Präsidenten Carter, Clinton und Bush junior zurückhaltend über ihre Kinder zu berichten. Warum beschreibt die New York Times dann in diesem Fall die Probleme Rudy Giulianis mit seinem Sohn so ausführlich? Als sein Vater für das Bürgermeisteramt von New York kandidierte tauchte Sohn Andrew in Werbefilmen und Wahlkampfauftritten. Dagegen spielt er in der aktuellen Kampagne keine Rolle. Möglicherweise sehen die Journalisten der Zeitung darin ein Beispiel für die Doppelmoral des Kandidaten Giuliani. Vergleichbar mit dem Fall Clinton oder Hart ist es jedoch nicht.