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Tagebuch aus Erbil

24. November 2011

Sie ist schon ziemlich viel herumgekommen in der Welt – Hotelmanagerin und Restaurantfachfrau war die Journalistin aber noch nie. Und das auch noch im Nordirak. Für Doris Bulau ein Abenteuer der besonderen Art.

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Gedeckte Tische im Deutschen Hof Erbil (Foto: Doris Bulau)
Bild: Doris Bulau

Hier im "Deutschen Hof" in Erbil gibt es tatsächlich einen echt deutschen Stammtisch! Holzgetäfelte Wände, ein großer runder Tisch mit acht Stühlen. Eine alte Standuhr und ein Hirschgeweih vervollständigen das rustikale Ambiente. Die üblichen Kneipensprüche hängen auf Täfelchen an den Wänden – aber natürlich darf der unvermeidliche Flachbildschirm auch nicht fehlen. Den derben Holztisch beherrscht ein Riesenaschenbecher mit Keramikhenkel – Aufschrift: "Stammtisch". Damit auch wirklich jeder Bescheid weiß. Ganz nebenbei: Hier qualmen alle. Rauchfreie Kneipen kennt man Kurdistan nicht. Der Platz ist auch eine Art Konferenztisch fürs Personal. Hier trinken wir zwischendurch Kaffee und halten ein Schwätzchen. Der Fernseher läuft den ganzen Tag. Deutsche Privatsender sind hier angesagt, meine Kollegen aus den Philippinen, Bangladesh und auch die Nordiraker sind manchmal ziemlich fassungslos, wer und was sich ihnen auf dem Bildschirm so darbietet.

Kontakte knüpfen

Am Stammtisch sitzt nicht nur gelegentlich Gunter Völker, der Chef vom "Deutschen Hof" – derzeit allerdings zur Kur in der alten Heimat. Es treffen sich immer wieder sonderbare Zeitgenossen, moderne Glücksritter, aber auch gescheiterte, suchende, undurchsichtige Leute. Der erste Gast erscheint manchmal bereits morgens um 11.00 Uhr. Es ist Peter aus Wien. Er klappt immer sofort seinen Laptop auf, denn in seiner Wohnung hier fehlt ihm das Internet. Der "Hof" ist so etwas wie sein zweites Wohn- und Arbeitszimmer. Was er so macht? Peter bleibt vage: "Na ja, so dies und jenes, Kontakte knüpfen für ansässige deutsche Firmen und so weiter." Oft bleibt er bis zum späten Abend sitzen, tippt in seinen Computer, isst zwischendurch und trinkt etwas. Später kommt Christian. Er ist jeden Abend da – zur Zeit arbeitslos, aber: "Hier in Erbil findet sich immer was". Was er früher gemacht hat? Christian lacht und schweigt.

Über den Fassaden der Zitadelle von Erbil weht eine kurdische Fahne (Foto: dpa)
Über den Fassaden der Zitadelle von Erbil weht eine kurdische FahneBild: picture alliance / dpa

Irgendwas arbeiten

Dann gesellt sich Sebastian dazu, immer im feinen Zwirn. Er arbeite in der Pharmaindustrie, erzählt er - mehr möchte er nicht sagen. Und so geht’s weiter. Hans hat ein Bauunternehmen, so wie Rudi. Der kommt fast jeden Abend und sitzt meist schweigend bei uns. Vor vier Jahren arbeitete er in Afghanistan und wurde entführt. Er freut sich über meine ausgelesenen Krimis. Rudi will in Erbil bleiben, in Deutschland, so sagt er, könne er nicht mehr leben: "Da gibt’s zu viele Bestimmungen, Vorschriften, unendliche DIN-Normen, hier kann ich ganz anders planen und arbeiten." Natürlich so gut wie steuerfrei. Die überbordende kurdische Bürokratie überwindet er, wie in dieser Region üblich, mit Bakschisch.

… und dann ein Bier

Auch der junge Kurde Bayam gesellt sich zum Stammtisch. Er war mal mit seiner Familie Flüchtling in Österreich, lebte da mehr als 20 Jahre. Jetzt arbeitet Bayam als Dolmetscher für alle möglichen Auftraggeber und kommt fast jeden Tag in den "Deutschen Hof" auf ein Bier. Ganz unmoslemisch! Wir dürfen seiner Familie nichts davon verraten. Hier in Erbil leben viele solcher Glücksritter: Menschen, die schon überall gearbeitet haben, in Afghanistan, Kosovo, Sudan - und dann in den geordneten Verhältnissen Deutschlands oder Österreichs nicht mehr klar kommen. Bloß kein Zurück in heimische Gefilde. "Man ist doch ein Stück verdorben", meint Peter. Und irgendwie hat er recht.

Die deutsche Journalistin Doris Bulau (Foto: Doris Bulau)
Bild: Doris Bulau

Was mich hierher nach Erbil verschlagen hat? Eigentlich wohne ich ja schon ziemlich nahe dran, in Amman nämlich. Von hier sind es nur eineinhalb Flugstunden in den Nordirak. Früher habe ich in bequemen Büros und schönen Studios gesessen und als Journalistin gearbeitet. In Köln – noch vor drei Jahren. Eine andere Ära, so kommt es mir vor. Jetzt lebe ich zusammen mit meinem Mann in der jordanischen Hauptstadt und bin, was man so schön "mitreisende Ehefrau" nennt. Auch nicht ganz einfach. Da hat mich die Herausforderung gelockt! Ein ganz anderer Job, eine andere Kultur, ein anderes Leben. Wenn auch nur für ein paar Wochen.

Ich bin gespannt, was und wer mir hier so begegnet. Im "Deutschen Hof", in der Küche, im Restaurant – und draußen auf den Straßen

Autorin: Doris Bulau
Redaktion: Cornelia Rabitz