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Einheimische zeigen ihre Stadt

29. November 2017

Einheimische erzählen Geschichten aus ihrer Stadt: Das ist das Konzept des "Global Greeter Networks." Was vor 25 Jahren begann, ist zu einer weltweiten Bewegung geworden - und ist Ausdruck eines neuen Städtetourismus.

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Bonn - Global Greeter Network: Button
Bild: DW/L. Hänel

Es ist keine Stadtführung, es ist ein Spaziergang. Daran lässt Christoph Jäger keinen Zweifel. Ausgestattet mit kleinen weißen Spickzetteln navigiert er seine Besucher durch die Bonner Altstadt. Das ist sein Revier, hier kennt er sich aus. Nie begleiten ihn mehr als sechs Personen. Der Rundgang durch die Altstadt, auch "Greet" genannt, soll so persönlich wie möglich sein. Nicht selten beginnt ein Spaziergang damit, dass Jäger fragt: "Gibt es etwas, das dich besonders interessiert?"

Jäger ist einer von 25 Ehrenamtlichen, die Besucher durch Bonn führen. Sie gehören dem "Global Greeter Network" an, einem Netzwerk von Menschen, die weltweit Touristen kostenlos ihre Stadt zeigen. Dabei führen die EInheimischen die Besucher an Orte der Stadt, zu denen sie selbst eine persönliche Verbindung haben. Die Spaziergänge dauern zwischen zwei und drei Stunden. Der erste Greet führte vor 25 Jahren durch New York. 

Bonn - Global Greeter Network: Die Greeter Petra Neuhaus-Kreidler und Christoph Jäger
Die "Greeter" Petra Neuhaus-Kreidler und Christoph Jäger führen Bonner durch ihre StadtBild: DW/L. Hänel

Weltweites Netzwerk

Matthias Ohm hat vor einem Jahr die Bonner Gruppe gegründet. Die Idee kam ihm, als er selbst an einem Greet in Hamburg teilnahm. 30 Jahre lang hat Ohm internationale Kulturtreffen organisiert, inzwischen ist er in Rente. Für ihn ist das Greeter-Netzwerk eine "Fortsetzung der Idee der Völkerverständigung. Wir sind alle Zeitspender." Fast alle der 25 Freiwilligen im Bonner Greeter-Netzwerk arbeiten nicht mehr. "Man braucht auch etwas Zeit, um ein Greeter zu sein", erklärt Petra Neuhaus-Kreidler. "Oft wollen die Menschen einen Greet mitten am Tag. Das geht mit einem Vollzeit-Job natürlich nicht."

In Bonn kommt die Greeter-Idee an. Vor kurzem begrüßte die Gruppe ihren 100. Besucher, einen Taxifahrer aus Belfast. Greeter gibt es in rund 150 Städten weltweit; darunter sind touristisch beliebte Städte wie Granada in Spanien, aber auch entlegenere Orte wie Pokhara in Nepal. In wie vielen Städten wieviele Greeter aktiv sind, lässt sich aber kaum sagen. Das liegt auch daran, dass sich die Organisation im April diesen Jahres in das "Global Greeter Network" und die "Global Greeter Network Foundation" aufgespalten hat.

"Greeter" in Bonn zeigen ihre Stadt

Die Global Greeter Network Foundation, eine Stiftung also, verwaltet Spenden zentral in den Niederlanden. Im Gegenzug bekommen neue Greeter-Städte kostenlos eine Website eingerichtet. Das Global Greeter Network hingegen, dem auch Bonn und die meisten nordamerikanischen Städte angehören, organisieren alles autark. Jede Stadt kümmert sich selbst um ihre Website und um Spenden.

Beide haben jedoch gemeinsam, dass sie für ihre Spaziergänge kein Geld nehmen. "Wenn man mit einem Greeter unterwegs ist, wird es immer Kommunikation auf Augenhöhe geben, da kein Geld involviert ist. Es ist als würde man einen Freund treffen, von dem man gar nicht wusste, dass er existiert", sagt Jos Nusse von der Global Greeter Network Foundation. Besucher könnten nachträglich kleine Geldbeträge spenden. Trinkgeld unmittelbar im Anschluss an ein Greet sei aber nicht erwünscht.  

Zusammenarbeit mit den Städten

Für Harald Zeiss, Geschäftsführer des Instituts für nachhaltigen Tourismus, sind Netzwerke wie die Greeter auch Ausdruck eines neuen Städtetourismus: "Es geht vor allem um Authentizität. Die Städte sollten auf das veränderte Angebot eingehen und sanft mitsteuern." Ein Beispiel dafür sei die Ankündigung aus Berlin, die Stadt setze in Zukunft auf eine nachhaltigere Tourismusstrategie. Die schließt auch mit ein, Touristen stärker in Bezirke außerhalb des Stadtkerns zu locken.

Genau das könnten Greeter leisten: Für Jos Nusse sind Greeter die idealen Helfer für einen nachhaltigeren Städtetourismus. "In Den Haag haben wir einen älteren Mann, der in seinem Geburtshaus lebt. Jede Tour beginnt an diesem Haus, etwas abseits der Innenstadt. Die Leute sind begeistert, weil sie so eine andere Seite der Stadt sehen." Obwohl die Städte so von den Greetern profitieren können, sind manche skeptisch. Vor allem professionelle Stadtführer befürchten Konkurrenz durch die ehrenamtlichen Greeter.

Bonn - Global Greeter Network: Matthias Ohm  Gründer des Global Greeter Network
Matthias Ohm hat vor einem Jahr das "Global Greeter Network" nach Bonn geholtBild: DW/L. Hänel

Als Matthias Ohm seine Bonner Greeter-Gruppe gründete, war die Zusammenarbeit mit der Stadt sogar eine Grundvoraussetzung: "Wenn die Stadt sich quer gestellt hätte, hätte ich es nicht gewagt." Geld bekommt er nicht seitens der Stadt, aber die städtische Website erwähnt die Bonner Greeter. "70 bis 80 Prozent der Anfragen kommen so inzwischen über die Website der Stadt", sagt Ohm. Auch Jos Nusse kann das bestätigen. Gerade in Frankreich seien sehr viele Greeter aktiv, da sie dort viel Unterstützung von den Städten erhielten.

Von der Übernachtung bis zum Essen

Das Global Greeter Network ist aber nur eines von vielen Angeboten, das das Bedürfnis nach Authentizität des modernen Städtetouristen stillen soll. "Couchsurfing" ist ein bekanntes Beispiel für kostenlose Übernachtungen bei Einheimischen.

Und auch kommerzielle Anbieter haben das Konzept, eine Stadt zu erleben, statt sie nur zu besuchen, längst für sich entdeckt. Die Wohnungsplattform "Airbnb" bietet neben Schlafplätzen auch sogenannte "Experiences" an. In Deutschland gibt es dieses Angebot bislang nur in Berlin. Touristen können von einer Stadttour mit einem Hundeflüsterer über einen Tangokurs bis zu einem Apfelstrudel-Workshop verschiedene Erlebnisse in der Stadt buchen. Angeboten werden sie von Berlinern; die Kosten belaufen sich auf 30 bis 150 Euro, je nachdem, wie ausgefallen das Angebot ist. Die Plattform "EatWith" hat sich hingegen auf Essen spezialisiert. Einheimische Hobbyköche bieten dort Menus für Besucher, ein Teil der Kosten geht als Gebühr an EatWith.

So verändern sich Metropolen auf der ganzen Welt zu Orten, an denen Touristen keine Touristen mehr sind. Sie sind Einheimische auf Zeit - ohne Restaurantbesuche, Hotelübernachtungen und massenhaftes Fotografieren von Sehenswürdigkeiten.