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Globalisierte Katastrophe

Oliver Samson19. August 2002

Aus vielen Teilen der Welt werden derzeit Unwetter-Katastrophen gemeldet. Die Überschwemmungen in Mitteleuropa nehmen sich dagegen fast harmlos aus.

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Weder in Sachsen, noch in Bayern: Überschwemmung in BangladeshBild: AP

Niemand soll sagen, man habe es nicht ahnen können. Dr. Gerhard Berz, Leiter des Fachbereichs Georisikoforschung der Münchener Rückversicherung, drückte es in der jährlichen Naturkatastropohenbilanz 2001 seines Konzerns folgendermaßen aus: Man müsse "aufgrund der globalen Treibhaus-Emissionen noch jahrzehntelang mit den weiter steigenden Auswirkungen der Klimaveränderung, in erster Linie häufigeren und intensiveren Naturkatastrophen, rechnen."

Das war im März dieses Jahres. Einen August wie diesen wird aber auch er kaum erwartet haben. Österreich, die Ukraine, Italien, England und Tschechien wurden neben Deutschland Opfer von Flutkatastrophen mit Dutzenden von Toten. Die Schäden sind noch kaum zu schätzen, gehen aber auf jeden Fall in die Milliarden. Durch die Katastrophen in unmittelbarer Nachbarschaft drohen die zeitgleichen, meist noch weit verheerenderen Katastrophen rund um den Globus in den Hintergrund gedrängt zu werden.

"Unvorstellbare Zerstörungen"

In Indien, Bangladesch, Laos, Nepal, China und auf den Philippinen forderten die außergewöhnlich starken Monsun-Überschwemmungen fast 1000 Tote, über 25 Millionen Menschen mussten dort evakuiert werden. Eine Million Hektar Ackerland wurden vernichtet. Der indische Katastrophenschutzminister Manghi Singh sprach von den schlimmsten Überschwemmungen seit 20 Jahren, die Zerstörungen seien "unvorstellbar".

Mehr als 100 Millionen Menschen sind in China nach offiziellen Angaben von den Überschwemmungen betroffen, die bislang mehr als 1000 Menschenleben gefordert haben. Durch das Hochwasser musste auf dem Jangste-Strom an der Baustelle zum größten Wasserkraftwerk der Welt die Schifffahrt eingestellt werden. Der Dongting See, der in der zentralchinesischen Provinz Hunan als Überlaufbecken für den Jangtse dient, erreichte die Hochwassermarke. Von den anhaltenden sommerlichen Überschwemmungen, den schwersten seit der Flutkatastrophe vor drei Jahren, sind außerdem die Provinzen Jiangxi, Sichuan und Xinjiang im äußersten Westen des Landes betroffen.

Flut und Dürre

Grausige Ironie des Schicksals: Manche der betroffenen Staaten sind gleichzeitig von Wassermangel geplagt. Große Teile Indiens sind von der schlimmsten Dürre seit 15 Jahren betroffen. In einigen Gebieten Nepals haben sich die Bäuerinnen wegen der Trockenheit auf ein altes Regenritual besonnen: Sie ließen ihre Männer in den Häusern, verriegelten Fenster und Türen und pflügten nackt ihre Felder. Damit soll der Hindu-Gott Indra, der Herrscher des Himmels, besänftigt werden.

Verlosung von Viehfutter

Im Osten Australiens glaubt man nicht an die regenbringende Kraft nackter Farmerinnen, aber auch dort herrscht extreme Dürre, weswegen mehr als ein Dutzend Buschfeuer wüten. Ebenfalls unter extremer Trockenheit leiden eine halbe Million Menschen im Hochland Vietnams, sauberes Wasser wird dort knapp, über 30.000 Hektar Reis- und Kartoffelfelder sind vernichtet. Andernorts retten sich die Bewohner mit Müh und Not vor Überschwemmungen und Erdrutschen: Mindestens 22.000 Menschen wurden in Vietnam von der Armee in mehreren Provinzen vorsorglich evakuiert. Betroffen vom Hochwasser sind mehrere Provinzen, in denen Reis und Kaffee angebaut wird.

Die Hungersnöte in Nord-Korea und Simbabwe gehen nicht nur auf Misswirtschaft, sondern eben auch auf ausbleibende Niederschläge zurück. Millionen Menschen sind vom Hunger bedroht. Im kanadischen Bundesstaat Alberta herrscht die schlimmste Trockenheit seit 133 Jahren, die verbleibenden Halme werden von einfallenden Heuschreckenschwärmen aufgefressen. Die Preise für Viehfutter haben sich im letzten Jahr verdoppelt - inzwischen wird das verbleibende Heu unter den Rinderfarmern verlost.

Vervierfachung der Naturkatastrophen

Dass die Häufungen der Wetterkatastrophen nur ein Zufall sein könnte, behauptet indes kaum noch ein Wissenschaftler. Die Daten der Münchner Rückversicherung belegen, dass sich die Zahl der Naturkatastrophen in den vergangen vier Jahrzehnten mehr als vervierfacht hat. Der SPD-Umweltexperte Michael Müller fordert nun ein gemeinsames Vorgehen beim Weltgipfel in Johannesburg: Es soll über das Wetter geredet werden. „Klimaschutz ist keine Spielerei“, sagt Müller. Nach diesem August wird ihm kaum jemand widersprechen können.