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Globalisierungskritik nach Genua

Andreas Becker8. November 2002

Das erste Europäische Sozialforum findet in Florenz statt (6.-10. November 2002)

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Attac - das globalisierungskritische Netzwerk - wird sich auf dem 1. Europäischen Sozialforum Gehör verschaffen.Bild: dpa

Anfang des Jahres versammelten sich im brasilianischen Porto Alegre rund 60.000 Menschen zum zweiten Weltsozialforum, um gegen die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung zu demonstrieren. Das Treffen galt auch als Gegenveranstaltung zum gleichzeitig stattfindenden Weltwirtschaftsforum in New York, das die Globalisierungsgegner als "Cocktailparty der Reichen" bezeichneten. Vom 6. bis zum 10. November 2002 findet mit dem Europäischen Sozialforum erstmals ein europäischer Ableger dieser Protestveranstaltung statt - ausgerechnet in Italien, wo es im Juli 2001 bei den Demonstrationen in Genua zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.

Die sogenannten Globalisierungsgegner haben immer wieder betont, dass sie nicht Gegner, sondern Kritiker der Globalisierung sind. Ihre Kritik richtet sich unter anderem gegen den Neoliberalismus, und das heißt für sie nicht zuletzt die Macht international agierender Konzerne und die krassen Gegensätze zwischen Reichen und Armen. Auch der drohende Krieg gegen den Irak ist für sie ein Thema. Beim Europäischen Sozialforum in Florenz versuchen die Kritiker nun, es wie die großen Konzerne zu machen und sich international stärker zu vernetzen. Luciano Muhlbauer ist einer der italienischen Koordinatoren des Forums:

"Die Methode ist, dass die Bewegungen, die Organisationen, die Gewerkschaften, alle diese Gruppen zusammenkommen und anfangen, miteinander zu reden. Was mache ich in Griechenland, was mache ich in Italien, was mache ich in Deutschland, was mache ich in England? Ein Beispiel: Vor einem Monat gab es große Demonstrationen gegen einen Krieg (mit dem Irak). In Rom waren es 150.000 Leute, in London 400.000 Leute, in Dublin gab es Demonstrationen, in Griechenland und auch in Spanien. Heute haben wir die Möglichkeit, alle diese Sachen zusammenzubringen, zusammen zu überlegen was es heißt, heutzutage gegen den Krieg und für den Frieden zu kämpfen. Und das heißt auch, eine europäische Organisation aufzubauen und eine europäische Anti-Kriegsbewegung zu bilden."

Doch in Florenz sollen nicht nur neue Demonstrationen geplant werden, auf die Teilnehmer wartet auch eine Menge inhaltlicher Arbeit. Das Europäische Sozialforum findet daher bewußt nicht als Gegenveranstaltung zu einem großen Wirtschaftsgipfel statt. Auf der Tagesordnung steht vielmehr die Erarbeitung von Alternativen zur politischen und wirtschaftlichen Realität. Hugo Braun, der für ATTAC-Deutschland an der Vorbereitung des Forums beteiligt ist, sieht das als wesentliche Veränderung im Selbstverständnis der Globalisierungskritiker. Die Bewegung hat es satt, immer nur gegen etwas zu protestieren:

"Es ergibt sich natürlich, wenn man gegen etwas protestiert, die Frage, was denn die Alternative sein könnte. Und genau diesem Zweck dient jetzt das Europäische Sozialforum. Es ist auch eine Suche nach Alternativen. Zumal hinzukommt, dass die Problematik, so hat es sich auf den Weltsozialforen erwiesen, in den unterschiedlichen Kontinenten auch unterschiedlich ist, so dass es diese Allgemeinverbindlichkeit von Alternativen für eine weltweite Bewegung eigentlich nicht geben kann."

Ein Beispiel sind Sozialsysteme. In Europa drohen angesichts leerer Kassen starke Einschnitte im Gesundheitssystem, Kritiker warnen bereits davor, dass sich bald nur noch besser Verdienende eine ausreichende medizinische Versorgung leisten können. In vielen Entwicklungsländern besteht das Problem dagegen darin, dass es überhaupt kein flächendeckendes Gesundheitssystem gibt.

Rund 20.000 Teilnehmer werden in Florenz erwartet. Sie kommen aus allen Ländern der Europäischen Union, aber auch aus Osteuropa, Russland, der Türkei, Israel und Palästina. Die Bewegungen und Organisationen, denen sie angehören, sind dabei sehr unterschiedlich und reichen von den großen Gewerkschaften über kirchliche Organisationen bis zu marxistischen Gruppen. Sie alle werden in hunderten von Konferenzen, Seminaren und Workshops über Alternativen diskutieren. Angesichts dieser bunten Vielfalt ist es fraglich, ob sie dabei zu einem gemeinsamen Nenner finden. So ist nicht vorgesehen, am Ende des Forums eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden.

Das Europäische Sozialforum ausgerechnet in Italien abzuhalten, ist eine bewußte Entscheidung der Veranstalter. Bei den Demonstrationen von Genua kam es im Sommer 2001 zu heftigen Zusammenstößen mit der italienischen Polizei. Die ging mit einiger Brutalität zu Werke, inzwischen ermittelt sogar die italienische Staatsanwaltschaft gegen einige Polizisten. Mitveranstalter Luciano Muhlbauer versteht die Ortswahl Florenz daher als politisches Zeichen:

"Es ist sehr wichtig nach Genua, auch nach der brutalen Repression und dem Mord am Demonstranten Carlo Guiliani, dieses Europäische Forum heute hier in Italien zu machen. Hier gibt es kein Problem mit Gewalt, hier gibt es ein politisches Problem. Und dieses politische Problem sitzt in Rom und heißt Regierung Berlusconi."

Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat unterdessen angekündigt, die Grenzübergänge nach Italien während des Sozialforums verstärkt kontrollieren zu lassen und das Polizeiaufgebot zu verstärken. Denn in Florenz wird nicht nur debattiert, sondern auch demonstriert: Zur großen Kundgebung am Samstag (9.11.) erwarten die Veranstalter über 100.000 Menschen.