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Im Kino: "Ein deutsches Leben"

Jochen Kürten
6. April 2017

Brunhilde Pomsel, ehemalige Sekretärin von Joseph Goebbels, blickt zurück auf ihre Arbeit während des Nationalsozialismus. Der beeindruckende Interview-Film kommt jetzt in die Kinos.

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Film Ein deutsches Leben
Bild: Salzgeber & Co. Medien GmbH

Wie war das damals während des Nationalsozialismus? Hat man alles gewusst, die Verbrechen der Nazis gekannt? Und wie hat man sich dann zu ihnen gestellt? Welche Haltung hat man angenommen? Diese historischen Urfragen, die heute noch die Debatte über die Zeit zwischen 1933 und 1945 bestimmen, bilden das Gerüst des Interview-Films "Ein deutsches Leben". Christian Krönes, Olaf Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer haben vor fünf Jahren begonnen, Brunhilde Pomsel, die im Januar 2017 gestorben ist, zu befragen - und haben die alte Dame ausgiebig zu Wort kommen lassen. Pomsel war in den letzten drei Kriegsjahren Joseph Goebbels' persönliche Stenographin und Sekretärin im Reichspropaganda-Ministerium.

Das Konzept des Films könnte man minimalistisch nennen, gedreht wurde in Schwarzweiß. Die langen Gesprächssequenzen werden nur von kurzen Dokumentarfilmschnipseln unterbrochen: Propagandastreifen der Nazis, aber auch Filmaufnahmen der Alliierten, die bei der Befreiung der Konzentrationslager entstanden. Kommentare, Nachfragen und Ähnliches sind nicht zu sehen im Film - die Regisseure haben ganz bewusst darauf verzichtet. Ein ästhetisches Mittel, das die Zuschauer zum Denken anregen soll. Beim Münchner Filmfest war "Ein deutsches Leben" erstmals zu sehen, nun kommt er in unsere Kinos. Wir haben mit Christian Krönes und Florian Weigensamer gesprochen.

Filmfest München - Premiere von Ein deutsches Leben
Die Filmemacher Roland Schrotthofer, Christian Krönes und Florian Weigensamer beim Filmfest in München, es fehlt Olaf Müller.Bild: DW/J. Kürten

Deutsche Welle: War Brunhilde Pomsel eigentlich direkt bereit, den Film mit Ihnen zu machen?

Christian Krönes: Wir haben Frau Pomsel im Zuge einer anderen Recherche zufällig getroffen. Dieses nicht mehr erwartete Treffen mit einer lebenden Legende war dann für uns Veranlassung, den Versuch zu wagen. Als wir den Film begonnen haben, war sie gerade 101 Jahre alt. Wir wussten, wir würden nicht mehr sehr viel Zeit haben. Wir wollten diesen Film aber unbedingt machen.

Wie hat sich das denn während der Vorbereitungen und Dreharbeiten entwickelt?

Krönes: Es hat einige Zeit gedauert, sie aufzutauen, da sie mit Medien, die ihre Geschichte und ihre Interviews sehr verkürzt dargestellt haben, schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Es hat einige Zeit gedauert, sie zu überzeugen. Als sie dann bereit war, hat sie mit großer Konzentration und großer Disziplin die für sie sicher sehr anstrengenden Dreharbeiten durchgehalten. Sie hat sich wirklich erstmals in umfassender Form geöffnet.

Man hat beim Zuschauen das Gefühl, das Frau Pomsel sich ehrlich äußert und auch reflektiert. Hatten sie dieses Gefühl auch bei den Dreharbeiten?

Krönes: Ich glaube nicht, dass sie verdrängt hat. Sie hat sicher reflektiert. Sie nimmt auch sehr am gegenwärtigen Geschehen teil. Sie reflektiert die Gegenwart, hat ihr Leben reflektiert. Es gibt in ihren Erzählungen sicher wiederkehrende Sprachmuster. Da gibt es sicher auch noch das ein oder andere Detail, die ein oder andere Geschichte, die sie uns nicht erzählt hat und die sie noch nie erzählt hat. Auf der anderen Seite hat sie doch in gewisser Weise ein Bekenntnis über ihr Leben abgelegt. Als wir ihr den Film gezeigt haben, der ihr sehr gut gefallen hat, hat sie den durchaus denkwürdigen Satz ausgesprochen, wie wichtig es doch sei, am Ende des Lebens nochmal einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, um zu erkennen, was man alles falsch gemacht hat.

Filmstill Ein deutsches Leben
Gibt sich nachdenklich in "Ein deutsches Leben": Brunhilde Pomsel Bild: Filmfest München 2016

Es gibt bei ihr ja einen Wechsel zwischen "Schuld abweisen" und "bekennen". Ist das nicht auch ein Spiegel für das Verhalten von ganz vielen Menschen nach dem Krieg?

Krönes: Ich denke, Frau Pomsel steht für Millionen andere, Millionen Mitläufer, die dieses System ermöglicht haben. Das ist wahrscheinlich der Aspekt, der diesen historischen Film, dieses historische Zeitdokument, so interessant macht für die Gegenwart. Der Film erzählt von einer funktionierenden Gesellschaft, die aus den Fugen gerät: Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Aufstieg der Nationalsozialisten. Eine knappe Dekade später mündet das in der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte.

Wir stehen eigentlich gegenwärtig in einer sehr ähnlichen Situation. Das macht den Film modern und zeitlos. Wir haben eine Wirtschaftskrise überwunden, und wir werden von einer Flüchtlingswelle überrollt. Überall in Europa erstarken die rechten Parteien. Die problematische Situation: Diesmal ist es nicht nur ein Land, wie damals Deutschland, sondern es ist diesmal der gesamte europäische Kontinent, der irgendwo nach rechts driftet.

In einer Szene kommt zum Ausdruck, wie Frau Pomsel emotional reagiert, nämlich als sie über den Tod der Kinder von Goebbels spricht. Bei den anderen Opfern, also Juden, zivilen Opfern etc., reagiert sie weniger emotional. Was steckt dahinter?

Florian Weigensamer: Es gibt noch eine zweite Szene. Das ist die Stelle, wo es um Sophie Scholl geht und um den Widerstand. Pomsel meint: "Diese armen jungen Menschen damals, wegen eines Flugblatts hingerichtet…". Beide Szenen erzählen, wie ich finde, sehr gut, dass es Frau Pomsel immer nur um die persönlichen Emotionen ging und nie um das "Darüberstehen", um das politische Gesamtbild. Das hat sie nie gesehen.

Filmfest München - Premiere von Ein deutsches Leben
Nach der Premiere in München 2016: die Filmemacher und die Zeitzeugin PomselBild: Filmfest München

Ihr tun die beiden armen Menschen leid, die wegen eines Flugblatts hingerichtet werden: "Hätten sie doch nur den Mund gehalten, dann würden sie heute noch leben." Das ist an sich eine absurde Feststellung, die in ihrer Welt aber wieder logisch ist. Denn ihr geht es nur um diese zwei Personen. Und ähnlich wie bei den Kindern von Goebbels, geht es ihr nur um die persönlichen Emotionen: "Die armen kleinen Kinder…" Es geht ihr nicht um den ganzen Wahnsinn drumherum.

Sprechen wir über die filmische Ästhetik: Sie arbeiten in Schwarzweiß und ohne Kommentare und montieren nur kurze Dokumentarfilme zwischen die Interviewblöcke, kurze Nazi-Propagandafilme sowie Aufnahmen der Alliierten, die das Grauen unmittelbar nach der Befreiung der Konzentrationslager zeigen.

Krönes: Das Thema, um das es geht, ist ein zeitloses. Wir wollten den Versuch setzen, diesem zeitlosen Thema auch eine zeitlose Ästhetik zu geben. Wir haben uns für die Schwarzweiß-Variante entschieden, wir haben Brunhilde Pomsel durch die Studio-Situation Raum und Zeit enthoben. Die Schwarzweiß-Ästhetik verleiht dem Film einen zeitlosen Charakter.

Weigensamer: Das Archivmaterial kann man nicht kommentieren. Das ist selbst schon Propagandamaterial. Da nochmal einzugreifen, das wäre wieder Propagandamaterial, verkleidet als historisches Material. Wir wollten das unbedingt so stehen lassen, ohne Musik, ohne Schnitt, ohne, dass wir eingreifen. Wir wollten das nur als das ausweisen, für dessen Zweck es hergestellt wurde. Dann erzählt es auch eine andere Geschichte, als man es oft in Fernsehgeschichten sieht.

Brunhilde Pomsel
Starb im Januar mit 106 Jahren: Brunhilde PomselBild: picture-alliance/dpa/M. Balk

Wobei es sich nicht nur um Propagandamaterial, sondern auch um Sequenzen handelt, die Amerikaner und Russen nach der Befreiung aufgenommen haben. Auch das wird unkommentiert stehen gelassen. Warum?

Weigensamer: Es soll natürlich in mancher Hinsicht auch ein Kontrapunkt sein zu Frau Pomsels Sicht über diese Zeit: "Ja mein Gott, die Juden… Ich habe das gar nicht mitbekommen…, die Konzentrationslager..." Dann muss man halt zeigen, was war und dass man sehr wohl wissen konnte, wenn man wollte und das hätte sehen können. Das ist ja der Vorwurf oder die einzige Schuld, die sie hat. Das Wegsehen ist ja Schuld, und das Unpolitischsein, das ist ja schon Schuld genug. Es geht gar nicht darum, sie als einen Nazi zu dekuvrieren. Das war sie wohl gar nicht. Sie war einfach uninteressiert - und das ist eben eine Schuld.

Das Gespräch führte Jochen Kürten nach der Deutschland-Premiere von "Ein deutsches Leben" auf dem Filmfest in München. Mehr zum Film in der aktuellen Ausgabe von KINO.