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Politik

Weltbürger aller Länder, vereinigt euch!

Helena Kaschel
27. Oktober 2018

Das Projekt "The Good Country" - ein virtueller Staat - soll global denkende Menschen vernetzen und andere Länder zur Zusammenarbeit bewegen. Ein ambitionierter Plan in den Zeiten von Trump und Brexit.

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San Francisco Rise for Climate Aktion Klimawandel Protest
Probleme wie der Klimawandel sind nach Ansicht der Gründer von "The Good Country" nur gemeinsam lösbarBild: Getty Images/AFP/A. Osborne

Noch ist das Land, das die Welt verändern soll, nicht größer als ein Dorf. Rund 3000 Menschen aus 119 Ländern haben sich seit Mitte September als Bürger von "The Good Country" registriert - einem digitalen Staat, der weder über Staatsgebiet noch eine Regierung oder eine Armee verfügt, dafür aber über ein ehrgeiziges Ziel: "Die Kultur der Regierungsführung weltweit von einer grundlegend wettbewerbsorientierten zu einer grundlegend kooperativen zu verändern", wie es auf der Webseite der Initiative heißt.

Um die Herausforderungen einer globalisierten Welt - von sozialer Ungleichheit über Migration bis zum Klimawandel - zu meistern, müssten Nationen besser zusammenarbeiten, anstatt miteinander zu konkurrieren oder gar gegeneinander zu kämpfen. Das Good Country solle selbst als gutes Beispiel vorangehen und gleichzeitig die Kooperation zwischen Ländern stärken. Zusammenarbeit statt Abschottung, das Wohl der internationalen Gemeinschaft und des Planeten Erde als Priorität, Einwohner, die sich als Weltbürger verstehen: Das von dem britischen Politikberater Simon Anholt und der amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Madeline Hung gegründete "Land" klingt wie ein utopischer Gegenentwurf zu Phänomenen wie dem Brexit oder der Politik von US-Präsidenten Donald Trump.

USA, Houston: Donald Trump bei einer Wahl-Veranstaltung
"America first!" - Donald Trump gilt nicht als Freund globaler IdeenBild: picture-alliance/AP/E. Gay

Tatsächlich sei es eher Zufall, dass die Gründung des Good Country in eine Zeit falle, in der Nationalismus wieder auf dem Vormarsch zu sein scheine, betont Anholt. Das Ziel des Projekts sei bewusst ambitioniert formuliert und die Mission "viel langfristiger angelegt als die aktuelle politische Phase", so der 57-Jährige, der in den vergangenen 20 Jahren mit Staats- und Regierungschefs aus mehr als 50 Ländern zusammengearbeitet hat.

760 Millionen potentielle Bürger

Dass Anholt und Hung keine NGO oder Stiftung gegründet haben, um ihre Vision umzusetzen, sondern sich an der Idee eines Staates orientieren, hängt vor allem damit zusammen, welchen Einfluss sie sich auf der weltpolitischen Bühne erhoffen. "Ein souveräner Staat kann der internationalen Gemeinschaft seinen Willen auferlegen. Er hat die Macht, andere Länder einzuberufen und selbstständig oder im Kollektiv zu agieren. NGOs können keine Außenpolitik machen", so Anholt.

Simon Anholt
"The Good Country" könnte mit innovativen Formen der Diplomatie experimentieren, sagt Simon AnholtBild: One Chocolate Communication

Noch ist das Projekt weit entfernt von einem souveränen Staat. Geht es nach Anholt, könnte aus dem Good Country jedoch irgendwann eines der einflussreichsten Länder der Welt werden. Die Gründer gehen von rund 760 Millionen potentiellen Bürgern weltweit aus, die sich mit den Werten identifizieren, die dem Projekt zugrunde liegen. Würden sie sich alle als Bürger des Good Country registrieren und - wie es die Gründer vorsehen - fünf Dollar im Jahr an Steuern zahlen, "könnten wir jedes Jahr das Äquivalent des Bruttoinlandsprodukts von Sierra Leone für unser Engagement ausgeben", schätzt Anholt.

"Neue Formen der Diplomatie und Außenpolitik"

Die Steuereinnahmen (Bürger können auch mehr als fünf Dollar einzahlen und damit andere Bürger sponsern) führten dazu, dass das Good Country "harte wirtschaftliche Macht" habe, so Mitgründerin Madeline Hung in einem Interview mit der BBC. "In bestimmten Situationen könnten wir diese Macht einsetzen, um andere Akteure an den Verhandlungstisch zu treiben." Über finanzielle Ressourcen und die "kollektive Stimme" von potentiell Millionen von Bürgern hinaus will das Good Country unter anderem auf "neue Formen der Diplomatie und Außenpolitik" setzen. Wie diese aussehen könnten, ist jedoch noch unklar. Denkbar seien etwa "neue und interessante Koalitionen" aus traditionellen Nationalstaaten, Unternehmen und anderen Akteuren. Anholts Beziehungen aus seiner früheren Beratertätigkeit könnten, wie er selbst sagt, bei der Umsetzung der Maßnahmen von Vorteil sein.

Screenshot - The Good Country
Screenshot der Webseite von "The Good Country" - bisher finanzieren die Gründer das Projekt selbstBild: goodcountry.org

Dass das Good Country, das nach dem von Anholt entwickelten "Good Country Index" benannt ist, in ferner Zukunft bei den Vereinten Nationen als Staat anerkannt wird, wie es sich die Gründer wünschen, hält die Trierer Politikwissenschaftlerin Natalie Tröller allerdings für unrealistisch. "Staatlichkeit ist an bestimmte Attribute gebunden. Gleichzeitig muss man von einem Großteil der Staaten in den Vereinten Nationen als solcher anerkannt werden", so Tröller in der "Süddeutschen Zeitung" (SZ).

Demokratisierung durch Blockchain und KI?

Was ist Bitnation?

Auch das Konzept des virtuellen Staates bringt aus ihrer Sicht Schwierigkeiten mit sich. Zwar wird die Agenda des Good Country von den Bürgern bestimmt, etwa durch regelmäßige Umfragen zu den drängendsten Herausforderungen und Diskussionen über mögliche Herangehensweisen - in der Theorie für viele normale Bürger eine bisher nicht dagewesene Möglichkeit, sich auf internationaler Ebene Gehör zu verschaffen. Die demokratische Meinungs- und Entscheidungsfindung findet allerdings ausschließlich auf digitalen Plattformen statt - Technologien wie künstliche Intelligenz und Blockchain spielen dabei eine essentielle Rolle.

"Das Konzept soll alle Weltbürger ansprechen, steht de facto aber nur denen offen, die lesen und schreiben können und über moderne Kommunikationstechnologie verfügen", so Tröller in der SZ. Laut Anholt denke man bereits über Lösungen für das Problem nach. Angedacht sei etwa, die Good-Country-Plattform in Subsahara-Afrika für Nicht-Smartphones zugänglich zu machen.

Erste diplomatische Beziehungen aufgenommen

Derzeit arbeiten nur drei Personen in Vollzeit an dem Projekt, das die Gründer nach eigenen Angaben bisher aus eigener Tasche finanziert haben. Erste Strukturen und der Kontakt zu Experten von außen, die bei der Umsetzung der Vision helfen sollen, sind aber schon geschaffen. Bis Dezember können sich insgesamt 200.000 Interessierte als Bürger registrieren, danach werden die Ideen der Gründer einem praktischen "Stresstest" unterzogen. Sollten die Prozesse ablaufen wie geplant, nimmt das Good Country ab September 2019 wieder Bürger auf.

Viele hätten noch falsche Vorstellungen von dem Projekt, räumt Anholt ein. "Ich werde ständig gefragt, wann wir eine Flagge oder eine Nationalhymne bekommen. Diese Dinge sind nicht wichtig, weil wir nicht versuchen, einen traditionellen Staat zu imitieren." Trotz der Missverständnisse blickt er optimistisch in die Zukunft: Man sei bereits mit drei Ländern im Gespräch über diplomatische Beziehungen. Ein Austausch von Botschaftern könnte noch in diesem Jahr erfolgen.