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Glaube

Gott braucht Hilfe

13. April 2017

Karfreitag ist der Tag, an dem Christen sich an die Kreuzigung erinnern. Es ist der Tag, an dem sich Gott nicht selbst helfen konnte. Wie soll Gott dann uns Menschen helfen? Eine junge Frau in Holland fand eine Antwort.

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BdT Deutschland Bild des Tages St. Michael Kirche in München Kreuz vor dem Altar
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Kein Spiel, kein happy end

Karfreitag ist viel mehr als die Vorbereitung auf Ostern. Es ist leicht, bei der Geschichte von der Kreuzigung Jesu gleich an die Auferstehung zu denken, als wäre Jesus nicht wirklich gestorben, wie jeder Mensch vor und nach ihm. Als wäre alles ein abgekartetes Spiel und alle Eingeweihten wüssten, dass die Pointe noch kommt. Aber Karfreitag hat keine Pointe. Karfreitag geht nicht gut aus. Ein Mensch, nach christlichem Verständnis sogar Gott selbst, hängt an diesem Tag hilflos am Kreuz und stirbt, langsam und qualvoll als Opfer menschlicher Gewalt. Das ist ein Skandal. Nicht nur, weil dieser Tod grausam und blutig ist, wie es in manchen Verfilmungen dieser Geschichte betont wird. Gott stirbt. Das ist der Skandal. Das ist das Ende  aller Allmachtsfantasien. Das ist das Ende von Trost und Hoffnung. 

Die Bibel erzählt, dass es so auch die Menschen erlebt haben, die dabei waren. Einfache Zuschauer, religiöse Eliten oder gar die Menschen, die mit Jesus zusammen gekreuzigt werden – sie alle hoffen, dass Jesus sich jetzt selbst helfen wird, weil sie dann sicher sein können, dass Jesus auch ihnen helfen wird. Sie hoffen dass er vom Kreuz steigt. Sie hoffen auf eine Pointe, die nicht kommt. Kein Triumph, keine zweifelsfreie Demonstration von Macht. Jesus stirbt.

Wir müssen Gott helfen

Alle Erwartungen an Gott werden enttäuscht an Karfreitag. Gott ist hilflos, und wir haben keinen Helfer. Wie ist das zu ertragen? Mit dieser Frage war  Etty Hillesum konfrontiert. Die junge Frau lebte als Jüdin im Amsterdam, als die Nazis die Stadt besetzt hatten. . Ähnlich wie  Anne Frank beinahe zur selben Zeit schrieb Etty Hillesum ein Tagebuch, das nach dem Krieg  veröffentlicht und weltbekannt wurde – sie selbst  wurde 1943 als 29-jährige in Auschwitz umgebracht . In ihren Texten begegne ich einer faszinierenden Frau, die bei allen Schrecken der Verfolgung sich doch ihre Lebenslust und Hoffnung bewahrt. Obwohl sie kaum religiös aufwuchs, entwickelte sie im Laufe der Jahre eine besondere Vorstellung von Gott, mit dem Sie in ihren Schriften auch immer wieder Zwiesprache hält:

„Nur dies eine wird mir immer deutlicher, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen.“

Das Leid des Alltags gibt Ansporn

Gott als der, dem wir helfen müssen. Eine ungewohnte Perspektive. Zumal von einer Frau, die in ihrer Umwelt mehr und mehr selbst zum Opfer wurde, leiden musste. Dabei sieht Etty Hillesum sich selbst nicht in der Rolle des passiven Opfers. Gerade das unsägliche Leid ihres Alltags ist für sie Ansporn Verantwortung zu übernehmen. Für sie bedeutet das sowohl anderen Menschen zu helfen als auch die eigene Fähigkeit zu hoffen und zu lieben nicht zu verlieren. Im Durchgangslager Westerbork, vor ihrer Deportation nach Auschwitz, hilft sie vielen Leidenden und strahlt eine Ruhe aus, die andere aufrichtet und am Leben hält.

Wenn Gott auch zum Opfer wird, wenn er nicht über der Welt schwebt, sondern mittendrin steckt, wenn er mit den Menschen leidet – dann wird er tatsächlich menschlich. Und er gibt Menschen wie Etty Hillesum Kraft über das, was sie in ihrem Leben finden, hinaus zu glauben, zu lieben und zu hoffen. Es ist kein siegesgewisser Triumph, kein verlogenes happy end. Sondern eine leise, zerbrechliche Hoffnung.