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Glaube

21. November 2017

Gertrud von Helfta und Jakob Böhme – beiden Mystikern, deren Seelen Gott berührt hat, gedenken die Kirchen in diesen Tagen. Christian Feldmann von der katholischen Kirche über zwei außergewöhnliche Menschen.

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Sonne Wolken
Die Welt, ein einziges großes Wunder: für den Mystiker Jakob Böhme zeigte sich das Licht Gottes in allen Dingen, insbesondere aber in den Wundern der Natur. Bild: knipseline/pixelio.de

Einem menschenfreundlichen Gott sind sie begegnet, einem Gott, den man vertrauensvoll anreden kann und den keine geistliche Obrigkeit einzusperren und zu kontrollieren vermag. Einen Menschenfreund haben sie getroffen, die beiden Mystiker, die gestern im Kalender der beiden großen Konfessionen standen, die poetisch begabte Ordensfrau Gertrud von Helfta und der Schuster und Naturphilosoph Jakob Böhme. Faszinierende Figuren sind sie beide.

„Gott hat größere Freude an einem sehnsuchtsvollen Menschenherzen“, schrieb Gertrud im 13. Jahrhundert, „als je ein Mensch haben kann an blühenden, duftenden Frühlingsblumen“. Ihm solle man sich nur getrost in die Arme werfen. Sie redet ihn an wie einen Geliebten, ihren Gott, voll zärtlicher Bewunderung: „Du Leben meiner Seele! Du mildester Lehrer, weisester Ratgeber, gütigster Helfer, treuester Freund!“

„Ich will dich frei machen“

Größer könnte der Kontrast nicht sein zu dem rachedurstigen Himmelstyrann, den zeitgenössische Bußprediger in den schwärzesten Farben malen. Gertruds Mystik ist Frauentheologie im besten Sinne, emotional, sehr persönlich, aber auf der Hut vor verzückter Schwärmerei, aus der Bibel lebend und die eigene innere Erfahrung bescheiden in den Glaubensschatz der Jahrhunderte einbettend.

Als Kind in der hervorragenden Schule der sächsischen Abtei Helfta erzogen, verlor Gertrud mit 26 Jahren von einem Tag auf den andern die Lust an Literatur und Gelehrsamkeit. Plötzlich, nach der Vesper, hörte sie die Stimme Christi: „Ich will dich retten und frei machen. Komm zu mir, ich will dich trunken machen mit dem Strom meiner göttlichen Wonne!“ Überspannte Träume? Nein, lediglich eine stürmische Sehnsucht nach dem Licht Gottes und einer Liebe, die ewig bleibt.

Bei Gertrud gibt es keine Ekstasen, keine blutenden Wundmale. Aber sie versteht sich ab jetzt als Propagandistin eines barmherzigen, leidenschaftlich in seine Geschöpfe verliebten Gottes. Mit zärtlicher Liebe geht sie auf die Menschen zu, übrigens auch auf die unter Ausbeutung und Gedankenlosigkeit leidenden Tiere, denen sie mit einer bislang nicht bekannten Sensibilität begegnet.

Im Mittelpunkt ihrer Visionen steht die Menschwerdung Gottes: Gott bleibt nicht in der Herrlichkeit eines fernen Himmels, sondern begibt sich mitten hinein in die armselige Existenz der Menschen. Die Kirche muss es ihm gleich tun, sie darf seine Nähe niemals selbstzweckhaft genießen, sondern muss sie den Menschen vermitteln. Genau das versucht neuerdings ihr Kloster Helfta, das nach 1545 säkularisiert, 1999 aber als vielversprechendes Zeichen eines spirituellen Aufbruchs in den neuen Bundesländern wiedergegründet worden ist.

Gott, das Wesen aller Dinge

Erheblich schwerer als die viel bewunderte Gertrud hatte es drei Jahrhunderte später in Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze der biedere Schuhmacher Jakob Böhme: Man verübelte ihm, dass er sich als Philosoph aufführte, seine sonderbaren Visionen drucken ließ und gegen alle hochgelehrsamen Einwände stur auf seine innere Erfahrung pochte. Böhme: „Meint ihr, dass der Heilige Geist an eure Schulen gebunden ist?“

Was war denn so schlimm an den Schriften des kleinen Schusters, den man tatsächlich wegen seiner Ansichten ins Gefängnis steckte? Dass sich Gott in seiner Schöpfung finden lässt, ist ja nicht so neu gewesen. Die Welt war ihm „ein einziges großes Wunder“, in dem selbst das Allerkleinste in Beziehung zum Schöpfer steht. Aber in seinem leidenschaftlichen Bemühen, die blassen Gottesvorstellungen der Theologen hinter sich und sein Herz, seine Erfahrung sprechen zu lassen, musste er wohl Anstoß erregen.

Man hat Böhme des Pantheismus verdächtigt, weil er gesagt hat, Gott sei „das Wesen aller Dinge“ und „die große Tiefe überall“ – wie ein Poet formulierend, voll verliebter Begeisterung, und freilich nicht wie ein Verfasser dürrer Katechismusartikel. Mit solchen Leuten wollte er auch nicht viel zu schaffen haben; denn es reiche nicht aus, „dass man einen Haufen Sprüche der Schrift zusammen setzet und machet eine Meinung daraus. Nein, Meinungen tun‘s nicht, sondern das lebendige Wort, da das Herz die Gewissheit erfähret, darin steht Glauben im Geist!“

 

Deutschland Christian Feldmann
Bild: privat

Christian Feldmann, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent, u. a. für die Süddeutsche Zeitung und arbeitete am „Credo“-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasst er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen. Zudem hat er bisher 51 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.