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Hotline für die Opfer

14. April 2010

Seit einigen Wochen häufen sich in Deutschland Meldungen über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Die deutschen Bischöfe reagierte Ende März mit einer Telefon-Hotline, bei der nun täglich Anrufe eingehen.

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Ein Priester hält einen Rosenkranz und eine bischöfliche Erklärung zu den Missbrauchsfällen durch Jesuiten-Pater in der Hand (Foto: dpa)
Das Vertrauen ist erschüttertBild: picture-alliance/ dpa

Die Resonanz auf die Hotline ist überwältigend, sagt Matthias Kopp, der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, im Interview mit DW-World.

DW-WORLD: Herr Kopp, Sie sagen, dass es in den ersten zwei Wochen über 10.000 Anrufversuche gab. Wie erklären Sie sich das?

Matthias Kopp: Es scheint ein großes Bedürfnis zu geben, dass wir ein Gesprächsangebot bereitgestellt haben, wo Menschen sich mit ihren Sorgen und Nöten an uns wenden können. Entweder mit Namen und Adresse oder auch anonym. Wir lassen die Anonymität natürlich auch zu. Es zeigt, dass es ein großes Fehlerpotenzial bei uns in der katholischen Kirche beim Thema sexuellen Missbrauch gegeben hat. Daran müssen wir jetzt arbeiten. Ein Wunsch der Bischöfe war es eben, ein solches Dialogforum herzustellen. Dass die Resonanz so groß sein würde, hätten wir auch nicht erwartet.

Es melden sich aber nicht nur Missbrauchsopfer?

Über zwei Drittel der Gespräche, die geführt worden sind – und das sind Gespräche nicht von zwei Minuten, sondern oft von 30 - 50 Minuten – sind Gespräche mit Missbrauchsopfern. Das andere Drittel sind oftmals Angehörige von Missbrauchsopfern, die für das Opfer sprechen, weil das Opfer nicht die Fähigkeit hat, über diese innere Hemmschwelle zu springen - was wir gut verstehen können. Es gibt immer wieder auch ehemalige Heimkinder, die von pädagogischer Übergriffigkeit berichten. Hier müssen wir versuchen zu differenzieren. Wir sind ganz froh, dass wir keine Trittbrettfahrer haben oder andere, die uns beschimpfen wollen – das passiert auf anderen Telefonleitungen. Deshalb müssen wir bei diesem einen Drittel schauen, wie wir mit diesen Leuten umgehen.

Wollen die Anrufer die Tat erstmals melden oder möchten sich die Opfer beraten lassen?

Es ist Zweierlei. Einerseits ist es "Ich möchte beraten werden", und deshalb kann es auch nicht bei dem ersten Telefonat bleiben. Die Psychologen, die Therapeuten, die Profis am anderen Ende der Leitung versuchen ein weiteres Gespräch zu vermitteln. Wir wollen natürlich nicht, dass ein Opfer ein zweites Mal versuchen muss, durch die Hotline an uns heranzukommen. Das läuft, glaube ich, gut. Das Zweite ist, dass die Leute einfach erzählen wollen. Sie möchten ihre Geschichte einmal erzählen und damit hat es sich dann auch. Sie wollen das einfach mal loswerden und wissen, dass es an einer Stelle ankommt, dass die Kirche Bescheid weiß, was gelaufen ist. Und dieses Freireden ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Element, was wir momentan erfahren.

Ich habe das richtig verstanden: es beraten Psychologen und Sozialpädagogen?

Und Therapeuten. Also eine ganze Bandbreite von Leuten, die sich in diesem Thema auch auskennen. Wir sind ja in den psychosozialen Diensten der katholischen – übrigens auch der evangelischen – Kirche sehr gut in Deutschland aufgestellt. Wir haben dann als Bischofskonferenz überlegt, wer unser Partner ist. Da war es dann naheliegend, das Bistum Trier zu nehmen, weil der missbrauchsbeauftragte Bischof dort sitzt. Und das ist eine gute Kooperation.

Der missbrauchsbeauftragte Bischof - das ist Bischof Ackermann. Wird seine Arbeit durch die Hotline ergänzt?

Ja. Er ist natürlich im Moment mit den anderen Bischöfen dabei zu schauen, wie wir diese Aufklärung leisten können. Wir müssen in den nächsten Wochen endlich mal endgültiges Zahlenmaterial vorlegen, wie viele Missbrauchsfälle es in den letzten 30-40 Jahren gegeben hat. Denn es sind noch nicht alle Bistümer so weit in ihrer Aufarbeitung, dass wir alle Zahlen haben. Hier ist natürlich dabei das Thema Prävention in der Bischofskonferenz voran zu treiben und die von 2002 verfassten Leitlinien zu verschärfen – auch daran arbeiten wir. Und deshalb ist die Hotline eine wichtige Ergänzung zu seiner Arbeit.

Ist es richtig zu sagen, dass dieser Missbrauchsskandal in diesem Ausmaß die größte Krise der katholischen Kirche in Deutschland nach den Nationalsozialisten darstellt?

Nach 1945 erleben wir die größte Krise der katholischen Kirche, die mit diesem Aufdecken sexuellen Missbrauchs zu tun hat. Ich will das noch weiter fassen: es ist eine große Krise, wo unsere Glaubwürdigkeit angefragt ist. Wir haben eine große moralische Autorität, werden an unseren moralischen Maßstäben gemessen. Die sind jetzt erschüttert – deshalb ist die Glaubwürdigkeit in Mitleidenschaft gezogen worden und da haben wir einiges aufzuarbeiten. Diese Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen wird Jahre dauern – das ist kein Prozess, der in ein paar Wochen vorbei ist.

Die Hotline läuft, der Missbrauchsbeauftragte Bischof Ackermann tut seine Arbeit – wie geht es jetzt weiter?

Ein wichtiger Schritt wird der runde Tisch der Bundesregierung sein, der am 23. April in Berlin stattfindet. An dem ist die katholische Kirche natürlich auch vertreten. Da wird man über die ganzen Themen, Prävention, juristische Aufarbeitung sprechen. Und parallel wird es innerkirchlich eben so sein, dass wir versuchen bis Ende April, Anfang Mai an unseren Leitlinien so zu arbeiten, dass wir sie dann auch beschlussreif überarbeitet haben.

Das Interview führte Petra Nicklis
Redaktion: Petra Lambeck