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Grafenrheinfeld geht vom Netz

Volker Witting11. März 2015

Bald ist Schluss mit der Atomkraft aus dem kleinen Ort in Bayern. Die Menschen haben gut mit dem Meiler gelebt. Nun gibt es jede Menge Probleme, aber auch ein Stück Hoffnung. Volker Witting berichtet aus Unterfranken.

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Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld sieht bei Sonnenuntergang wie ein Schattenspiel aus (Foto dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Grafenrheinfeld und die Atomkraft. Das gehört seit mehr als drei Jahrzehnten zusammen. Schon bei der Anfahrt auf die kleine Gemeinde in Unterfranken wird das deutlich: Der zierliche Kirchturm wird überragt von riesigen Kühltürmen des Kernkraftwerkes - sie sind 143 Meter hoch. Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld ist eines der effektivsten in ganz Deutschland, doch im Mai 2015 wird es abgeschaltet. So hat es der Bundestag beschlossen, in einer der zahlreichen Novellierungen des Atomgesetzes. Eigentlich könnte der Betreiber EON noch bis Ende des Jahres weitermachen, das rechnet sich aber wirtschaftlich nicht.

Dass bald der Stecker des Atomkraftwerks in Grafenrheinfeld gezogen wird, finden nicht alle Menschen in der Gemeinde gut. Eine Frau sagt: "Also mich hat es nie gestört, muss ich ihnen ganz ehrlich sagen. Irgendwoher brauchen wir doch den Strom." Ein älterer Mann ist da ganz anderer Meinung: "Ich finde es gut, dass jetzt Schluss ist. Der Reaktor war lange genug am Netz."

Die Atomkraft hat Grafenrheinfeld reich gemacht

Grafenrheinfeld hat mit und vom Reaktor gut gelebt. Mehr als dreihundert Menschen sind dort beschäftigt, jahrzehntelang sprudelten die Steuergelder direkt in die Gemeindekasse. Die Atomkraft hat Grafenrheinfeld reich gemacht. Und das Dorf hat sich viel Luxus geleistet. Der Kirchplatz ist fein rausgeputzt. Jedes Haus ist aufwändig restauriert. Frisch gestrichen ist auch die Gemeindebibliothek. Die sucht ihresgleichen in der Umgebung: 35.000 Bücher, CDs und DVDs für 3.500 Bürger gibt es dort. Ein Schmuckstück ist auch die Kulturhalle. Selbst Gehwege sind in Grafenrheinfeld nachts beleuchtet.

Die Kühltürme des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld haben ausgedient (Foto: dpa)
Atomstrom wird in Grafenrheinfeld bald nicht mehr produziert. Allerdings ist der Ort als Standort für ein Umspannwerk im Rahmen der Energeiwende im Gespräch.Bild: picture-alliance/dpa

Diesen Luxus konnte sich die Gemeinde lange leisten, erklärt Bürgermeisterin Sabine Lutz. Sie sitzt in ihrem schmucken Rathaus und muss nun genauer rechnen, denn die Gewerbesteuern vom Kraftwerk fehlen. "Es ist wie es ist", sagt sie lakonisch. "Aber natürlich sind nun die goldenen Zeiten für uns vorbei." Die Grafenrheinfelder merken das. Die Abwassergebühr ist gestiegen, die Kindergartenbeiträge und ebenso die Grund- und Gewerbesteuer.

Die Endlagerfrage ist ungeklärt

Aber das sind weder für die Bürgermeisterin noch für die Menschen in Grafenrheinfeld die größten Sorgen. Denn wenn der Reaktor längst runtergefahren ist und die Kühltürme eines Tages abgerissen sein werden, bleibt der Atommüll zurück. Bis zu fünf Jahre kann es dauern, bis die letzten Brennelemente aus der Anlage ausgekühlt sind. Erst dann können sie in Castoren eingelagert werden. Aber wohin mit ihnen? Sie bleiben vor Ort, werden abgestellt in der schmucklosen, grau-grünen Halle mit dem schönen Namen "Bella". Die Halle hat eine Betriebsgenehmigung bis 2046. Für die Atommüllbehälter gibt es hier insgesamt 88 Stellplätze und derzeit noch sehr viel Platz. Die Grünen halten die Halle für unzureichend geschützt gegen Terrorangriffe oder einem Flugzeugabsturz. Walter Rachle, Kreisrat der Grünen aus Schweinfurt, sagt: "Wir befürchten, dass das Zwischenlager zum Endlager wird und so Grafenrheinfeld weiter großes Gefahrenpotential birgt."

Selbst die eher konservative Bürgermeisterin will das nicht kleinreden: "Die große Politik muss endlich eine Lösung für die Endlagerfrage finden. Wir können hier nur hoffen, dass kein Unglück passiert." In Grafenrheinfeld beginnt schon bald der Rückbau des Atomkraftwerkes. Das ist auch eine Perspektive für die mehr als 300 Arbeiter. Sie haben voraussichtlich in den kommenden Jahren erst einmal genug zu tun, denn der Abriss könnte mehr als ein Jahrzehnt dauern.

Perspektive: Grüner Strom aus dem Norden

Und dann könnte Grafenrheinfeld ein wichtiger Standort für die alternativen Energien in Deutschland werden. Hier soll nämlich möglicherweise eine der ganz großen Stromtrassen enden, die in der Bundesrepublik alternativ erzeugten Strom transportieren, die Trasse Südlink. Diese könnte Strom aus Windenergie hierher leiten. Dann würde Grafenrheinfeld Standort für grünen Strom, der in ganz Bayern verteilt wird. Ironie der Geschichte, sagt der Grüne Rachle dazu: "Aus etwas Schlechtem, nämlich der Atomkraft, wird dann doch noch etwas Gutes."