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Literatur

Gregor von Rezzori: "Denkwürdigkeiten eines Antisemiten"

Rainer Traube spe
6. Oktober 2018

Ein vergessener Autor, ein unterschätzter Roman, eine verschwundene Welt: Gregor von Rezzori erzählt, wie Nationalismus und Ressentiment ein kulturell buntes Mitteleuropa zerstörten.

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Gregor von Rezzori, Schriftsteller
Bild: Imago/teutopress

Die linke Augenbraue skeptisch hochgezogen, Zigarette lässig in der Hand, so blickt, grau meliert und elegant, Gregor von Rezzori vom Titel der Neujahrsausgabe des Magazins Spiegel 1959. Ein Schriftsteller auf dem Höhepunkt seines Ruhms: Seit Jahren standen seine "Maghrebinischen Geschichten" auf den Bestsellerlisten, und jetzt feierte die Kritik den gerade erschienenen Roman "Ein Hermelin in Tschernopol".

Maghrebinien war Rezzoris literarischer Kunstname für das Vielvölker-Universum am östlichen Vorposten des Habsburgerreichs, wo Rumänen, Österreicher, Deutsche, Ukrainer, Ungarn, Juden in acht Sprachen kommunizierten. Tschernopol stand für seine Geburtsstadt Czernowitz, Metropole dieser sagenhaften Welt, die ausgelöscht wurde durch Krieg, Flucht, Massenmord, Zerstörung und Gleichschaltung. Was übrig war, verschwand nach 1945 im Herrschaftsbereich der Sowjetunion.

Cover: Der Spiegel 1/1959  Gregor von Rezzori
Bild: SPIEGEL

Vergessen in Deutschland, anerkannt in Amerika

Als Gregor von Rezzori vier Jahrzehnte später starb, begraben unter einer kleinen Steinpyramide mit der Inschrift "Tschernopol", war das dem Spiegel gerade noch einen kurzen Nachruf wert – mit dem Hinweis, dass der "Grandseigneur" sich von der Literaturkritik vernachlässigt fühlte. Der Schriftsteller war jetzt ein fast vergessener "Plauderer", sein Werk eine "Schnurrensammlung". So wie die Kino-Rolle der "Sissi" bis zu ihrem Tod an Schauspielerin Romy Schneider klebte, wurde Rezzori auf seine "maghrebinischen" Anekdoten festgelegt. Entweder Unterhaltung. Oder Kunst. Der ewige deutsche Tunnelblick.

"Denkwürdigkeiten eines Antisemiten" von Gregor von Rezzori

Die verdiente Wertschätzung des vielseitigen Schriftstellers kam stattdessen aus den USA, mit der 1981 erschienenen englischen Übersetzung von Rezzoris Roman "Denkwürdigkeiten eines Antisemiten": fünf fiktiv-biografische Erzählungen zwischen Bukarest, Wien, Czernowitz und Berlin. Der Autor kennt die gesellschaftlichen Grundmuster der Zwischenkriegsjahre – von latentem Antisemitismus bis zu offenem Judenhass – bis ins Detail.

Neid, Angst und Vorurteil

Sarkastisch und nuancenreich entlarvt er das Ressentiment nicht im großen Bösewicht, sondern im alltäglichen, neid- und angstgetriebenen Stumpfsinn des mitteleuropäischen Bürgertums. Der Ich-Erzähler gerät als Teil dieser Kaste immer wieder in heftige Konflikte.

"(…) Juden waren einfach Menschen von einem anderen Stern, dem Stern Davids und Zions eben. Es mochte ein strahlender Stern sein, wohlan. Für uns strahlte er bedauerlicherweise unter dem Horizont. Sich in ein jüdisches Mädchen zu verlieben, konnte darum nicht als eine verzeihliche Perversion gelten wie etwa Sodomie oder Fetischismus. Es war ein Einbruch des Irrationalen, ein plötzlicher Riß im Denkvermögen, durch den etwas dunkel Metaphysisches einschlug, fast fataler noch als offener Verrat, eklatante Untreue. Ich hatte guten Grund, mich zu schämen."

Ukraine Czernowitzer Getto Foto
Eine Szene im jüdischen Ghetto von Czernowitz 1941Bild: Jüdisches Museum Czernowitz

Gregor von Rezzori hatte die Roman-Erzählung "Treue" (Troth), aus der diese Passage stammt, bereits 1969 auf Englisch verfasst und mit großer Resonanz im renommierten "The New Yorker" veröffentlicht. In Deutschland kaufte man dem für zu leicht befundenen Autor das schwere Thema nicht ab; der Literaturwissenschaftler und Universalgelehrte George Steiner aber hält die "Denkwürdigkeiten eines Antisemiten" sogar für eines der wenigen Bücher, die von der deutschen Nachkriegsliteratur bleiben. Auch darum steht es bei uns auf der Liste.

 

Gregor von Rezzori: "Memoiren eines Antisemiten" (1979), Neuausgabe im Rimbaud Verlag unter dem Titel "Denkwürdigkeiten eines Antisemiten" (2014)

Gregor von Rezzori, geboren 1914 im österreichisch-ungarischen Czernowitz/Bukowina, war als deutschsprachiger Schriftsteller mit sizilianischen Vorfahren ein vielsprachiger europäischer Kosmopolit. Das literarische Nachkriegsdeutschland feierte Rezzori vor allem für seine "Maghrebinischen Geschichten", in denen der Autor die untergegangene Welt Mitteleuropas wiederaufleben ließ. Rezzori starb 1998 in Italien.