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Grenzenlose Dienstleistungen für die EU

Christine Harjes16. Dezember 2004

Bis 2010 wollen die EU-Staaten den wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt bilden. Das sieht der so genannte Lissabon-Prozess vor. Ein Schritt in Richtung Wachstum soll die Öffnung der Dienstleistungsmärkte sein.

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60 Millionen Menschen arbeiten in der EU im DienstleistungsbereichBild: AP

Wenn Waren wie Textilien, Lebensmittel oder Autos von einem EU-Land in das andere verkauft werden, funktioniert das problemlos. Ganz anders sieht es bei dem Handel mit Dienstleistungen aus. Obwohl fast zwei Drittel aller EU-Arbeitnehmer im Dienstleistungsbereich tätig sind, kommt das grenzüberschreitende Geschäft mit Dienstleistungen in der EU nicht so richtig in Gang. Das Problem liegt in dem dicken Batzen von nationalen Gesetzen und Vorschriften – meint die EU-Kommission. Deshalb versucht sie schon seit Anfang 2004 den Dienstleistungsmarkt neu zu regeln.

Herkunftslandprinzip

Das Ziel der Reform: weniger Verwaltung, mehr grenzüberschreitendes Arbeiten. Keine schlechte Idee – finden sogar Gewerkschaften wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. So heißt es in einer Stellungnahme der Gewerkschaft, es sei sinnvoll, den Binnenmarkt für Dienstleistungen zu vollenden und Hindernisse abzubauen. Die konkreten Vorstellungen darüber, wie die bürokratischen Hürden beseitigt werden sollen, gehen allerdings weit auseinander.

Frederik (Frits) Bolkestein, NL, EU, Kommissar
Ex-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein aus den NiederlandenBild: EU

Die Richtlinie von Ex-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein sieht als Kernpunkt das "Herkunftslandprinzip" vor. Danach würden die nationalen Gesetze und Vorschriften nicht abgeschafft, sondern sie würden jeweils auch in dem Land gelten, in dem ein Anbieter mit seiner Dienstleistung tätig wird. Das heißt konkret: Ein tschechischer Handwerker könnte in Deutschland Aufträge nach tschechischem Recht abschließen, während bisher noch das Recht des "Gastlandes“ bei Vorschriften und Gesetzen den Ausschlag gibt. Noch mehr Verwirrung beim EU-weiten Handel mit Dienstleistungen könnte die Konsequenz aus dieser Regelung sein, befürchten viele.

Juristische Probleme

Björn Frank vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin glaubt nicht, dass die Richtlinie so, wie sie zurzeit vorliegt, in Kraft treten wird. "Man fängt mit Maximalforderungen an und guckt, wie groß der Widerstand ist. Und nur mit einem Teil kommt man dann schließlich durch“, erklärt der Volkswirt die Strategie der Kommission. Besonders die juristische Seite der Richtlinie sei problematisch, sagt Frank. Denn schließlich würde es bei 25 nationalen Gesetzgebungen bleiben. "Viel eleganter wäre es, wenn vor der Öffnung des Dienstleistungsmarktes nationale Rechte harmonisiert würden“, sagt Frank. Grundsätzlich sei die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes aber zu begrüßen. Im Idealfall könnten sich die EU-Länder in bestimmten Bereichen spezialisieren und so von der größeren Freiheit profitieren. So könnten in Deutschland Dienstleister aus dem technischen Bereich wie Architekten oder Ingenieure zu den Gewinnern gehören.

Angst vor Sozialdumping

Trotzdem: In Deutschland überwiegt die Sorge vor Sozialdumping. Denn mit dem Herkunftsprinzip könnten Arbeitskräfte aus Staaten mit niedrigem Lohnniveau zu den Konditionen ihrer Heimatländer in Deutschland tätig sein. Außerdem hat das aufnehmende Land so gut wie keine Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen zu kontrollieren. Der EU-Richtlinienvorschlag sorgt auch innerhalb der Bundesregierung für Zündstoff: Während sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement von der Liberalisierung wichtige Wachstumsimpulse für die EU versprechen, befürchtet Verbraucherministerin Renate Künast, dass die vielen nationalen Regeln der Herkunftsländer die Bürger überfordern könnten.

Ausnahme-Regelungen

Anfang 2005 soll im Europäischen Parlament über die Dienstleistungsrichtlinie entschieden werden – wie viel vom Original-Vorschlag am Ende übrig bleibt ist allerdings fraglich. Schon jetzt hat die Kommission 23 Ausnahmen in ihrem Entwurf verankert. Und weitere Änderungswünsche werden aus dem EU-Ministerrat laut: Baugewerbe, Gesundheitswesen oder Rundfunk – viele der Mitgliedsländer wünschen sich Sonderregelungen.