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Griechenland: "Überbordende Bürokratie bremst Investoren"

Thomas Kohlmann
20. August 2018

Ist Griechenlands Krise wirklich vorbei? Wirtschaftsforscher Alexander Kritikos hat erhebliche Zweifel, zumal die Bedingungen für Investoren alles andere als optimal sind. DW hat nachgefragt.

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Alexander Kritikos
Bild: DW/P. Kouparanis

DW: Herr Kritikos, Griechenlands Rückkehr an die Finanzmärkte wird von der Regierung in Athen und der EU-Kommission in Brüssel als Schlusspunkt der Krise verkündet. Welche Bilanz ziehen Sie nach zehn Jahren Krisenmanagement und Reformbemühungen in Griechenland?

Alexander Kritikos: Es ist eher eine gemischte Bilanz, was in den acht Jahren der drei Reformprogramme gelungen ist: Tatsächlich wurde der Staatshaushalt wieder in Ordnung gebracht. Seit zwei Jahren erzielt das Land ja auch wieder primäre Überschüsse. Aber der Preis, der dafür gezahlt wurde, ist eben doch sehr hoch. Wenn wir auf die private Wirtschaft schauen, so sehen wir, dass auch heute noch die Bruttowertschöpfung in der griechischen Privatwirtschaft auf 62 Prozent des Niveaus von vor der Krise liegt. Das heißt, das ist ein dramatischer, eigentlich in Europa so noch nie da gewesener Einbruch in der Privatwirtschaft gewesen. Und es sind eben leider auch Reformbemühungen in erster Linie darauf ausgerichtet gewesen, diesen Staatshaushalt zu sanieren. Viel zu wenig wurden die Reformen darauf fokussiert, was die Privatwirtschaft braucht, um besser in die Spur zu kommen.

Wo sind denn die größten Reformversäumnisse wenn Sie die wichtigsten einmal nennen würden?

Nun, es sind drei, vier Strukturreformen, über die wir im Prinzip auch schon seit acht Jahren diskutieren. Es ist zum einen die nach wie vor überbordende Bürokratie samt häufig sich widersprechender Vorschriften, die es eben für Unternehmer wirklich schwer machen und sehr viel Zeit verbrauchen. Manche sagen, bis 30 Prozent ihrer Arbeitszeit verplempern sie mit bürokratischen Schritten. Das zweite ist nach wie vor ein Justizsystem, was viel zu lange baucht um privatrechtliche Ansprüche durchzusetzen. Das hat sich in den acht Jahren sogar verschlechtert. Man wartet heute bis zu viereinhalb Jahre auf einen erstinstanzlichen Richterspruch. Das ist für jeden Investor wirklich abschreckend.

Ebenso wichtig ist auch die Tatsache, dass die Steuern kaum vorhersehbar sind. Ein privater Investor möchte nicht nur wissen, wie hoch der Steuersatz heute ist, sondern auch in fünf Jahren. Die Steuern sind in letzter Zeit abschreckend hoch geworden. Wenn wir auf Selbstständige schauen, da bleibt von einem eingenommenen Euro nach Abzug von Umsatzsteuer, Einkommenssteuer und Sozialabgaben, 23 Cent übrig. Das ist wirklich eine Katastrophe. Und das vierte, ebenso wichtige: Die Lage der griechischen Banken. Über 40 Prozent der Kredite sind in den griechischen Banken problematisch. Das heißt, die Kreditvergabe stockt auch noch ganz erheblich was für Unternehmen noch mal ein großer Nachteil ist.

Stichwort Privatwirtschaft: In welchen Sektoren sieht es gut aus und wo hat man da nach wie vor starken Nachholbedarf? Und Stichwort Tourismus, da hört man ja eher sehr viel Positives.

Ja, der Tourismus ist sicherlich der einzige Sektor, der gut durch die Krise gekommen ist. In den letzten fünf Jahren haben wir beim Tourismus einen kontinuierlichen Anstieg gesehen. Aber ich fürchte auch, dass hier nach oben nicht mehr ewig Luft ist. Das kann nicht der einzige Wachstumsfaktor in Griechenland sein. Tourismus, das wissen wir auch alle, ist ein hoch riskantes Geschäft. Es braucht nur eben irgendwelche Krisen in anderen Ecken dieser Welt und die Leute kommen einfach nicht mehr.

Neben dem Tourismus, und das halte ich eigentlich für sehr viel wichtiger, gibt es eben auch im High-Tech-Bereich durchaus Hoffnungsschimmer, trotz aller schlechten regulatorischer Rahmenbedingungen. Insbesondere im IT-Bereich gibt es nach wie vor eine große Zahl gut Ausgebildeter, die in diesem Bereich letztlich auch gut durch die Krise gekommen sind. Ich denke, es wäre wichtig, wenn man gerade diesen Bereich durch entsprechende Strukturreformen fördern könnte.

Es wurde ja am Anfang der Krise immer wieder darüber berichtet, dass es in Griechenland kein wirkliches Kataster gibt. Ist das mittlerweile in die Gänge gekommen. Wo steht das Land da?

Auch das Katasterwesen oder das Katasteramt ist sicherlich nach wie vor nicht perfekt. Man hat ja einiges gemacht. Man hat versucht, im Prinzip den kompletten Immobilienbesitz zu erfassen, das ist gelungen. Aber es ist sicherlich in anderer Form als das deutsche Katasterwesen umgesetzt worden. Aber, wie gut es gelungen ist, sieht man letztlich daran, dass die neu eingeführte und stark erhöhe Immobiliensteuer mit Hilfe dieser Erfassung doch nahezu zu 100 Prozent umgesetzt werden kann.

Wie schätzen Sie es ein: Wird die Rückkehr an die Finanzmärkte glücken oder ist es zu früh für eine Einschätzung?

Zum einen hat man über den Liquiditätspuffer von 15 Milliarden Euro sichergestellt, dass Griechenland eben nicht sofort an die Märkte muss, sondern letztlich zwei Jahre Zeit hat, bis es wirklich klappen muss. Man hat zum anderen durch die extreme Streckung der Schulden den Bedarf an Neuaufnahme von Krediten sehr klein gehalten in den nächsten Jahren. Und man hat durch die doch etwas absurd anmutende Forderung bis 2060, also für die nächsten 42 Jahre, Primärüberschüsse zu erzielen, letztlich auch sichergestellt, dass keine neuen Schulden dazu kommen werden. Glücken wird das insbesondere dann, wenn es Griechenland auf mittlere Sicht schafft, auf einem moderaten Wachstumskurs um ein bis zwei Prozent zu bleiben. Aber eigentlich braucht Griechenland Wachstumsraten um fünf Prozent, angesichts des doch sehr niedrigen Bruttoinlandsproduktes. Und das, da sind wir wieder beim Anfang, wird sich erst realisieren lassen, wenn diese verschobenen Strukturreformen endlich angegangen werden.

Prof. Dr. Alexander Kritikos ist ein deutscher Ökonom. Er ist Forschungsdirektor mit den Schwerpunkten Entrpreneurship,empirische Industrieökonomie sowie Verhaltensökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.  

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