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Politik

Missbrauchsskandal in Athen

24. Februar 2021

Griechenland wird von einem neuen Missbrauchsskandal erschüttert: Die Affäre um Regisseur Dimitri Lignadis reicht bis in Regierungskreise. Nun wird darüber im Parlament debattiert.

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Griechenland Festnahme Dimitris Lignadis
Der prominente griechische Schauspieler und Regisseur Dimitris Lignadis wurde am 21.02.2021 in Athen festgenommenBild: Costas Baltas/REUTERS

Der Titel der Debatte, die an diesem Donnerstag im griechischen Parlament stattfinden soll, ist originell: Premierminister Kyriakos Mitsotakis bat darum, die Abgeordneten über die "Qualität der Demokratie und des öffentlichen Dialogs" zu informieren. Es scheint, als hätte Mitsotakis diese Verteidigungsstrategie gegen die Angriffe der Opposition gewählt, die den Rücktritt der Kulturministerin Lina Mendoni fordert - wegen mutmaßlicher Vertuschungsversuche in einem Vergewaltigungsskandal.

Es geht um die Affäre Dimitris Lignadis, des ehemaligen Intendanten des Nationaltheaters in Athen, der vor wenigen Tagen zurückgetreten war. Dem 56-jährigen prominenten Schauspieler und Regisseur wird von mindestens zwei Männern vorgeworfen, sie im Teenageralter vergewaltigt zu haben.

Griechenland Athen Parlament | Kyriakos Mitsotakis, Premierminister
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis muss sich der Debatte im Parlament stellenBild: Reuters/C. Baltas

Die ersten Vorwürfe der sexuellen Nötigung wurden Anfang Februar publik - durch ein schockierendes Interview eines der mutmaßlichen Opfer im Portal "2020 mag.gr", ohne dass Lignadis namentlich erwähnt wurde. Dann fing die Gerüchteküche an zu brodeln, dass der bekannte Regisseur von seinem Amt zurücktreten würde. Lignadis reagierte empört: "Ich weiß nicht, wie diese Gerüchte entstanden oder welchen Zweck sie erfüllen", sagte er - und Kulturministerin Lina Mendoni betonte sofort in einem Interview, es gebe keine offizielle Beschwerde gegen ihn.

"Aus persönlichen Gründen"

Vier Tage später trat Lignadis tatsächlich zurück, "um den Ruf des Nationaltheaters nicht zu schädigen", wie er schrieb. Und Lina Mendoni zeigte Verständnis dafür, da der Regisseur dem Stress der Vorwürfe nicht gewachsen gewesen sei. Als der Regierungssprecher dazu gefragt wurde, antwortete er, dass Lignadis "aus persönlichen Gründen" zurückgetreten sei.

Währenddessen erschienen ältere Horrorgeschichten über Lignadis - und zwar von bekannten Persönlichkeiten des Theaters, die angaben, dass er sich öfter an jungen Männern vergriffen haben soll. Darum sei auch sein Engagement als Lehrkraft gekündigt worden.

"Ein sehr gefährlicher Mensch"

Am 19. Februar lud Mendoni dann zu einer Pressekonferenz ein, um zu erzählen, dass sie von "dem hervorragenden Schauspieler getäuscht wurde", und dass er "ein sehr gefährlicher Mensch" sei. Sie betonte auch, dass sie Lignadis vor seiner Ernennung zum Intendanten des Nationaltheaters nicht gekannt hätte und dass er "weder ihr Freund" sei, noch ein "Freund des Premierministers". Nach dieser Pressekonferenz wurden die Stimmen noch lauter, die den Rücktritt der Kulturministerin Lina Mendoni forderten - Kulturschaffende, alle Oppositionsparteien und sogar Abgeordnete der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia verlangen inzwischen ihren Amtsverzicht. Einerseits, weil sie die politische Verantwortung für den Eklat übernehmen sollte. Andererseits, weil eine Ministerin nicht von "einem sehr gefährlicheren Menschen" reden dürfe, bevor die Justiz ihn für schuldig befunden hat.

Intendant ohne Ausschreibung

Der Fall Lignadis wurde fast von Anfang an zum Politikum, weil der Regisseur 2019 aus Gründen des "öffentlichen Interesses" von Lina Mendoni zum Intendanten des wichtigsten griechischen Theaters ernannt wurde. Damals hatte die Kulturministerin auf die sonst übliche Ausschreibung verzichtet und ihn direkt befördert.

Griechenland Festnahme Dimitris Lignadis
Gegen den ehemaligen Intendanten des Nationaltheaters, Dimitris Lignadis (Mi.), wird wegen sexueller Nötigung ermitteltBild: Costas Baltas/REUTERS

Seit Sonntag, dem 21. Februar, sitzt Lignadis in Untersuchungshaft - zwei Wochen, nachdem ihm Vergewaltigung vorgeworfen wurde. Er hat alle Vorwürfe von sich gewiesen und den bekanntesten Anwalt Griechenlands engagiert, der sofort von "unglaubwürdigen Klägern" und "professionellen Homosexuellen" sprach. Staranwalt Alexis Kougias sieht hinter dem Fall nur einen Versuch, den Rücktritt der Kulturministerin zu erzwingen oder gar die Regierung zu stürzen. Die Opposition vertritt die Auffassung, dass die Regierung versucht habe, den Fall zu vertuschen. Erst als sich erste Augenzeugen wegen Vergewaltigungstaten zu Wort gemeldet hätten, die noch nicht verjährt seien, habe auch Lina Mendoni Farbe bekannt.

Die Schlammschlacht und die Opfer

Seit Tagen beobachtet man eine Schlammschlacht in den Massenmedien und vor allem in den sozialen Medien - und sie wird immer heftiger und absurder. Regierungstreue Medien und Trolls versuchen die Vorwürfe gegen Lignadis zu relativieren und sprechen von einer Verschwörung der Linken gegen die "sehr gute Ministerin" Mendoni, die "den Weg für wichtige Investitionen" frei gemacht hätte. Regierungsfeindliche Medien und Trolls werfen Premierminister Mitsotakis vor, dass er Homosexuelle in seinem Umfeld dulde und sogar schütze, soweit er könne. Und alle zusammen ignorieren den Mut der Opfer von sexueller Gewalt, den Mund aufzumachen und über ihr Leid zu sprechen, auch viele Jahre danach.

Diesen Mut hat als Erste Anfang des Jahres die Olympiasiegerin Sofia Bekatorou gezeigt. Die erfolgreiche und beliebte Seglerin durchbrach die Mauer des Schweigens und berichtete, sie sei im Jahr 1998 von einem hohen Funktionär des Segelverbands vergewaltigt worden. Ihre späte Enthüllung hat auch in Griechenland eine # MeToo-Bewegung ausgelöst. Seitdem haben sich viele Frauen und ein paar Männer gemeldet, um bekannte Persönlichkeiten der sexuellen Belästigung, Körperverletzung und Vergewaltigung zu beschuldigen. Unter Beschuss gerieten bekannte Professoren, Schauspieler und Regisseure. Lignadis ist aber der Erste, der festgenommen wurde.

#Meetoo-Debatte Griechenland | Sportlerin Sofia Bekatorou und Präsidentin Katerina Sakellaropoulou
Olympiasiegerin Sofia Bekatorou (li.) im Gespräch mit der griechischen Präsidentin Katerina Sakellaropoulou (18.01.2021)Bild: Alkis KONSTANTINIDIS/AFP
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Kaki Bali Autorin DW Griechisch