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Griechenland sucht den Sündenbock

Jannis Papadimitriou29. August 2012

Die Stimmung im Krisenland droht zu kippen. Immer häufiger werden Ausländer zum Ziel von Angriffen. Griechische Experten sehen die Demokratie in Gefahr - und befürchten eine zweite "Weimarer Republik".

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Bei Protesten in Griechenland werden Brandsätze auf Polizisten geworfen (Foto: dapd)
Bild: dapd

Zum Beispiel Manolada, Westgriechenland. Ende August klemmen zwei Männer einen 22-jährigen Ägypter nach heftigem Streit im Seitenfenster ihres Wagens ein und schleifen ihn fast einen Kilometer durch die Straßen. Nach Polizeiangaben hatte der Ägypter seine Peiniger zuvor angegriffen. Linksgerichtete Oppositionszeitungen berichten dagegen, der Mann sei um seinen Erntelohn gebracht worden und wollte lediglich das ihm zustehende Geld einfordern.

Immer wieder kommt es in jüngster Zeit in Griechenland zu Übergriffen gegen Ausländer. Erst Mitte August wurde ein Iraker in der Athener Innenstadt erstochen. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass es allein in den vergangenen zwei Monaten in Hellas mindestens 200 Überfälle mit rassistischem Hintergrund gab. Vor allem die rechtsextreme Partei "Goldene Morgenröte", die bereits mit 18 Abgeordneten im Athener Parlament vertreten ist, schüre die Angst vor Überfremdung.

Ein Mann mit Baseballschläger geht auf Polizisten mit Schutzschilden los (Foto: AP)
Wenn die Straße zur Diskussionsplattform wirdBild: AP

Einwanderer als Sündenböcke

Experten sehen mittlerweile Parallelen zur Weimarer Republik in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die junge Demokratie der Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg scheiterte 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Als Ursache sehen Historiker unter anderem die damalige Wirtschaftskrise und die finanzielle Notlage der Bevölkerung, die die Menschen empfänglich machten für die Parolen Hitlers. "Es gibt durchaus Parallelen zwischen dem heutigen Griechenland und der Weimarer Republik", sagt die griechische Soziologin und Schriftstellerin Eleni Karasavidou, "zum Beispiel bilden sich manche Zeitgenossen ein, etwas Besseres zu sein oder sie behaupten allen Ernstes, die ganze Welt habe sich gegen das eigene Land verschworen."

Die Menschen suchten offenbar nach einem Sündenbock für ihre wirtschaftliche und soziale Lage, denn sie hätten das Gefühl, ihr persönliches Gleichgewicht sei wegen der Krise aus den Fugen geraten. "Da müssen eben die Schwächeren, nämlich die Einwanderer, als Sündenböcke herhalten", so die Soziologin aus Thessaloniki.

Es kommt allerdings auch vor, dass Einwanderer selbst als Gewalttäter auftreten. Anfang August griff ein Mann aus Pakistan eine 15-jährige Griechin auf der Urlaubsinsel Paros an und misshandelte sie. Das Mädchen liegt seitdem im Koma. Die Polizei verhaftete den mutmaßlichen Täter und rettete ihn nur mühsam vor den rechten Schlägern, die ihn vor dem Gerichtsgebäude lynchen wollten. In Athen verursachte im Sommer 2011 ein Vorfall Empörung: Drei Nordafrikaner erstachen einen jungen Familienvater auf offener Straße, um an seine Videokamera zu gelangen. Anschließend kam es in der griechischen Hauptstadt zu Tumulten gegen unschuldige Migranten. Die Polizei ging mit Tränengas und Schlagstöcken gegen rechte Schlägertruppen vor, die Rache wollten.

Kaum Erfahrung mit politischen Kompromissen

Panagiotis Ioakeimidis, Professor für europäische Studien an der Universität Athen, macht deutlich: "Gewalt gegen Ausländer ist völlig inakzeptabel und kann unter keinen Umständen toleriert werden." Doch man müsse auch einsehen, dass Griechenland ein riesiges Problem mit illegaler Einwanderung habe und sich damit ziemlich allein gelassen fühle. "Je mehr die Krise eskaliert, desto mehr steigt auch die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft", sagt Ioakeimidis.

Illegale Einwanderer in Kyprinos hinter Zäunen. Davor patroullieren Polizisten (Foto: AP)
Viele Einwanderer wollen illegal über Griechenland in die EUBild: AP

Der Europa-Experte beklagt die mangelnde europäische Unterstützung bei der Sicherung der griechischen Ostgrenze, die gleichzeitig die EU-Außengrenze ist. In erster Linie sieht er es aber als Aufgabe der Athener Politik an, Gewalt zu unterbinden, für Mäßigung in der Gesellschaft zu sorgen und gegensätzliche Interessen auszutarieren. Doch damit seien die griechischen Politiker überfordert, zumal sie selbst nicht mit gutem Beispiel vorangingen, meint Ioakeimidis: "Konfliktorientierte Auseinandersetzung gehört zum Standardrepertoire unserer Politiker. Wenn man die jüngste Geschichte Griechenlands zurückverfolgt, stellt man doch fest: Der politischen Klasse mangelte es fast immer an einer gewachsenen Kompromisskultur."

"Ich will nicht in einem sozialen Dschungel leben"

Gerade in Krisenzeiten würde das soziale Zusammenleben zusätzlich erschwert, da die Konfliktbereitschaft steige und der Grundton innerhalb der griechischen Gesellschaft rauer werde. Einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft gebe es, so Ioakeimidis, aber trotzdem: "Mit der neuen Koalitionsregierung in Griechenland erleben wir ein einmaliges Experiment und auch einen noch nie dagewesenen Konsens." In der Vergangenheit habe es nur selten Koalitionsregierungen gegeben und diese scheiterten oft an parteipolitischen Realitäten. Diesmal sei aber ein Grundkonsens vorhanden - zumindest was die Frage betrifft, ob das Land dem harten Kern Europas angehören soll.

Vereidigung des griechischen Premiers Samaras am 8.7.2012 in Athen (Foto: Reuters)
Neue Parlamentskultur? In Athen sind Koalitionen die AusnahmeBild: Reuters

Eleni Karasavidou glaubt aber, dass es doch die vermeintlich leichte Lösung sei, das Problem an die politische Spitze des Landes delegieren zu wollen: "Demokratie bedeutet doch auch, und vor allem, persönliche Verantwortung zu übernehmen." Der griechische Bürger müsse endlich das Gefühl bekommen, dass die heutigen Gesellschaftsprobleme auch ihn persönlich angehen, betont die Schriftstellerin und Soziologin aus Thessaloniki. "Es geht mir nicht um unrealistische Fernziele. Ich will nicht unbedingt das perfekte Paradies schaffen. Aber ich will auch nicht in einem sozialen Dschungel leben."