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Griechenlands marodes Bildungssystem

Daphne Grathwohl14. Januar 2013

Die Zukunft eines Landes ist seine Jugend. Was aber, wenn diese Jugend in einem mäßigen Bildungssystem nicht gefördert wird? Und wenn die Wirtschaftskrise die Lage noch verschlimmert?

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Schulklassenraum in einem Lyzeum im Athener Stadtteil Petroupoli (Foto: Daphne Grathwohl/DW)
Griechenlands Bildungssystem in der KriseBild: DW/D. Grathwohl

Farbenfroh ist es am "Fünften Allgemeinen Lyzeum" von Petroupolis im Nordwesten Athens. Allerdings ist wohl nur ein Teil der Wandbemalung im Einverständnis mit dem Lehrpersonal angebracht worden: Graffitis an den Außenwänden, in den Fluren und in den Klassenzimmern. Ein "A" für Anarchismus prangt in einem Zimmer an der Rückwand. An der Außenwand neben dem Schulkiosk steht "Verhaut die Faschisten".

In Griechenland besuchen die Schüler nach sechs Jahren Grundschule erst drei Jahre das Gymnasium und dann meistens drei Jahre das Lyzeum, bevor sie die griechenlandweiten Aufnahmeprüfungen für die Hochschulen ablegen. Manche besuchen stattdessen das praktisch orientierte "Berufslyzeum" und machen danach eine Ausbildung.

Antiquierte Ausstattung

Vor 25 Jahren sahen viele griechische Gymnasien und Lyzeen nicht viel anders aus als heute. Auch die Ausstattung scheint nicht erneuert worden zu sein: Tische und Stühle transportieren den zweifelhaften Charme der 1970er Jahre. Eines der beiden Chemielabore ist eine Arbeitsbank mit einigen Geräten, Bunsenbrennern und Gläsern. Die Schüler beobachten die Experimente von ein paar Stühlen aus oder auf der gegenüberliegenden Arbeitsfläche sitzend. "Das andere Labor ist moderner", sagt Schulleiter Pavlos Perdikakis.

"Wir haben eine Bibliothek, ein Chemie- und ein Physik-Labor, einen Informatik-Raum, eine Mehrzweckhalle, ein Basketballfeld, ein Volleyballfeld." Auch die Außenanlagen versuche man ansprechend zu gestalten, indem man Bäume pflanze und Bänke aufstelle, sagt Perdikakis nicht ohne Stolz. Für diesen eher ärmeren Arbeiterstadtteil gilt das Lyzeum als sehr gut ausgestattet.

Schulleiter Pavlos Perdikakis, Lyzeum im Athener Stadtteil Petroupoli (Foto: Daphne Grathwohl/DW)
Freundlich autoritär und sehr engagiert - Schulleiter PerdikakisBild: DW/D. Grathwohl

Nähe zum Schüler

Perdikakis kennt alle 240 Schüler mit Namen. Der Umgangston ist freundschaftlich, auch als mehrmals Schüler in der Pause in sein Büro platzen. Mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung als Lehrer strahlt er freundliche Autorität aus: Nett, aber bestimmt weist er sie nach draußen. Seit 13 Jahren ist er Schulleiter, unterrichtet nur noch wenig, denn die Verwaltung nimmt ihn sehr in Anspruch.

Die 240 Schüler werden von ingesamt 30 Lehrern unterrichtet, 25 davon sind fest angestellt. Das ist kein schlechter Schnitt, muss Nikolaos Papachristos zugeben. Er ist Präsident der Lehrergewerkschaft OLME und vertritt 80.000 Lehrer an Gymnasien und Lyzeen. "Insgesamt fehlen derzeit aber 2000 Lehrer. Fern der Hauptstadt - auf den Inseln zum Beispiel - fehlen Lehrer sogar in den Hauptfächern Griechisch, Physik, Chemie und Mathe", so Papachristos.

Schulausflüge sind Luxus

Doch auch an seinem Athener Lyzeum spürt er die Krise, denn das Schulbudget wurde deutlich gekürzt, klagt Schulleiter Pavlos Perdikakis. Auch die Eltern hätten weniger Geld zur Verfügung, sagt er. So sollen Tagesausflüge den Schülern eine Abwechslung zur Betonwüste Athens ermöglichen. Doch die Busfahrt ins Grüne kostet etwa drei Euro - in den letzten zwei Jahren war dieser Betrag von vielen Schülern nicht mehr tragbar, so der Schulleiter. Am Schulkiosk ist der Umsatz auf ein Viertel dessen gesunken, was noch vor zwei Jahren erzielt wurde. Die Schüler haben auch deutlich weniger Geld für den Pausensnack.

Eine Besonderheit im griechischen Schulsystem ist, dass viele Schüler nach der Schule noch - private und teure - Nachhilfestunden nehmen. Die so genannten "Frontistíria" gibt es als Einzelunterricht, aber auch in regelrechten Schulklassen. Manche besonders erfolgreiche Nachhilfeschulen haben ein großes Netz von Filialen - und das seit Jahrzehnten. Sie seien entstanden, weil es ernsthafte Prüfungen im griechischen Schulsystem nicht gebe - bis auf die schwere Uni-Aufnahmeprüfung, erklären die Lehrer Papachristos und Perdikakis. Um die zu bestehen, paukten die meisten Schüler in den Nachhilfeschulen den Stoff der letzten Schulklassen. Warum der ihnen nicht schon an der regulären - und kostenlosen - Schule vermittelt würde, beantworten beide nicht.

Schulflur des Lyzeums im Athener Stadtteil Petroupoli (Foto: Daphne Grathwohl/DW)
Schulflur im Athener Lyzeum im Athener Stadtteil PetroupoliBild: DW/D. Grathwohl

Nachhilfeschulen statt Schulen?

In diesen Nachhilfeschulen arbeiten Lehrer, die im öffentlichen Dienst keine Stelle bekommen haben. Entweder, weil sie die notwendigen Punkte nicht gesammelt haben, indem sie zum Beispiel für ein paar Jahre auf einer abgelegenen Insel unterrichteten. Oder weil sie nicht die richtigen Beziehungen hatten, wissen Kenner und Laien gleichermaßen. Ein System der "Para-Bildung", wie OLME-Präsident Papachristos es nennt, das seit Jahrzehnten in Griechenland gedeiht. Vor 15 Jahren eingeführte zusätzliche Prüfungen, ASEP genannt, haben die Situation verbessert; doch noch immer gibt es erfolgreiche Absolventen, die keine reguläre Stelle bekommen.

Würde man die teure "Para-Bildung" abschaffen, stünden tausende Nachhilfelehrer auf der Straße, während an den regulären Schulen Lehrermangel herrscht. Könnte man sie nicht an den regulären Schulen anstellen? Dafür gibt es kein Geld, gibt OLME-Präsident Papachristos zu bedenken. Die Lehrergehälter wurden um etwa 40 Prozent gekürzt: Statt gut 1000 Euro beträgt das Einstiegsgehalt eines Lehrers jetzt 629 Euro. Maximal kann ein Lehrer am griechischen Lyzeum etwa 1500 Euro verdienen. "Die Bildungsausgaben insgesamt sind um die Hälfte gekürzt worden, das ist die Politik der Troika", so Papachristos.

Nikolaos Papachristos, Präsident der Lehrergewerkschaft OLME (Foto: Daphne Grathwohl/DW)
Vertritt die Lehrerinteressen - Gewerkschaftspräsident Nikolaos PapachristosBild: DW/D. Grathwohl

Er vertritt die Lehrer im öffentlichen Dienst. Sie hätten - anders als der Privatsektor - immer Steuern gezahlt, erklärt Papachristos, ohne die privaten Nachhilfe-Kollegen explizit anzusprechen. Und was ist mit den Tausenden aus Vetternwirtschaft geschaffenen Posten im öffentlichen Dienst? Im Bildungssystem habe es keine derartige Vetternwirtschaft gegeben, behauptet Nikolaos Papachristos. Und da wird deutlich, dass er eben nicht die Interessen der Schüler vertritt, auch nicht die aller Lehrer, geschweige denn die Schaffung eines funktionierenden Bildungssystems. Und dass diese Klientelwirtschaft wirkliche Veränderungen in Griechenland auch in Zukunft verhindern wird.