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Griechenlands Wirtschaft blutet aus

Marianthi Milona (Thessaloniki)19. Februar 2016

Immer mehr Betriebe des griechischen Mittelstandes ziehen mit ihrem Geschäft in die Nachbarländer. Dem griechischen Staat entgehen so wichtige Steuereinnahmen. Aus Thessaloniki berichtet Marianthi Milona.

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Symbolbild Griechenland EU
Bild: picture-alliance/R. Geiss

In einem Hinterhof der bulgarischen Kleinstadt Petrich gibt es sie zu Hunderten: Griechische klein- und mittelständische Betriebe, die in den vergangenen zehn Jahren Griechenland den Rücken gekehrt und ihren Firmensitz nach Bulgarien verlegt haben. Das von Thessaloniki aus nur 120 km entfernte Örtchen Petrich ist nur ein Beispiel von vielen.

Dort treffe ich auf den Schuhfabrikanten Kostas Amanatidis. Er ist mit seiner Firma nach Bulgarien gezogen und hat es bisher nicht bereut. Seine Begründung: "Hier ist eben alles anders, als in Griechenland." Er weiß gar nicht, wo er mit der Aufzählung der Gründe beginnen soll: "Wie hier der Staat funktioniert? Wie die Steuerbehörde arbeitet? Oder wie die Gesetze des Landes gehandhabt werden?" Man zahle seine Steuern und habe überhaupt keine Probleme mehr." Niemand kommt und verlangt mehr, als das, was du verpflichtet bist zu zahlen. Vor zwanzig Jahren schon konnte man innerhalb von 10 Tagen einen neuen Firmenstandort anmelden und eine bulgarische Steuernummer erhalten." Dabei müsse man bedenken, sagt er, dass es in Bulgarien damals noch Zölle gab, denn es war noch kein EU-Land.

Bulgarien Schuhfabrikant Kostas Amanatidis
Schuhfabrikant Kostas Amanatidis und zwei seiner Mitarbeiterinnen in PetrichBild: DW/M. Milona

Einigkeit unter den griechischen Geschäftsleuten

Schuhfabrikant Amanatidis hält große Stücke auf den bulgarischen Staat und seinen bürokratischen Apparat. Und er steht mit dieser Meinung nicht allein. Ähnlich denkt auch die Modedesignerin Maria Papadopoulou, die vor kurzem in Petrich eine kleine Schneiderei eröffnet hat. Als die Aufträge zurück gingen, weil ihre deutschen Auftraggeber lieber in China produzieren wollten, war auch sie schweren Herzens gezwungen, aus Griechenland wegzugehen, obwohl der Arbeitsalltag in Bulgarien schwieriger ist.

Als weiteren Grund nennt auch sie die unternehmerfeindliche Steuerlandschaft in Griechenland. "Ich würde von ganzem Herzen wieder nach Griechenland zurück gehen. Aber bei der Preis- und Steuerpolitik dort ist es mir unmöglich." Sie habe ihre hochwertigen Werkstätten verlassen und in Petrich die Räume der Bulgaren übernommen, die aus vier simplen Pappwänden bestehen. "In Griechenland hatte ich qualifizierte Facharbeiter, hier muss ich sogar Zeit investieren, um die Mitarbeiter zu schulen."

Bulgarien Der Nähereibetrieb von Maria Papadopoulou
Der Nähereibetrieb von Maria PapadopoulouBild: DW/M. Milona

Griechische Steuerberater ziehen mit

Das Dilemma, in dem die griechischen Betriebe stecken, kennt Steuerfachmann Dimitris Michelakis sehr genau. Deshalb entschied er sich, mit nach Bulgarien zu gehen, um den griechischen Geschäftsleuten vor Ort zu helfen. Er ist überzeugt, das es das chaotische griechische Steuersystem ist, das viele griechische Unternehmer zur Flucht zwingt. Und führt folgende Beispiele auf: "10 Prozent Einkommenssteuer in Bulgarien ist eben viel weniger als 35 Prozent bei uns." Zudem kämen ständig neue Änderungen im griechischen Steuersystem hinzu. "Da wird ein Steuersatz festgelegt und wenn der nicht ausreicht, dann wird der Steuersatz einfach wieder erhöht." 2015 sei es so gewesen, mitten im Sommer, gerade als er die Steuererklärungen fertig hatte: "Auf einmal ging die Einkommenssteuer rauf. Plötzlich flatterten neue Forderungen ins Haus. Eine andere Vorsteuerleistung, die bei 27,5 Prozent lag, erhöhte sich auf 55 Prozent."

"Was hat man vor mit diesem Land?"

Wer trotz der schwierigen finanziellen Situation bisher in Griechenland geblieben ist, den zwingen jetzt die Kapitalverkehrskontrollen, ein Konto im benachbarten Ausland zu eröffnen. Christos Dimitriadis, ein erfolgreiche Hersteller für Unterwäsche, vermutet gar einen geheimen Plan der EU. Und er steht mit dieser Vorstellung nicht allein. Fast alle griechischen Unternehmer glauben, dass die wirtschaftlichen Entwicklungen in Griechenland nicht von ungefähr kommen, erklärt der Modedesigner: "Es gibt Beispiele auf dieser Welt, es gibt Länder, die man für billige Arbeitskräfte umstrukturiert hat, andere Länder sind heute reine Investitionsoasen." Und Griechenland? "Will man ein Ferienparadies daraus machen oder es als Lagerplatz für Flüchtlinge herrichten? Ok! Dann soll man uns das sagen, damit wir wissen, wo wir stehen. Hier gibt's jedenfalls im Augenblick nichts mehr, für das es sich lohnt zu bleiben."

Politische Fehlentscheidungen

Die Krise der traditionellen Handwerksbetriebe hat nicht erst durch eine falsche Steuerpolitik in Griechenland eingesetzt, so glaubt der Bekleidungsfabrikant Pandelis Philippidis. Für ihn liegt alles Übel in der falschen Investitionspolitik der vorherigen griechischen Regierung. Der Staat hätte die Schuldenkrise von Beginn an falsch angepackt und die Geschäftsleute damit finanziell im Stich gelassen. "Die Liquidität der Betriebe wurde einfach unterbunden. Die Regierung hatte bei Ausbruch der Krise nur eines im Sinn: die Rettung der Banken."

Der Wegzug griechischer Firmen geht somit unaufhaltsam weiter. Nach Bulgarien, Serbien, Albanien und in die Türkei. Der griechische Finanzexperte Jiannis Sopasis schlägt Alarm und fordert die politische Elite des Landes zum Umdenken auf. Vor kurzem erklärte er bei einem Fernsehauftritt: "Der Regierungspräsident Bulgariens hat doch kürzlich in einer Rede in Thessaloniki nicht ohne Grund gesagt: Wir danken Griechenland, dass es bei uns 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Ich meine, das müsste hier doch alle ordentlich aufrütteln."

Regierung will Reformen

Bei solchen Aussagen fühlt sich Voula Tektonidou, Generalsekretärin für Wirtschaftsbeziehungen und Entwicklungsarbeit im griechischen Wirtschaftsministerium durchaus angesprochen, mahnt aber gleichzeitig zur Vorsicht, um nicht den Fehlern des alten Systems zu Opfer zu fallen: "Wir wollen ja echte Existenzgründungen wieder hier haben. Nicht jene, die auf die Schnelle ihr Geld ins Warme schaffen und sich um nichts weiter kümmern. Ich kann das nicht mehr sehen: Kranke Unternehmen, aber sanierte Unternehmer!"