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Griechischer Braindrain

Lisa Brüßler12. Oktober 2014

Immer mehr Griechen gehen für das Studium nach Deutschland. Sie erhoffen sich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Durch radikale Kürzungen droht die Qualität der Lehre in Griechenland in Gefahr zu geraten.

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Hörsaal der Universität Leipzig (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Aufschrei war groß, als sich Alexia Papaioannou vor einem Jahr entschied, ausgerechnet in Deutschland ihr Studium zu beginnen. "Die beste der besten Studenten wandert aus", titelte die griechische Zeitung "Kathimerini". Die 18-Jährige aus Athen, die die Höchstpunktzahl im griechenlandweiten Uni-Aufnahmetest erreicht hatte, studiert mittlerweile seit einem Jahr Rechtswissenschaft in Heidelberg.

Immer mehr griechische Studenten ziehen trotz der guten Qualität der Abschlüsse in der Heimat lieber ins Ausland. Allein in Deutschland ist ihre Zahl zwischen 2012 und 2013 um 13 Prozent gestiegen. Fast 6000 griechische Studenten zählte das Statistische Bundesamt im Jahr 2012 - von denen mehr als 1100 ihr Studium direkt in Deutschland begonnen haben.

Zu wenig Geld für griechische Universitäten

Auch Elena Apostolaki beschloss, nach ihrem Bachelorabschluss an der Abteilung für Fremdsprachen und Übersetzung der Ionischen Universität in Korfu nicht in Griechenland weiterzustudieren. Sie bewarb sich erfolgreich an der Universität Bonn für den englischsprachigen Master in Nordamerikanischen Studien. "Der Braindrain ist für mich nur die Hälfte der Wahrheit, denn viele meiner Freunde sind auch in Griechenland geblieben und kämpfen", sagt Elena Apostolaki. "Mein Ziel ist es, eine Doktorandenstelle in Berlin zu bekommen, ein paar Jahre in Deutschland zu arbeiten und dann wieder zurückzugehen." Doch die 27-Jährige ist nicht sicher, ob sich die Situation am griechischen Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren entspannen wird. Im krisengebeutelten Land liegt die Arbeitslosigkeit nach Angaben von Eurostat bei rund 27 Prozent.

Die griechische Studentin Elena Apostolaki, die in Deutschland studiert (Foto: privat)
Von Korfu nach Bonn: Elena Apostolaki studiert jetzt in DeutschlandBild: E. Apostolaki

"Seit vier bis fünf Jahren gehen junge Griechen immer früher zum Studieren ins Ausland, weil sie hoffen, dass sie dann schneller und einfacher eine Arbeit finden. Auch meine Kinder sind in Deutschland", erzählt Soziologieprofessor Skevos Papaioannou. Der ehemalige Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Kreta ist seit September Rentner. Doch er ist schweren Herzens in den Ruhestand gegangen: "Meine Stelle wird nicht neu ausgeschrieben und es gibt auch keinen Stellvertreter. Seit Jahren haben wir außerdem Probleme durch Personalentlassungen und die Belastung durch die hohen Fixkosten." Erst letzte Woche wurde die Universität Kreta im Times Higher Education Ranking als einzige Universität Griechenlands unter die 400 besten Hochschulen der Welt gewählt, doch für Papaioannou sagt das nichts über die aktuelle Situation aus. Die Probleme der Universitäten bleiben auch den Studenten nicht verborgen, erzählt Elena Apostolaki: "Ich hoffe, dass nicht noch weitere negative Veränderungen für das Bildungssystem durchgesetzt werden. Bildung ist doch der wichtigste Wert eines Landes."

Schlechte Aussichten

Doch danach sieht es nicht aus. Der Etat des Bildungsministeriums für die Universität Kreta lag im Jahr 2011 noch bei 17,5 Millionen Euro jährlich. 2012 wurden 75 Prozent davon gekürzt, in den Folgejahren nochmals 15 Prozent vom verbliebenen Budget. Für nächstes Jahr steht wieder eine Kürzung von weiteren 23 Prozent an. "In realen Zahlen heißt das, dass noch 3,1 Millionen übrig bleiben. Aber allein die Fixkosten der Uni für Strom, Heizung und anderes werden auf 6 Millionen Euro geschätzt", verdeutlicht Papaioannou die Absurdität der Lage.

Der griechische Professor Skevos Papaioannou (Foto: privat)
Auch seine Kinder leben zurzeit in Deutschland: Soziologieprofessor Skevos PapaioannouBild: S. Papaioannou

Vor drei Wochen verließ Chrysi-Maria Nikiforaki die Universität Kreta und ging für ein Auslandsjahr nach Deutschland. An der Georg-August-Universität in Göttingen hat sich die 22-Jährige erfolgreich für den Bachelor-Studiengang "Klassische Philologie" beworben. Ihren Auslandsaufenthalt mit dem europäischen Bildungsprogramm "Erasmus+" sieht sie als Chance: "Ich möchte später auch einen Master im Ausland machen - am liebsten in Deutschland. Daher belege ich hier neben meinen Seminaren möglichst viele Deutschkurse." Ihr Erasmus-Stipendium reicht außerdem nur für die Miete und so ist sie auf der Suche nach einem Nebenjob, mit dem sie auch ihre Deutschkenntnisse weiter trainieren kann.

Deutschkurse sehr beliebt

Der Andrang in den Deutschkursen an den griechischen Goethe-Instituten ist nach wie vor groß, sagt die stellvertretende Leiterin des Goethe-Instituts in Athen, Ulrike Drißner. Im Jahr 2009, kurz nach Ausbruch der Finanzkrise, zählten die Goethe-Institute jährlich weniger als 1700 Kursteilnehmer. Vier Jahre später wollten bereits über 2000 Griechen Deutsch lernen. "Momentan steigen die Zahlen nicht, aber ich wäre sehr vorsichtig damit zu sagen, dass das ein Zeichen der Erholung aus der Krise ist. Es ist eher ein Zeichen dafür, dass das Geld knapper wird", sagt Ulrike Drißner.

Die griechische Studentin Chrysi-Maria Nikiforaki (Foto: privat)
Erasmus-Jahr als Sprungbrett: Chrysi-Maria Nikiforaki würde gerne in Deutschland weiterstudierenBild: C.-M. Nikiforaki

Aber nicht nur die jungen Studenten zieht es ins Ausland, sondern auch die Professoren: Skevos Papaioannou ging im Sommersemester als Gastdozent an die Universität Kassel - und sah die Unterschiede zum griechischen Hochschulsystem: "In Griechenland betreiben ausschließlich die Universitäten Forschung und da werden seit Krisenbeginn alle Gelder für Investitionen gestrichen. Du kannst nicht einmal eine kleine Studie mit Studenten machen, weil du die ein- oder zweitausend Euro nicht übrig hast. Das ist sehr frustrierend." Wenn die Investitionen und damit auch die Jobs nicht nach Griechenland zurückkommen wüden, dürften sich auch weiterhin viele junge Griechen genau wie Elena Apostolaki und Chrysi-Maria Nikiforaki für das Ausland entscheiden, befürchtet der Professor.