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Islands Bürger drängen Ministerpräsidenten zum Rückzug

Philipp Börger 23. Januar 2009

In unserer Rubrik "Mail aus..." berichten unsere Korrespondenten über besondere oder skurrile Geschichten aus ihrem Alltag im Gastland. Diese Woche schreibt uns Philipp Börger aus Island.

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Blick auf Reykjavik mit Bergen im Hintergrund(02.03.2006/Graham Barclay)
Kleine Hauptstadt: So idyllisch, wie Reykjavik aussieht, war die Stimmung in den vergangenen Wochen nichtBild: picture-alliance/dpa

Was mich an Island immer wieder beeindruckt, ist, wie klein hier alles ist. Das Parlament in der Innenstadt von Reykjavik zum Beispiel. „Althing“ wird es genannt und ist ein total kleiner und eher unauffälliger Bau. Wer es nicht kennt, könnte es auch für ein Verwaltungs- oder Bürogebäude halten.

In den letzten Tagen standen vor diesem kleinen Parlament immer große Menschentrauben. Es wird immer heftiger protestiert. Und das bringt auch die Touristen manchmal in überraschende Situationen, denn Hotels, Gästehäuser und Restaurants sind gleich nebenan und gegenüber – Touristen geraten unbeabsichtigt schnell in eine Massendemo und wissen gar nicht, was eigentlich los ist.

Ziel erreicht: Ministerpräsident Haarde will zurücktreten

An dem Abend, an dem die ganze Welt Obamas Amtseinführung ruhig im Fernsehen verfolgt hat, war hier in Reykjavik die Hölle los – doch nicht wegen Obama.

Der Premierminister wurde mit Eiern beworfen, die Demonstranten haben Lagerfeuer auf der Wiese vor dem Parlament angezündet und später am Abend hat die Polizei das Ganze mit Schlagstöcken und Tränengas beendet. Die Isländer sind wirklich wütend und auch nach wie vor geschockt. Die Finanzkrise hat das Land hart erwischt, das Geld ist nichts mehr wert und jeder Zehnte hat seinen Job verloren.

Und ihr Protest war erfolgreich: Islands Ministerpräsident Geir Haarde hat am Freitag (23.01.09) seinen Rücktritt angekündigt. Er will die Parlamentswahlen vorziehen auf Mai vorziehen, die ursprünglich für 2011 geplant waren.

Massendemos statt Fernsehabende

Irgendwie kommt es mir so vor, als seien viele Isländer erst druch die Finanzkrise aufgeweckt worden: Ihnen ging es jahrzehntelang so gut, dass sie sich eigentlich nie ärgern mussten. Mein Freund Rödull beispielsweise ist jetzt viel aktiver. Früher hat er abends am liebsten Fußball geguckt, auf seinem riesigen Flachbildfernseher. Irgendein englisches, spanisches, deutsches Topspiel gab es immer – per Satelliten-TV.

Jetzt sitzen wir in seiner Wohnung, nur acht Minuten vom Parlament entfernt, und ans Fernsehgucken ist nicht zu denken. Nun gehen wir raus, beispielsweise zu einer Sitzblockade vor der Nationalbank. Durchgefroren kommen wir dann nach ein paar Stunden zurück – und selbst dann ist nicht ans Fernsehen zu denken, denn erst lädt Rödull die Fotos von der Aktion im Internet hoch.

Das gemeinsame Ziel motiviert

Modern sind die Isländer ja – Digitalkamera, Laptop und Wireless-LAN hat hier jeder. Denn bis zur Finanzkrise ging es den meisten wirtschaftlich sehr gut. Trotzdem reden die Isländer oft von den guten alten Zeiten, in denen Geld und Konsum noch nicht so wichtig waren.

Vielleicht laufen die Proteste nun auch deswegen so gut und haben etwas bewegt – die Leute kommen zusammen, erleben wieder etwas miteinander. Es ist aufregend, spannend und alle haben ein gemeinsames Ziel: Die jetzige Regierung muss weg! Und dieses Ziel haben die Isländer jetzt auch erreicht. Gemeinsam.

Es sind interessante, nein, historische Zeiten, gewiss auch für Touristen, die hier noch immer sehr willkommen sind. Denn trotz aller Proteste: Ich fühle mich in Reykjavik noch immer sehr sicher.