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Großer Schritt in Richtung Versöhnung

10. Oktober 2009

Die Außenminister aus der Türkei und aus Armenien haben ein historisches Protokoll zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen unterzeichnet. Damit wollen beide Länder ihre lange Feindschaft begraben.

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Eine Frau hebt einen Schal mit dem Schriftzug 'Armenia-Turkey' während eines Qualifikationsspiels der beiden Länder zur Fußballweltmeiserschaft 2010 (Foto: dpa)
Bei einem Fußballspiel 2008 hatten sich beide Länder einander angenähertBild: dpa
Außenminister Eduard Nalbandian aus Armenien (l.) und sein türkischer Kollege Ahmet Davutoglu schütteln sich die Hände. Dahinter US-Außenministerin Hillary Clinton, der französische Außenminister Bernard Kouchner und EU-Chefdiplomat Javier Solana (v.r.) (Foto: AP)
Ein Händedruck von Nalbandian (l.) und Davutoglu besiegelte symbolisch die VertragsunterzeichnungBild: AP

Das Abkommen soll den Weg freimachen für eine Öffnung der Grenzen und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern. Ankara und Eriwan hatten sich unter Schweizer Vermittlung auf ein entsprechendes Dokument geeinigt, das unter anderem darauf abzielt, dass beide Seiten politisch, wirtschaftlich und bei der Energieversorgung zusammenarbeiten. Dazu wollen sie auch die gemeinsame Grenze öffnen. Am Samstagabend (10.10.2009) unterzeichneten Außenminister Eduard Nalbandian aus Armenien und sein türkischer Kollege Ahmet Davutoglu das Abkommen im Beisein von US-Außenministerin Hillary Clinton und EU-Chefdiplomat Javier Solana in Zürich.

Die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey (l.) begrüßt Hillary Clinton (Foto: ap)
Hillary Clinton - hier mit ihrer Schweizer Amtskollegin Micheline Calmy-Rey - musste schlichtend eingreifenBild: AP

Die Unterzeichnung hatte sich um mehrere Stunden verzögert, weil es in letzter Minute zu Unstimmigkeiten wegen der Ansprachen nach der Unterzeichnung gekommen war. Clinton habe daraufhin mit beiden Seiten gesprochen, erklärte ein US-Außenamtssprecher.

EU macht Angebot

Solana stellte den beiden Ländern als Folge des Normalisierungsabkommens verbesserte Beziehungen zur Europäischen Union in Aussicht. Die Vereinbarungen seien für alle Seiten "sehr gut", sagte Solana. Seine Anwesenheit in Zürich sei ein Zeichen der "Zufriedenheit" der EU über die Annäherung zwischen beiden Ländern. Er hoffe, die Parlamente Armeniens und der Türkei würden den Verträgen schnell zustimmen.

"Keine Alternative"

Der armenische Präsident Sersch Sarkissjan sah nach eigenen Angaben "keine Alternative" zu dem unter den Armeniern umstrittenen Normalisierungsabkommen mit der Türkei. "Armenien unterzeichnet diese Protokolle, um eine Grundlage für die Aufnahme normaler Beziehungen zwischen beiden Ländern zu schaffen", sagte Sarkissjan am Samstag wenige Stunden vor Unterzeichnung des Abkommens in einer Rede an die Nation. Sarkissjan sagte, dass die Türkei für die Normalisierung der Beziehungen keine Vorbedingungen mehr stelle, Armenien ebenfalls nicht. Das schließe auch die Anerkennung des "Völkermordes" durch die Türkei ein, sagte Sarkissjan. Genau dies fordern viele Menschen in Armenien, weshalb es immer wieder zu Streit zwischen den beiden Ländern kam. Armenien ist nach Sarkissjans Worten nun daran interessiert, Zugang zu den türkischen Geheimarchiven zu bekommen, um die nach dem Krieg noch immer offenen Eigentumsfragen beziehungsweise Eigentumsrechte armenischer Bürger der Türkei klären zu können.

Junge vor einer Wand mit Fotos von 90 Überlebenden des Genozids an Armeniern im Osmanischen Reich (Foto: AP)
Gedenken an die Bluttaten in ArmenienBild: AP

Ein Hauptgrund der Konflikte zwischen den beiden Ländern war der Streit um die Massaker an Armeniern zur Zeit des Osmanischen Reichs. Dort lebten gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis zu 2,5 Millionen Armenier. Heute sind sie im Nachfolgestaat Türkei nur noch eine kleine Minderheit. Nach armenischen Angaben und Zahlen des Zentrums gegen Vertreibung in Wiesbaden starben bei den Deportationen 1915/16 rund 1,5 Millionen Menschen. Die Vertreibung wurde damit begründet, dass die christlichen Armenier an der Seite des Kriegsgegners gestanden hätten. Armenien verlangt von der Türkei die Anerkennung der Gewalttaten als Völkermord. Die Türkei geht dagegen von etwa 200.000 Toten aus und weist den Vorwurf des Völkermords zurück.

Streit um Berg-Karabach

Die Türkei und Armenien hatten ihre Beziehungen 1993 anlässlich des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach abgebrochen. In diesem Territorialstreit hatte die Türkei sich auf die Seite Aserbaidschans gestellt.

2008 begann die Annäherung. Als erster türkischer Staatspräsident besuchte Abdullah Gül im September 2008 die armenische Hauptstadt Eriwan - aus Anlass eines Fußballspiels. Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich die verfeindeten Nachbarstaaten im April 2009 auf einen Fahrplan zur Normalisierung ihrer Beziehungen.

Autor: Oliver Samson

Redaktion: Martin Schrader