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Grenzenlose Posse

25. Juni 2010

Jemens Armee belagert eine Zeitung, um die Veröffentlichung einer Nachricht zu verhindern. Kuwait verurteilt Journalisten, weil sie ein gefälschtes Pferderennen aufdeckten: Wie arabische Staaten freie Meinung bekämpfen.

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Symbolbild Pressefreiheit, Foto: dpa
Freie Meinung ist in vielen arabischen Staaten unerwünschtBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Es ist nicht gut, in der arabischen Welt ein Journalist zu sein. Diese Wahrheit sollte sich im Mai 2010 anlässlich des internationalen Tags der Pressefreiheit bestätigen. Während sie auf dem Rest des Planeten Fortschritte macht, erlebt die arabische Welt diesbezüglich kafkaeske Situationen. Jegliche freie Meinungsäußerung wird, auch unter Anwendung von Gewalt, im Keim erstickt.

Widerspenstige Journalisten werden mit oder ohne grotesk anmutenden Prozesse inhaftiert oder verprügelt, Zeitungen werden geschlossen oder es wird Druck auf Anbieter von Satellitenmedien ausgeübt, um im Ausland stationierte kritische Radio- oder Fernsehsender zu blockieren. Algerien und Saudi Arabien haben sich hier besonders hervorgetan.

Die arabischen Regime machen sich damit gerne lächerlich: Es kommt vor, dass Journalisten verurteilt werden, weil sie in Kuwait ein gefälschtes Pferderennen aufdecken oder einen Cousin des marokkanischen Herrschers karikieren. Oder die jemenitische Armee belagert eine Zeitung, um zu verhindern, dass eine Nachricht in Umlauf gebracht wird. Überall scheinen sich die Machteliten untereinander abgesprochen zu haben, damit keine freien Medien auf ihrem Territorium existieren. Gewiss, das ist nichts Neues, aber dass dies fortbesteht, zeugt davon, wie unbeweglich und verkrampft die Regime am Status quo festhalten.

Das Internet: Verbündeter des Teufels

Das neueste Steckenpferd der arabischen Diktaturen ist die Kontrolle des Internets, das als "Verbündeter des Teufels" gilt. Obwohl der Zugang zum Internet vielerorts verschwindend gering ist, ist das Netz zum Feind geworden, gegen den Sondergesetze erlassen und Spezialeinheiten mobilisiert wurden. Die "Internetkriminalität" – und das umfasst hier alles, was die Zensoren als Angriff auf die Moral und Kritik an den Schandtaten der Regime bezeichnen - verbucht bereits Dutzende von Opfern unter Bloggern.

Es vergeht keine Woche, ohne dass nicht eine Verhaftung oder ein Prozess die geheimen Schlagzeilen dieses Kampfes für die Freiheit füllt, der im Ausland selten auf Widerhall stößt. Man organisiert die Repression je nach Gusto, der festen Überzeugung, dass die Unterstützung der westlichen Länder, die gegen eine Mitwisserschaft, ein Schweigen bei der UNO oder einige wirtschaftliche Vorteile eingetauscht wurde, jede Anwandlung von Protest im Keim erstickt.



Für ein freies Fernsehen

Der kürzlich von drei algerischen Journalisten ergangene Aufruf zu einer friedlichen Demonstration vor einem Fernsehsender, dem die Öffentlichkeit den Spitznamen "Waisenkind" oder "der Einzige" gegeben hatte, bringt die Situation der arabischen Medien auf den Punkt: "Man kommt nicht umhin, die erschreckenden Rückschritte auf der Ebene genereller Freiheiten und besonders der Pressefreiheit festzustellen", so schreiben sie. Und weiter: "In allen Bereichen öffentlicher Äußerung herrscht Zensur. Die Freiheit seitens der Printmedien, selbst zu wählen, welchen Ton sie anschlagen, die dem Regime immer auch als Aushängeschild für seine Komödie rund um Demokratie diente, ist heute merklich geschrumpft und bekam einen noch nie dagewesenen Maulkorb verpasst. Wir fordern die Algerierinnen und Algerier auf, sich zu mobilisieren, um eine Öffnung der audiovisuellen Medien für unabhängige Initiativen zu fordern, die Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Medien aufzuheben, Bild und Ton zu befreien und das algerische Fernsehen den Algeriern zu übergeben, damit es der wahren Aufgabe einer öffentlichen Dienstleistung nachkommt. Es ist Zeit, den Algeriern zu gestatten, alternative Sender einzurichten, die sie besser vertreten und die politische und gesellschaftliche Realität unseres Landes widerspiegeln."

Die Autoren dieses Textes, der mit minimalen Unterschieden von jedem arabischen Journalisten übernommen werden könnte, wurden am 3. Mai von der Polizei vorläufig festgenommen und über Stunden verhört. Der Staatssekretär für Kommunikation vertagte die Liberalisierung der audiovisuellen Medien auf 2015 und verstieß damit gegen das Gesetz zur Medienberichterstattung von 1990.

Repressionen von Tunesien bis Israel

Andernorts ist es kaum besser. Neben Syrien, Libyen, Saudi-Arabien, Ägypten und dem Jemen steht Tunesien unter der ungeteilten Macht des Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali ganz oben auf der Liste der repressivsten Länder in Hinblick auf die Meinungsfreiheit. Als der tunesische Journalist Tewfik Ben Brik nach sechs Monaten Gefängnis wegen seiner Kritik an der Präsidentschafts-"Wahl" frei kam, erfahren wir, dass der Berufungsprozess seines Kollegen Fahem Boukadous wegen dessen Krankenhausaufenthalts auf den 22. Juni verschoben wurde. Er war zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er für einen Satellitensender über den Bergarbeiterstreik von Gabes berichtet hatte. In seinem Fall hielt es das Regime es nicht einmal für nötig, einen Prozess nach allen Regeln der Kunst zu fingieren, wie sie es für Ben Brik und dem Menschenrechtsaktivisten Zouhaïer Makhlouf, der am 24. April Opfer einer regelrechten Prügelaktion durch die Polizei von Tunis wurde, zu tun pflegte.

Was die Golfstaaten angeht, so hat Kuwait sich gerade der Gruppe der Länder angeschlossen, die sich ungehalten über freie Meinungsäußerung zeigen: Die Verfolgung des Schriftstellers und Journalisten Mohamed Abdel Qader al-Jassem, der am 18. Mai wegen Schriften aus dem Jahr 2006 inhaftiert wurde, legen Zeugnis davon ab. Der Autor, Opfer der Verbissenheit des Premierministers, ist trotz seines schlechten Gesundheitszustands in einen Hungerstreik getreten.

In den von Israel besetzten Gebieten sind palästinensische Journalisten immer wieder Opfer der israelischen Armee, besonders nahe der Trennmauer, die der Besatzer im Zentrum des palästinensischen Gebiets errichtet. Seit 2009 zählt man über 60 Aggressionen dieser Art. Kameramänner und Pressefotografen geraten besonders ins Visier der israelischen Streitmächte, die eine Informationssperre aus palästinensischen Gebieten durchzusetzen versuchen. Diese permanenten Aggressionen gegen palästinensische Journalisten stoßen in den westlichen Medien leider nicht auf Widerhall.

Mangel an glaubwürdigen Organisationen

Dass starke Gewerkschaftsorganisationen fehlen, deren Existenz angesichts der gegenwärtigen Situation in der arabischen Welt allerdings auch schwer vorstellbar ist, ist ein großes Handicap für einen Berufszweig, der jeder Art von Missbrauch ausgesetzt ist. Existierende überregionale Organisationen sind nur leere Hülsen. Es handelt sich um Propagandainstrumente von Regimes, die Meister in der Gleichschaltung jeder freien Initiative sind.

So erhielt der tunesische Präsident eine Auszeichnung für seinen Beitrag zur Verteidigung der Pressefreiheit während des Kongresses der Union arabischer Journalisten in Tunis im Mai dieses Jahres. Zwar gab es hier und da einige Versuche, Foren oder unabhängige Ligen ins Leben zu rufen, um diesem beklagenswerten Zustand etwas entgegen zu setzen. Aber die Kraft der Trägheit sowie Interessennetzwerke und Komplizenschaft zwischen einigen Journalisten oder Pressebossen mit den Regimes nehmen diesen Organisationen die Möglichkeit, wirklich Fuß zu fassen.

Diejenigen, die von anderen Ländern oder ausländischen Organisationen finanziert werden, gelten als Marionetten am westlichen Gängelband. Natürlich unterstützen die Regierungen ein solches Misstrauen, dennoch sind diese Strukturen trotz ihrer Mängel die einzigen, die vom einsamen Kampf arabischer Journalisten in einer Region berichten, deren Bevölkerung ihrer elementaren Rechte beraubt ist.

Autor: Hamid Skif (Qantara.de), algerischer Journalist, lebt heute in Hamburg

Der tunesische Journalist und Regimekritiker Taoufik Ben Brik, Foto: ap
Der tunesische Journalist und Regimekritiker Taoufik Ben BrikBild: AP
Saudische Frauen vor einem Computer, Foto: ap
Freier Zugang ins Netz - in vielen Staaten keine SelbstverständlichkeitBild: AP
Karte von "Enemies of the Internet 2010", Quelle: Reporter ohne Grenzen
Karte, die die "Feinde des Internets 2010" anzeigt. Viele arabische Staaten sind darunter vertreten, dort gilt das Internet als "Teufelszeug".Bild: RSF
Asma Ridane arbeitet als Journalistin in Tunis, Foto: Anne Allmeling
Harter Job: Die tunesische Journalistin Asma RidaneBild: DW

Übersetzung aus dem Französischen: Ursula Günther
Redaktion: Ina Rottscheidt