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Corona-Langzeitfolgen sind die Regel

9. Januar 2021

Muskelschmerzen, Müdigkeit und psychische Probleme: Laut einer Studie aus China leiden zwei Drittel der schwerer erkrankten COVID-Patienten auch ein halbes Jahr nach der Infektion noch unter den Folgen der Krankheit.

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Coronavirus I  CT-Aufnahme  Lunge
Bild: Remko De Waal/ANP/dpa/picture alliance

Das Coronavirus geht wohl an kaum jemandem spurlos vorbei - so oder so. Eine neue Studie legt nun allerdings nahe, dass selbst diejenigen, die eine Infektion überstanden haben und danach als offiziell genesen gelten, eines oft nicht sind: wirklich gesund.

Muskelschmerzen, Müdigkeit und psychische Störungen wie Angst und Depressionen seien die am häufigsten auftretenden Langzeitfolgen nach einer SARS-CoV-2-Infektion, schreiben Forscher einer im Fachmagazin "Lancet" veröffentlichten Kohortenstudie.

Demnach leiden etwa zwei Drittel der im Krankenhaus behandelten Patienten auch sechs Monate nach der akuten Erkrankung noch unter einem oder mehreren Folgesymptomen. 

"Unsere Analyse zeigt, dass die meisten Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zumindest mit einigen der Auswirkungen des Virus weiterleben und unterstreicht die Notwendigkeit einer Nachsorge nach der Entlassung, insbesondere für diejenigen, die schwere Infektionen haben", sagt Bin Cao, einer der Autoren der Studie und Vize-Direktor des National Clinical Research Centre for Respiratory Diseases. 

Genesen, aber nicht gesund

Die Wissenschaftler nahmen 1733 Infizierte unter die Lupe, die zwischen dem 7. Januar und dem 29. Mai 2020 aus dem Jin Yin-tan Hospital in der chinesischen Stadt Wuhan entlassen wurden.

Die Untersuchten waren im Mittel 57 Jahre alt, 52 Prozent von ihnen waren Männer, 48 Prozent Frauen. Die meisten Erkrankten (1172 Patienten) waren auf eine zusätzliche Versorgung mit Sauerstoff angewiesen.

Zwischen Mitte Juni und Anfang September des vergangenen Jahres wurden die Patienten erneut untersucht. Die Wissenschaftler fanden mit Hilfe von Fragebögen, Labor- und Ausdauertests heraus, dass 76 Prozent der Probanden mindestens ein Symptom aufwiesen, das die Patienten seit der Infektion begleitete.

Müde und schwach

Über Müdigkeit oder Muskelschwäche berichteten 63 Prozent, während 26 Prozent Schlafschwierigkeiten angaben und 23 Prozent unter Angstzuständen oder Depressionen litten. Den Forschern fiel auf, dass Frauen eher mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten als Männer. 

Labortests zeigten zudem, dass 13 Prozent der Patienten, deren Nierenfunktion während des Krankenhausaufenthalts normal war, bei der Nachuntersuchung eine verminderte Nierenfunktion aufwiesen.

Bei besonders schwer erkrankten Patienten war auch Monate später noch eine eingeschränkte Lungenfunktion mit schlechterer Sauerstoffversorgung des Körpers auffällig.

Die Arbeit der chinesischen Forscher deckt sich mit den Ergebnissen anderer bisher durchgeführten Studien zu COVID-19-Langzeitfolgen, die Wissenschaftler weisen trotzdem auf einige Schwachstellen in ihrer Studie hin. 

Mehr Forschung nötig

So sei der Anteil an Probanden mit chronischen Lungen- und Herzerkrankungen in der untersuchten Gruppe relativ gering. Die Angaben dazu beruhen allerdings nicht auf Untersuchungen der Wissenschaftler, sondern auf Selbstauskünften der Patienten. Hier könnte es zu Fehleinschätzungen gekommen sein.

Zudem waren Infizierte mit nur leichten COVID-19-Symptomen nicht Teil der untersuchten Kohorte, weil diese Patientengruppe gar nicht erst in das Jin Yin-tan Hospital eingeliefert, sondern in sogenannten "shelter hospitals" versorgt wurde.

"Diese Tatsache könnte die Zahl derer, die an Langzeitfolgen nach einer COVID-Infektion leiden, verzerren", sagt Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankung und Allergien in der MEDIAN Klinik Heiligendamm.  Die Klinik bietet nach überstandener Infektion eine Post-Corona-Reha an.

Corona und die Folgen

Neben den Patienten, die eine Infektion kaum bemerken und danach wieder vollständig fit sind und denen, die mit einem schwereren Verlauf intensivmedizinisch behandelt werden müssen, gebe es noch eine dritte Gruppe, sagt Frommhold.

"Diese Patienten haben einen milderen Verlauf, sind vielleicht nur kurz im Krankenhaus und bekommen dann nach ein bis drei Monaten Symptome." Wie die chinesischen Mediziner stellt auch Frommhold vor allem Müdigkeit und Muskelschwäche als Spätfolge der Infektion fest.

Aber auch Patienten mit neurologischen Problemen, Gelenkschmerzen und Haarausfall sitzen vor der Ärztin. Vor allem sind diese Menschen aber eines: extrem verunsichert, weil sie nicht verstehen, was mit ihnen los ist. 

Mehr Wissen für mehr Hilfe

Frommhold ist deshalb froh über jede Studie, die den möglichen Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung auf die Schliche kommt.Die meisten der 300 Menschen, die bisher eine Reha in Heiligendamm gemacht haben, sind zwischen 30 und 65 Jahre alt und kommen nun nicht mehr richtig auf die Beine und zurück ins Arbeitsleben. 

"Menschen, die nach einem milden Verlauf unter verzögert auftretenden Folgesymptomen leiden, wissen oft gar nicht, wohin sie sich wenden sollen", sagt Frommhold. Hausärzte können oft nicht helfen und Nachsorgeangebote gibt es oft nur für diejenigen, die einen schweren Verlauf erlebt haben.

"Aufklärung darüber, welche Symptome auftreten können, ist ganz wichtig", betont Frommhold. Aus diesen Gründen, so die Forscher aus Wuhan, sei es wichtig "längere Nachbeobachtungsstudien in größeren Populationen durchzuführen, um das gesamte Spektrum der Auswirkungen zu verstehen, die COVID-19 auf Menschen haben kann."