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Politik

UN: Hungerkrise in Afrika dauert an

26. September 2017

Die FAO, UN-Agentur für Ernährung, warnt: Millionen Menschen in Afrika sind nach wie vor von Hunger bedroht. Bürgerkriege sind die Ursache. Man müsse mehr tun, fordert FAO-Direktor Daniel Gustafson im DW-Interview.

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Hunger in Somalia
Dürre: FAO sieht Ernährungslage in Somalia weiter kritischBild: picture-alliance/Photoshot

Deutsche Welle: Die FAO und andere Organisationen haben im März einen alarmierenden Bericht vorgestellt, wonach 110 Millionen Menschen weltweit und vorrangig in Afrika von Ernährungsunsicherheit oder gar Hunger bedroht sind. Wie hat sich diese Krise in den letzten sechs Monaten entwickelt?

Daniel Gustafson: Diese ernste Krise hält im Grunde in all diesen Staaten an, die wir benannt haben: Somalia, Südsudan, Syrien, Jemen, aber auch im Norden von Nigeria. Jedes dieser Länder hat seine eigenen Probleme, seinen eigenen Regenzyklus usw. Aber in allen finden wir eine sehr, sehr große Zahl von Menschen, die sich am Rande des Zusammenbruchs bewegen, selbst wenn sie humanitäre Hilfe erhalten.

Das heißt, dass die Appelle an die internationale Gemeinschaft zu helfen, nicht gefruchtet haben?

Etwas ist schon passiert. Es hat eine nennenswerte Unterstützung durch die Geberländer gegeben, aber nicht auf dem Niveau, das nötig und gefordert ist. Die Krise trifft diese Länder wirklich ins Mark, wenn man das einmal mit normalen Jahren und den Effekten von Dürre und dem Wetterphänomen El Nino vergleicht. Verstärkt wird das durch bewaffnete Konflikte in einer Reihe von Staaten wie etwa in Jemen oder Syrien.

Daniel Gustafson stellvertretender Direktor FAO
Gustafson: Partnerschaft mit der Europäischen Union stärkenBild: DW/B. Riegert

Die FAO versucht in einigen Ländern in der Region des großen Tschad-Sees mit Projekten den Menschen zu helfen, sich wieder selbst zu ernähren. Wie funktioniert das?

Das hauptsächliche Ziel ist es, zusammen mit unseren Partnern die Widerstandskraft der Haushalte und Dörfer gegen die Folgen von Dürren und anderen unerwarteten Schocks im System zu stärken. Wir hoffen, dass wir mit unseren Hilfsaktionen erreichen, dass die Erwerbsmöglichkeiten für Bauern geschaffen und erhalten werden können. Wir müssen vor allem die Viehherden erhalten, die Lebensgrundlage der Hirten sind. Das versuchen wir vor allem in Somalia und in Südsudan. Wir müssen diese Viehbestände schützen, damit die Menschen weiter in der Lage sind, sich Nahrung zu beschaffen und etwas anzubauen. Ein Beispiel ist Syrien. Trotz des jahrelangen Kriegs werden immer noch 40 Prozent der Nahrungsmittel lokal in Syrien produziert. Man muss also die Bauern und ihre Familien schützen.

Sie sind in Brüssel, um einen strategischen Dialog mit der Europäischen Union zu führen. Was sind ihre Forderungen. Was soll die EU tun, die ja schon jetzt sagt, sie sei bereits der größte Geldgeber weltweit?

Wir sind vor allem hier, um über unsere Partnerschaft zu sprechen. Wir bekommen eine Menge Geld von der EU. Sie sind unser größter Geber von freiwilligen Zuwendungen, aber auch ohne das Geld sind wir auf die verschiedenste Weise Partner. Wir haben eine Menge gemeinsame Interessen. Es geht vor allem darum, wie wir den Staaten helfen, ihre Verpflichtungen einzugehen und diese dann auch wirklich umzusetzen. Da geht es um Klimawandel, Aufforstung, Bodenerosion und Fischfang. Es gibt eine Reihe von internationalen Abkommen in diesen Bereichen. Wir helfen den Ländern in der EU und in Afrika ihren Teil der Abmachung einzuhalten. Das machen wir mit den FAO-Büros in den betroffenen Ländern und auch über die EU-Delegationsbüros in diesen Ländern. Natürlich schätzen wir sehr die finanziellen Zuwendungen der EU, aber es geht bei unseren Gesprächen mehr um eine bessere Zusammenarbeit als um Geld.

Wie ist das mit anderen großen Geldgebern. Zieht sich die neue amerikanische Regierung, die Trump-Administration zurück, wenn es um die Finanzierung der FAO geht?

Bis jetzt haben wir keine Reduzierung der Finanzierung erlebt. Es gibt Äußerungen von Präsident Trump, dass er weniger zum Haushalt der Vereinten Nationen beisteuern will. Ein Teil des Haushalts besteht aber auch in bindenden Verpflichtungen je nach Leistungskraft der Mitgliedsstaaten. Das steht fest und ist nicht so einfach zu ändern. Einfacher wäre es bei den freiwilligen Beiträgen für bestimmte Projekte zu streichen. Auch da haben wir noch keine Kürzungen gesehen. Es gibt eine Debatte im US-Kongress, der ja letztlich über die Mittel entscheidet, ob man die Zuwendungen überhaupt beschneiden sollte. Wir werden abwarten, wie das ausgeht.

Lassen Sie mich noch einmal in die Region zurückgehen. Ihr Bericht über den drohenden Hunger beschreibt, dass acht von zehn Krisen in Afrika oder im Nahen Osten, durch Aufstände, Bürgerkrieg oder Terrorismus verursacht werden, also von Menschen gemacht sind. Welche Verantwortung tragen die Regierungen in der Region, diese Krisen zu verhindern?

Natürlich tragen diese Regierungen Verantwortung. In den meisten schweren Krisen spielt ein kriegerischer Konflikt eine Rolle. Es geht immer um Frieden und Stabilität. Es gibt die Dürre und El Nino, die durch die Konflikte in ihrer Wirkung verstärkt werden. Die Konflikte wirken sich nicht so sehr durch direkte Zerstörung aus, sondern durch eine stetige Unterminierung der Fähigkeit von Familien für sich selbst zu sorgen, einzukaufen, Ersatzteile zu besorgen, Produkte auf dem Markt anzubieten. Alles wird so furchtbar kompliziert, um überhaupt noch einen Wirtschaftskreislauf aufrecht zu erhalten. Das ist das Desaster für die meisten Menschen. Je länger der Konflikt anhält, je schneller dreht sich die Abwärtsspirale und alles wird noch schlimmer.

Aus einigen dieser Staaten kommen Flüchtlinge und Migranten über Niger und Libyen nach Europa. EU-Politiker sagen gerne, man müsse das Problem in den Herkunftsländern bekämpfen. Diese Länder stehen aber unter enormen Stress wegen der internen Flüchtlingsbewegungen. Verstehen Sie, was die EU sich vorstellt?

Ich glaube schon. Die Migrationsfrage ist sehr komplex. Sehr oft sind die Menschen, die nach Europa einwandern, selbst Binnenflüchtlinge in Afrika, die mehrfach fliehen mussten. Wir brauchen Frieden und Stabilität und bessere Lebensbedingungen, damit die Menschen vor Ort bleiben können. Selbst in Syrien wollen die Menschen eigentlich bleiben. Die Frage ist nur, wie schafft man es, dass sie für längere Zeit in ihrem Land bleiben? Wie kann man Staaten in Afrika helfen, die selbst bereits eine große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen haben? Als Beispiel sehen wir Uganda an, das in diesem Bereich führend ist und zum Beispiel Ackerland an Flüchtlinge aus dem Südsudan verteilt. Das haben sie früher bereits mit Flüchtlingen aus Ruanda gemacht. Uganda hilft den Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen und den Migranten. Das ist ein wirklich faszinierender Ansatz, der internationale Hilfe unbedingt verdient. Einiges an Unterstützung gibt es. Wir brauchen sehr viel mehr.

Daniel Gustafson ist der stellvertretende Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisationen der Vereinten Nationen (FAO) in Rom. Die FAO soll Ernährung und landwirtschaftliche Produktion in Entwicklungsländern sicherstellen.

Das Interview führte Bernd Riegert in Brüssel. 

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union