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Politik

Viel mehr Missbrauchsopfer im Erzbistum Köln

20. Februar 2021

Der 18. März sollte die Wahrheit ans Licht bringen. Denn dann soll das neue Missbrauchsgutachten für das Erzbistum Köln veröffentlicht werden. Doch erste Details sind jetzt schon publik und sie sind erschreckend.

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Deutschland I Ökumenische Vesper mit Kardinal Rainer Maria Woelki in Köln
Kölns Kardinal Rainer Maria Wölki ist schwer unter Druck Bild: Geisler-Fotopress/picture alliance

Im Erzbistum Köln gibt es deutlich mehr Missbrauchstäter und -opfer als bisher angenommen. 300 Opfer und 200 Beschuldigte seit 1975 - das sind die neuen Zahlen, die der von Kardinal Rainer Maria Wölki beauftragte Kölner Strafrechtler Björn Gercke in den letzten Monaten seiner gutachterlichen Arbeit ermittelt hat, wie der WDR und "Spiegel"-Online berichten. Die im Herbst 2018 vorgestellte Missbrauchsstudie der deutschen Bischöfe führte für das Erzbistum Köln 135 Opfer sexualisierter Gewalt und 87 beschuldigte Geistliche aus den Akten der Jahre 1946 bis 2015 auf.

Das Gercke-Gutachten soll am 18. März vorgestellt werden. "Die Zahlen sind bekannt, da wir sie bereits in der Vergangenheit zu verschiedenen Anlässen kommuniziert haben", erklärte Gercke dazu an diesem Samstag.

Auffällig ist, dass die jetzt veröffentlichten Zahlen deutlich höher liegen als jene aus der sogenannten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz. Gercke nannte hierfür mehrere Gründe: So betrachte sein Gutachten nicht nur Kleriker (also Priester, Diakone und Bischöfe), sondern auch nicht geweihte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Erzbistums. Zudem sei "zwischen Verdachtsmeldungen und tatsächlichen (Straf-)Taten zu unterscheiden".

Verdächtiger Priester erst 2017 in den Ruhestand geschickt 

Das Gutachten von Gercke enthält laut "Spiegel" auch den Fall eines Priesters, der in den 1980er Jahren in einem Internat im Erzbistum des sexuellen Missbrauchs beschuldigt und später als Pastor und Jugendseelsorger eingesetzt worden war. 2002 soll sich der Geistliche gegenüber einer Teenagerin sexuell übergriffig verhalten haben. Erst 2017 sei er von Woelki in den Ruhestand verabschiedet worden.

Kölner Dom  Köln
Blick auf den Kölner Dom, die Kathedrale des Erzbistums Bild: picture-alliance/imagebroker

Ein solcher Prüfungsauftrag, wie ihn der Kölner Strafrechtler erhalten hatte, war zuvor auch an die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) gegangen. Ihre Untersuchung zum Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Fällen sexualisierter Gewalt ist seit März 2020 fertig. Woelki lässt das Gutachten allerdings nicht veröffentlichen. Durch seine Sprecher ließ er mehrfach mitteilen, Juristen des Erzbistums hätten es geprüft und schwere methodische Fehler festgestellt.

Der Untersuchungszeitraum dieser Studie reicht ebenfalls bis 1975 zurück und umfasst die Amtszeiten der Kardinäle Joseph Höffner (Erzbischof von 1969 bis 1887), Joachim Meisner (1989 bis 2014) und Woelki (seit 2014). Das Münchner Gutachten nennt nach Information des "Kölner Stadt-Anzeigers" rund 230 Beschuldigte und mehr als 270 Opfer.

Kölner Kardinal Woelki unter Druck

Woelki hat die umfassende Aufarbeitung sexueller Gewalt durch Geistliche im Erzbistum Köln versprochen, das mit etwa 1,9 Millionen Katholiken das größte Bistum im deutschsprachigen Raum ist. Doch in den vergangenen Monaten nahm die Kritik an dem 64-Jährigen massiv zu, nicht zuletzt wegen der Zurückhaltung der Münchner Studie.

Viele treten aus der katholischen Kirche aus 

Inzwischen ist von einer beispiellosen Vertrauenskrise die Rede. Viele werfen ihm die Vertuschung von Missbrauchsfällen vor. Wölki selbst schließt angeblich auch einen Rücktritt nicht mehr aus, falls ihm das zweite Gutachten ein pflichtwidriges Verhalten attestiert sollte.

Die Nachfrage nach Kirchenaustritten in Köln schnellte in den vergangenen Wochen dermaßen in die Höhe, dass das Amtsgericht sich gezwungen sah, die Zahl der Online-Termine zum Austritt aufzustocken. Kurz nach Freischaltung der zusätzlichen Termine brach am Freitag der Server wegen Überlastung zusammen.

se/ml (kna, dpa, wdr, afp)