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Die Nachrichten des Tages

Manoella Barbosa11. August 2008

Ernst, verlässlich, pünktlich - das ist die ARD-"Tagesschau". Locker-flockig zwischen zwei Telenovelas kommt dagegen das "Jornal Nacional" in Brasilien daher. Unsere DW-WORLD-Praktikantin kennt beide Sendungen genau.

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Sprecherin vor blauem Tagesschau-Studio-Hintergrund und Logo (Quelle: dpa)
Die "Tagesschau" bürgt für SeriositätBild: picture-alliance/ dpa

Ein Gong ertönt pünktlich um 20 Uhr in Deutschland. Gleich danach echot eine kräftige männliche Stimme, die formell den Beginn der Sendung annonciert. Ein dezent angezogener Sprecher hebt seine neutrale, seriös wirkende Stimme und liest mit kaum bewegter Miene etwas von einem Blatt Papier ab, eingerahmt von einem schlicht eingerichteten, dunkelblauen Szenario.

Ein vertrautes Bild für jeden Deutschen. Es wäre nicht übermäßig übertrieben zu behaupten, es gebe keinen einzigen lebenden Deutschen, der nicht genau weiß, um welche Sendung es hier geht. Schließlich begleitet die "Tagesschau" seit 56 Jahren das Leben von Millionen Deutschen und fungiert seit Jahrzehnten und Generationen als Garant für die deutsche Zuverlässigkeit.

Unpünktlichkeit geht gar nicht

So gut wie immer um 20 Uhr, 15 Minuten lang und immer vom Blatt abgelesen. Praktisch ohne Ausnahme. Warum eigentlich? Mir geht es nicht um die Uhrzeit selbst, sondern um das Ritual: Angenommen, die "Tagesschau" würde nicht pünktlich um 20 Uhr beginnen. Angenommen, der Gong würde mal um 20.05 Uhr, mal um 19.55 Uhr ertönen - für viele Deutsche etwa so unvorstellbar wie "Angela Merkel dating Bastian Schweinsteiger". Aber angenommen, es wäre so. Ich meine mit der "Tagesschau", nicht mit Merkel und Schweinsteiger. Was wären die Konsequenzen dieser Unverbindlichkeit für die deutsche Gesellschaft?

Die "Tagesschau" ist wichtig - auch für Kinder

Karl Heinz-Köpcke moderiert die "Tagesschau" im Jahr 1965 (Quelle: AP)
Urgestein der "Tagesschau": Karl-Heinz Köpcke 1965Bild: AP

Denken Sie zum Beispiel an die armen Kinder. Sie wüssten nicht mehr, wann genau sie ins Bett gehen müssten, denn "nach der Tagesschau" wäre eine unpräzise Zeit zwischen 20.10 Uhr und 20.20 Uhr. Und was wäre mit Menschen, die einen Deutschen anrufen möchten? Immer noch ist es angebracht, nie während der "Tagesschau" anzurufen. Die Genauigkeit der Deutschen wäre für immer gefährdet. Es wäre furchtbar.

Für meine Landsleute wäre es halb so schlimm. In meiner Heimat Brasilien gibt es ebenso eine traditionelle Nachrichtensendung, die Mutter aller brasilianischen Nachrichtenformate. Das "Jornal Nacional" wird seit 39 Jahren ausgestrahlt, ist also 17 Jahre jünger als die deutsche Verwandte, die "alte Tante Tagesschau".

"Jornal Nacional" gehört zum Leben wie Samba und Fußball

Das "Jornal Nacional" ist genauso vertrauenswürdig wie die "Tagesschau". Ein Abend ohne "Jornal Nacional" (bis auf sonntags, wenn die Sendung nicht ausgestrahlt wird) ist für uns Brasilianer etwa so unwahrscheinlich wie ein Leben ohne Fußball oder ein Tag ohne Samba. Das Vorspannlied ist uns genauso vertraut wie die Melodie der Nationalhymne.

Insofern sind wir Brasilianer und Deutsche uns sehr ähnlich. Uns verbindet also doch mehr als unsere Vorliebe für Fußball oder Bier. Fans von Cid Moreira, dem deutschen Karl-Heinz Köpcke und Fans von Karl-Heinz Köpcke, dem brasilianischen Cid Moreira, vereinigt euch!

Die Sendung fängt an, wenn sie beginnt

Screenshot der Website http://jornalnacional.globo.com (Quelle: DW-Archiv)
Bunte Nachrichten: Website des "Jornal Nacional"Bild: http://jornalnacional.globo.com/

In Brasilien ertönt jedoch kein Gong und das "Jornal Nacional" fängt nicht pünktlich um 20 Uhr an. Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß weder, wann die Sendung anfängt noch wie lange sie dauert. Das hat seine Gründe: Das "Jornal Nacional" fängt seit 39 Jahren immer zwischen der "Novela das sete" (Sieben-Uhr-Telenovela) und der "Novela das oito". (Acht-Uhr-Telenovela) an. Das Problem ist nur, dass die "Novela das oito" schon seit Jahren keine "Novela das oito" mehr ist. Dementsprechend hat das "Jornal Nacional" im Laufe der Jahre schon unzählige Anfangszeiten und auch verschiedene Längen gehabt.

Nicht nur Telenovelas rühren zu Tränen

Das liegt auch daran, dass sich die Sendung stark am Weltgeschehen orientiert. Das heißt, wenn zum Beispiel ein Prominenter stirbt, überzieht die Sendung ihre vorgesehene Sendezeit manchmal um 20, 25 Minuten. Sollte jedoch für das Abendprogramm ein wichtiges Fußballspiel eingeplant sein, dann endet die Sendung früher, mit dem Hinweis des Moderators: "Wegen des Fußballspiels heute Abend verabschieden wir uns früher. Guten Abend!"

Wenn wir schon beim Moderator sind: Die Brasilianer sind die Verkörperung der Fröhlichkeit beim Moderieren. Oft zu zweit im Studio, geben sie mehrmals während der Sendung ihre Meinung zu brisanten oder skurrilen Ereignissen bekannt. Traurigkeit verbergen sie auch nicht. Unvergesslich sind zum Beispiel die tränenden Augen und die erstickte Stimme von Moderator William Bonner, als Roberto Marinho starb, der Gründer des Kommunikationskonzerns Globo, zu dem auch der Sender gehört, in dem das "Jornal Nacional" ausgestrahlt wird.

Was würden die emotionslosen Sprecher der "Tagesschau" dazu sagen? Um Gottes willen, das wäre total unpassend. Schließlich sind sie nur da, um die Nachrichten abzulesen. Die temperamentvollen Reaktionen überlassen sie doch lieber den Brasilianern. Und wie schlimm wäre es, wenn sie das Papier mit ihren Tränen nass machen würden? Sie müssten improvisieren. Und dann wäre der Ruf der absoluten Zuverlässigkeit und Neutralität mit einem Mal dahin. Einfach unvorstellbar !