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Gysi geht - quo vadis, Linke?

Marcel Fürstenau, z.Zt. Bielefeld7. Juni 2015

Der Fraktionsvorsitzende der Linken verzichtet nach zehn Jahren auf eine neue Kandidatur. Damit verliert die Partei ihre wichtigste Integrationsfigur. Zum Abschied gibt Gysi seiner Partei noch ein paar Ratschläge.

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Gregor Gysi beim Bundesparteitag der Linken, 07.06.2015 (Foto: dpa/picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

"Quo vadis? Wohin gehst Du?" soll der Jünger Simon Petrus den Messias gefragt haben. Im übertragenen Sinne schwebte diese Frage mehrere Wochen über der Linkspartei. Welchen Weg würde ihre Gallionsfigur Gregor Gysi einschlagen? Am Sonntag gab der langjährige Fraktionsvorsitzende im Bundestag auf dem Parteitag der Linken in Bielefeld die Antwort: "Heute spreche ich letztmalig als Vorsitzender unserer Bundestagsfraktion auf einem unserer Parteitage." Die Zeit sei gekommen, den Vorsitz in jüngere Hände zu legen. Im Oktober wird die Fraktion voraussichtlich eine Doppelspitze als Gysis Nachfolger wählen.

Sein Parlamentsmandat will Gysi bis zum Ende der Legislaturperiode in zwei Jahren behalten. Ob er 2017 noch mal für den Bundestag kandidiere, könne er "heute noch nicht beantworten". Diese Entscheidung will er 2016 treffen. Der 67-Jährige hält sich also noch ein kleines Hintertürchen offen. In seiner Abschiedsrede als Fraktionschef zog Gysi eine sehr persönlich gefärbte Bilanz. Sie begann mit dem Umbruch 1989, als er die DDR-Staatspartei SED in die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) überführte, und endete mit einem Ausblick auf die Zukunft der Partei. Ausdrücklich plädierte Gysi dafür, auch auf Bundesebene eine Regierungsbeteiligung anzustreben.

"Geliebt, angebetet oder gehasst"

Gysi glaubt, dass die Partei und er in den zurückliegenden 25 Jahren "einen nicht unbeachtlichen Akzeptanzschub" bekommen haben. In dieser Zeit sei er "geliebt, angebet oder gehasst" worden. Ohne das Wort "Stasi" in den Mund zu nehmen, erinnerte der Rechtsanwalt an die ihn stets begleitende Diskussion um seine Kontakte zur Staatssicherheit der DDR. Nie werde er das Wirken des Immunitätsausschusses des Bundestages vergessen. Der hat Gysi vorgeworfen, Stasi-Spitzel gewesen zu sein.

Ehemelige DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley mit einem Transparent "Gysi lügt" (Foto: dpa/picture alliance)
"Geliebt und gehasst": Gysi-Widersacherin und Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley 1995Bild: picture-alliance/dpa/A. Altwein

Außer der Linkspartei stimmte nur die FDP gegen das parlamentarische Verdikt. Deshalb hätten die Liberalen bei ihm trotz gravierender politischer Meinungsunterschiede immer einen "kleinen Stein im Brett". Gysi verknüpfte seinen Dank an die FDP mit einer Empfehlung an seine Genossen: Gerade weil er in einer Diktatur gelebt habe, könne er allen nur raten, "die Rechtsstaatlichkeit zu schützen".

Die Umwandlung der SED zur PDS und ihre Eingliederung in das vereinte Deutschland bezeichnete Gysi als "ungeheuer" schwere Aufgabe, "auf die wir stolz sein können". Der spätere Zusammenschluss mit Linken aus dem Westen Deutschlands hätte ohne Oskar Lafontaine nicht geklappt, würdigte er die Rolle des ehemaligen SPD-Vorsitzenden. Der hat sich schon vor einigen Jahren aus der ersten Reihe verabschiedet. Gysi wird ihm nun folgen.

DDR versus Kapitalismus

Ausführlich ging der scheidende Fraktionschef darauf ein, was die Linke künftig "auszeichnen" soll. Nicht zuletzt ein "kritisches Verhältnis zur eigenen Vergangenheit". Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzuschränken, sei Tabu. Andererseits hob er die aus seiner Sicht positiven Seiten der DDR hervor. Es habe keine "soziale Ausgrenzung" gegeben, der Zugang zu Bildung und Kultur sei für alle bezahlbar gewesen.

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine 2006 (Foto: dpa/picture alliance)
Lange her: Duo Lafontaine und GysiBild: picture-alliance/dpa/M. Hanschke

Vor allem dürfe mit der Linken nicht länger plakativ "keine funktionierende Wirtschaft" verbunden werden. Die Linke müsse erklären, "was uns am Kapitalismus stört und was nicht". Banken und Konzerne hätten eine "demokratiegefährdende Macht". Kapitalismus leiste aber auch Hervorragendes in Wissenschaft, Forschung und Kultur. Wachstum sei ein positiver Begriff. Wer ihn ablehne, erwecke bei Menschen den Eindruck, "ihnen etwas wegnehmen zu wollen".

Und wieder warb Gysi dafür, unter bestimmten Vorrausetzungen auf Bundesebene Regierungsverantwortung zu übernehmen. Er sagte aber auch: Mitverantwortung für die NATO, die Bundeswehr und die EU sei schon "gruselig". Andererseits würden sich 90 Prozent der Linken-Wählerschaft Regierungsbeteiligungen wünschen.

Entschuldigung bei Freunden und Verwandten

Die Partei müsse "kompromissfähig" sein, dürfe aber ihre Identität nicht verlieren. Am Beispiel der Bundeswehr illustrierte Gysi, was er sich darunter vorstellt: Man würde als Regierungspartei zwar nicht gleich alle Auslandseinsätze verhindern können, aber doch solche wie in Jugoslawien und Afghanistan. "Welcher gewaltige Fortschritt wäre das!" Eine realistische Perspektive für ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen kann Gysi momentan allerdings nicht erkennen. Potenzielle Koalitionspartner müssten ihre Haltung gegenüber der Linken zu klären: "Will die SPD Anhängsel der Union bleiben? Wollen die Grünen zur Union gehen?"

Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, Bundesparteitag Linkspartei 2015 (Foto: dpa/picture alliance)
Nachfolger? Duo Bartsch und WagenknechtBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Am Ende seiner 50 Minuten dauernden Rede wurde Gysi emotional und selbstkritisch. Er habe immer unter "öffentlicher Kontrolle" gestanden. In der Zeit seit 1989 habe er Freundschaften "zu wenig gepflegt" und zu wenig Zeit für seine Familie gehabt. Er habe sich zu wichtig genommen. Bei seinen Angehörigen und Freunden wolle er sich dafür entschuldigen, sagte er mit stockender Stimme.

Es folgte eine tiefe Verneigung vor den Delegierten des Parteitags. Die dankten ihrer Gallionsfigur mit zehn Minuten Beifall im Stehen. Ganz vorne im Saal der Bielefelder Stadthalle standen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Die beiden gelten als potenzielle Nachfolger Gysis. Wagenknecht ist unter den herrschenden Bedingungen strikt gegen ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene, Bartsch könnte es sich eventuell vorstellen. Die Linke steht vor einer Richtungsentscheidung - wieder einmal.