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Göbel: "Kein Kurswechsel in China"

Matthias von Hein14. März 2013

China bekommt zwar eine neue Führung. Aber einen Kurswechsel sollte man nicht erwarten. Neu sind die Herausforderungen für die Kommunistische Partei durch die Neuen Medien, glaubt der Sinologe Christian Göbel.

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Prof. Dr. Christian Göbel vom Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien Foto: privat, Rechte geklärt via: DW/ M. von Hein
Prof. Dr. Christian GöbelBild: Andreas Fulda

Deutsche Welle: Prof. Göbel, Xi Jingping und das neue Politbüro werden nun, nachdem sie im November die höchsten Parteiämter übernommen haben, jetzt auch die politischen Ämter übernehmen. Xi Jinping wird dann Staatspräsident, Li Keqiang Ministerpräsident. Kann man denn schon jetzt von den in der Zwischenzeit gehaltenen Reden ableiten, was wir von dieser neuen Führung erwarten können?

Christian Göbel: Ich möchte zwei Sachen dazu sagen. Erst einmal ist es ja nicht so, dass jetzt was ganz Neues passieren kann. Die politischen Leitlinien oder das, was jetzt in den nächsten Jahren passieren soll, war ja schon in den letzten Jahren festgelegt worden. Beispielsweise haben wir seit 2011 einen neuen Fünfjahresplan. Wir kennen schon die Pläne für Technologie und Innovation. Und diese Politiken werden weiter gehen. Es wird da keinen gravierenden Kurswechsel geben. In China ist allerdings immer die Frage interessant, inwiefern bestehende Gesetze tatsächlich umgesetzt werden. Wir haben zum Beispiel in China sehr strenge Umweltgesetze und sehr strenge Antikorruptionsgesetze. Und da geht es eben darum, ob solche Gesetze umgesetzt werden. 

Es wird oft die Frage diskutiert wird, ob mit Xi Jinping ein Reformer kommt . Und Reform heißt ja politische Öffnung, vielleicht mehr Demokratie und Freiheit. Wie ist da Ihre Einschätzung?

Es wird gerne berichtet, dass Xi Jnping lacht und lockerer ist als sein Amtsvorgänger Hu Jintao beispielsweise. Dann schreiben die chinesischen Medien, er sei auf das Land verschickt worden und kenne deswegen die armen Menschen sehr gut. Aber ich denke, es ist nicht zulässig, aus solchen einzelnen biographischen Faktoren irgendetwas abzuleiten. Denn ein anderer Faktor, der weniger besprochen wird, ist, dass jemand wie Xi Jinping - und das gilt für jeden Parteiführer, jedes Mitglied des Politbüros - eine sehr, sehr lange Ochsentour hinter sich hat. Und wer das überlebt und überstanden hat, hat bewiesen, dass er sich gut an das System anpassen kann, die Regeln kennt und weiß, wie man im System überlebt.

Worin sehen Sie denn die größten Herausforderungen für die neue Führung in China?

Da sind einmal die Herausforderung der steigenden Ungleichheit. Die städtische und die ländliche Entwicklung ist einigermaßen aneinander anzugleichen. Der Urbanisierungsprozess ist so zu steuern, dass alle beteiligten Gruppen keine Verluste erleiden. China muss zu einer besseren Einkommensverteilung kommen und dadurch die Binnennachfrage zu stärken, was dann wiederum Innovation fördern könnte. Dann müssen natürlich Korruption und Vorteilsnahme bekämpft und die Umwelt geschützt werden.  Hinzu kommt, dass wir in den letzten Jahre eine immer besser informierte Bevölkerung haben. Der Zugang zu Informationen ist viel einfacher geworden als noch vor zehn Jahren, vor allem durch das Internet und die Microblogs. Für die Regierung ist es sehr schwierig geworden, Informationen zu unterdrücken.  Das führt zu einer Situation, dass das Volk der Regierung viel stärker als früher auf die Finger schaut und die Politik der Regierung auch sehr schnell kommentiert, ohne dass die Zensoren da so schnell hinterher kommen würden. 

Ein großes Problem hatten Sie ja schon genannt: den Umweltshutz. Das ist ja auch ein Feld, wo sich die neue, gut informierte Mittelschicht formiert. Denn die muss feststellen, dass der gerade erst mit viel Anstrengung angehäufte Wohlstand nicht alles ist. Denn die Menschen riskieren ja schon ihre Gesundheit allein dadurch, dass sie mal einkaufen gehen, weil die Luftqualität sehr schlecht ist und die Kunden auch nicht sicher sein können, ob die Lebensmittel sicher sind oder nicht.

In der Politikwissenschaft würde man sagen, dass ein Wechsel stattgefunden hat von "Survival Values", also Werten, die sich ums bloße Überleben drehen, hin zu "Self-Expression Values", also Werten, wo es um mehr geht als nur um Essen und ein Dach über dem Kopf. Dieser Wandel ist in allen industrialisierenden Gesellschaften passiert. Und das ist jetzt eine Herausforderung für die Partei. Denn die Bevölkerung sagt jetzt: Gut, wir haben genug zu essen und wir haben ein Dach über dem Kopf.  Aber wie soll es jetzt eigentlich weiter gehen?

Christian Göbel lehrt am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien