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Politik

Von China geht Kriegsgefahr aus

Alexander Görlach
22. Juni 2021

China galt Vielen lange als Hoffnung für eine bessere Welt. Doch nun bezeichnet die NATO das Land erstmals als "Herausforderung". Das ist weniger als eine "Bedrohung" - aber immerhin, meint Alexander Görlach.

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Zitattafel | Prof. Dr. Alexander Görlach
Bild: DW

Zum ersten Mal hat das Kommuniqué eines NATO-Gipfels die vom Nordatlantik aus betrachtet weit entfernte Volksrepublik China erwähnt und sie als "systematische Herausforderung" bezeichnet. Alarmiert betrachtet das Verteidigungsbündnis der freien Welt, dass China sein Atomwaffenarsenal aufstockt und neue Trägersysteme für seine Atomraketen entwickelt. Zugleich kommen sich die Autokraten aus Peking und Moskau militärisch näher: Die Kooperation der Armeen beider Länder betrachtet die NATO deshalb mit dem gleichen Argwohn wie Chinas Aktivitäten im Cyberspace.

Dass China nun als Gefahr für das nordatlantische Bündnis benannt wird, ist vor allem US-Präsident Joe Bidens Verdienst. Die USA betrachten die autokratische Volksrepublik zurecht als grundsätzlichen Gegner der freien Welt. Zwei europäische Partner Joe Bidens, Angela Merkel und Emmanuel Macron, wollen nicht so weit gehen und waren daher gleich nach dem Gipfel darum bemüht, dem Kommuniqué an Drastik zu nehmen. Es gehe darum, die richtige Balance im Umgang mit China zu finden, meinte die Bundeskanzlerin.

Bedrohung und Herausforderung

Der französische Präsident zeigte noch größere Distanz zu dem Text des Kommuniqués als die deutsche Kanzlerin, als er sagte, dass das nordatlantische Verteidigungsbündnis aufgrund der geographischen Entfernung zu China sich mit der Volksrepublik nicht zu befassen brauche. Das Bündnis hätte bereits genug andere Aufgaben. Beide verweisen lieber auf Russland, das, ebenfalls im Gipfel-Kommuniqué, als die größere Gefahr herausgestellt wird: China wird zehnmal in dem Papier genannt, Russland 55-mal. Zudem wird Russland eine "Bedrohung" genannt, die Volksrepublik nur eine "Herausforderung".

Kanzlerin Merkel läuft beim NATO-Gipfel an einer Wand mit vier großen NATO-Flaggen entlang
Distanzierte sich unmittelbar nach dem Treffen gleich wieder vom Gipfel-Kommuniqué_ Angela MerkelBild: Patrick Semansky/AP/picture alliance

Der NATO-Gipfel folgt damit denselben Tanzschritten, die auch sonst auf dem internationalen Parkett gemacht werden, um China nicht völlig zu verärgern. Dabei sollten die politisch Verantwortlichen der freien Welt doch gelernt haben, dass China keine Loyalitäten kennt und jeden nach Gutdünken schlecht behandelt. Schweden, das China eine Forschungsstation auf seinem Territorium hat errichten lassen, wird dennoch gegängelt, wenn es die Menschenrechte anmahnt. Australien wird gedemütigt, indem die Behörden Agrarimporte vom kleinsten Kontinent in chinesischen Häfen verrotten lassen. Und das kurz nachdem beide Länder feierlich in ein neues, gemeinsames Handelsabkommen eingetreten waren.

Kein Hoffnungsträger mehr für eine bessere Welt

Der Tanz wird auch deshalb aufgeführt, weil man sich immer noch nicht vorstellen kann, dass Xi Jinping die Kommunistische Partei und mit ihr das gesamte Land, seine ökonomische, politische und militärische Ausrichtung um 180 Grad gedreht hat. Aus dem einstigen Hoffnungsträger für eine gute Welt im 21. Jahrhundert ist in der Tat die größte Bedrohung für den Weltfrieden geworden, die durch ein wachsendes Atomwaffenarsenal erst recht nicht kleiner wird.

Minderheiten im Land werden gegängelt und in Konzentrationslager gesperrt, wenn sie nicht der nationalistischen Ideologie Xis genügen. Die Verträge mit Hongkong wurden gebrochen - ein Affront gegen die Menschen in der ehemals freien Stadt und gegen die Weltgemeinschaft. Taiwan wird mit Kriegsdrohungen überzogen. Inseln, die zu den Philippinen gehören, werden von chinesischen Milizen besetzt. Streitigkeiten über Grenzverläufe hat China mit Indien, Japan und Korea. Die Nomenklatura in Peking lässt im Westpazifik künstliche Inseln aufschütten und mit Militärbasen überziehen. Damit will sich die KP die Herrschaft über die Schiffsrouten des Pazifiks und die Internetkabel, die auf dem Meeresboden verlaufen, sichern.

Nächstes Opfer Taiwan

Diese Auflistung zeigt überdeutlich, dass die Volksrepublik China in der Tat zu einer militärischen Bedrohung geworden ist - auch für die europäischen Nationen, deren Politiker sich gegenüber Peking verbiegen, um weiterhin Geschäfte mit Diktator Xi Jinping machen zu können. Zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei, der im Juli begangen wird, wird Präsident Xi sicher nicht milder werden: Er hat dem Land eine glorreiche, nationale Zukunft versprochen - die globale Vorherrschaft. Die Unterwerfung Hongkongs wird in diesem Sine bereits von der KP gefeiert.

Ein Puzzle, in dem die Flagge Chinas wie ein Keil in die Flagge der NATO hineinragt
China wir immer aggressiver und die NATO muss das ernst nehmen. Ein Anfang ist gemachtBild: edna/imago images

Als nächstes könnte die Annexion Taiwans blühen, was nicht nur einen Krieg zwischen den beiden Ländern bedeutet, sondern den gesamten Westpazifik in ein Kriegsgebiet verwandeln könnte. China setzt darauf, dass der Rest der Welt es einfach gewähren lassen wird. Man hat in Peking genau registriert, dass die Annexion der Krim zwar Proteste ausgelöst, aber sich nichts mehr an dem Status geändert hat, den Russland zuvor militärisch geschaffen hatte. Die NATO ist deshalb mehr als gut beraten, die Kriegsgefahr, die von China ausgeht, nicht zu ignorieren.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hong Kong.