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PolitikAsien

Xi und seinen Ballons die Grenzen aufzeigen

Alexander Görlach
14. Februar 2023

Welche Daten sie genau gesammelt haben, ist bisher nicht bekannt. Aber die Ballons über Nord- und Südamerika fügen sich ein in eine schon seit Jahren verfolgte Strategie Chinas, meint Alexander Görlach.

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Blauer Himmel: Oben die eingefallene und abstürzende Ballonhülle, Bildmitte unten ein Kampfflugzeug, das breite Kondenssstreifen hinter sich herzieht
Der chinesische Ballon stürzt ab, nachdem ein US-Kampfflugzeug ihn über amerikanischem Gebiet abgeschossen hatBild: Chad Fish/AP/picture alliance

Pekings Reaktionen auf den Eklat um sein Spionage-Ballon-Programm verdeutlichen von Tag zu Tag, wie unvorbereitet die Führung der Volksrepublik auf die Möglichkeit war, dass ihr Leichtflugkörper über den USA entdeckt werden könnte. Selbst die bekannte US-Comedy-Show "Saturday Night Live" machte sich über Pekings Chuzpe lustig: Ein Sketch endete mit dem Vorschlag, künftig solche Ballons doch wenigstens blau zu färben, damit man sie nicht schon meilenweit entfernt erkennen könne. 

In den Führungszirkeln der KP herrscht ganz offensichtlich blankes Chaos: Zuerst wusste eine Sprecherin überhaupt nichts mit dem Vorwurf aus den USA anzufangen. Dann gab es eine - extrem seltene - Entschuldigung, kurz darauf folgte die Behauptung, es handele sich nur um einen Wetterballon. Nach dessen Abschuss wurde die Rhetorik der KP schärfer. Mittlerweile ist Peking dazu übergegangen, ohne Belege zu behaupten, dass Washington seinerseits seit 2022 zehn Ballons über chinesisches Territorium geschickt habe.

Der "nahe Weltraum" als kriegsentscheidende Zone

Zu Pekings Treiben in Sachen Spionage-Ballons hingegen gibt es einiges zu sagen, was sich definitiv belegen lässt: Die KP hat bereits im Jahr 2014 einen Fokus auf jenen Teil des Himmels gelegt, der zwischen der Flughöhe von gewöhnlichen Verkehrsflugzeugen und dem Weltraum liegt. Die Kommunistische Partei hat dafür eigens ein Forschungsinstitut für Leichtflugkörper gegründet, zu denen auch Ballone zählen, die im sogenannten "nahen Weltraum" fliegen sollen. Das berichtete der Sender CNN. 

Autorenbild | Alexander Görlach
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Der us-amerikanische Sender hat darüber hinaus die größte wissenschaftliche Datenbank Chinas ausgewertet: Dort sollen seit 2014 rund 1000 Artikel und Research-Ergebnisse publiziert worden sein, die sich mit eben diesen Leichtflugkörpern beschäftigen, die im "nahen Weltraum" zum Einsatz kommen sollen. Zudem habe die chinesische Armee, auch öffentlich, zu Protokoll gegeben, dass dieser Zone künftig eine entscheidende Rolle in der militärischen Strategie und potenziell auch in der Kriegsführung der Volksrepublik zukommen werde. Ballons wie jene, die Peking über die USA und über Kolumbien geschickt hatte, seien - chinesischen Militärs zufolge - schwer mit dem Radar zu entdecken. Sie könnten sich daher lange unentdeckt über einem Ziel aufhalten. 

Die USA haben ihre Erkenntnisse zu Pekings Programm mit der eigenen Öffentlichkeit und mit ihren Alliierten geteilt. Diese Transparenz ermöglicht es den Partnern, ihre Erkenntnisse mit denen Washingtons abzugleichen. Dass Xi Jinping mit jedem Mittel versucht, seinem Ziel der Weltherrschaft nahe zu kommen, dürfte niemanden überraschen. Ballons sind hierbei ein probates Mittel, denn sie sind, wie es im Jargon von Militärexperten heißt, der Spionagesatellit der Armen. In der Tat können Ballons ähnliche Informationen sammeln wie Satelliten, kosten aber einen Bruchteil. Der materielle Verlust, den Peking durch Abschuss seines Spionage-Ballons vor der Küste der Vereinigten Staaten erlitten hat, dürfte daher überschaubar sein. 

Überproportionale und irrationale Reaktionen

Für die USA gilt es nun, kühlen Kopf zu bewahren. Das ist leichter gesagt als getan, denn wann immer sich das Land auf seinem eigenen Territorium bedroht sah, fiel die Reaktion überproportional und irrational aus: Der Kampf gegen vermeintliche Kommunisten in der McCarthy-Ära sowie der "Krieg gegen den Terror" nach dem 11. September 2001 sind Belege dafür.

Dass der Spionage-Ballon sowohl unter Republikanern als auch Demokraten den Streit anfacht, wer von beiden schärfere Politik gegenüber China betreibt, hilft nicht weiter. Chinas Spionage-Treiben ist ungeheuerlich, aber nicht überraschend. Es kommt jetzt darauf an, dass Washington besonnen, überlegt und gemeinsam mit seinen Verbündeten Maßnahmen verfolgt, die dem Diktator Xi seine Grenzen aufzeigen.

 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.