1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Haarscharf: Von der Leyen wird EU-Chefin

16. Juli 2019

Es war mühsam, am Ende reichte es. Ursula von der Leyen wird die erste Deutsche auf dem Chefsessel der EU-Kommission. Um das Amt zu bekommen, machte sie dem EU-Parlament viele Versprechen. Bernd Riegert aus Straßburg.

https://p.dw.com/p/3MAjx
Frankreich Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin | Ursula von der Leyen
Bild: Reuters/V. Kessler

Geschafft! Knapp, aber geschafft!, mag Ursula von der Leyen gedacht haben, als der Parlamentspräsident das Ergebnis der Abstimmung verkündete. 383 Stimmen sind nur neun mehr als die erforderliche Mehrheit von 374. Die Erleichterung war der neuen EU-Kommissionspräsidentin im Plenarsaal anzusehen. Sie bedankte sich kurz: "Das Vertrauen, das Sie in mich setzen, ist die Zuversicht in ein starkes und vereintes Europa von Ost nach West, von Süd nach Nord. Ein Europa, das bereit ist, für die Zukunft zu kämpfen nicht gegeneinander", sagte die frisch gebackene Chefin der 32.000 Beamte zählenden EU-Zentrale.

Das Ergebnis fiel knapper aus, als viele Spin-Doktoren und Beobachter prognostiziert hatten. Eigentlich war man davon ausgegangen, dass die deutsche Verteidigungsministerin, die an diesem Mittwoch ihr Amt aufgeben wird, eine größere Mehrheit zusammenbekommt. Schließlich hatten nach ihrer emotionalen und allgemein als gut bewerteten Bewerbungsrede am Dienstagmorgen die Führung der Sozialisten, die Liberalen und auch einige Grüne erklärt, dass sie Ursula von der Leyen nun doch ihre Stimme geben könnten. Die Christdemokraten, also ihre eigene Fraktion, hatten sich schon vergangene Woche darauf festgelegt. Welcher Abgeordneter wie abgestimmt hat, wird man nie wirklich erfahren. Die Wahl war geheim.

"Geborene Europäerin"

"Es lebe Europa, vive l'Europe, long live Europe!" hatte Ursula von der Leyen im Parlament in drei Sprachen zum Schluss ihrer Rede ausgerufen. Sie hatte sich als überzeugte Europäerin dargestellt, die mit Leidenschaft für eine starke EU streiten will. "Ich bin als Europäerin geboren. Erst später lernte ich, dass ich auch Deutsche und Niedersächsin bin", hatte sie unter Anspielung auf ihren Geburtsort Brüssel gesagt. Ihr Vater Ernst Albrecht, später Ministerpräsident von Niedersachen, war dort vor 60 Jahren EU-Beamter. Von der Leyen ging auf internationale Schulen, lernte Sprachen. Sie selbst wusste erst seit zwei Wochen, dass sie zur EU-Kommissionspräsidentin gemacht werden soll.

"Ich wollte immer zurück nach Europa, es hat ein paar Umwege gebraucht. Im Kabinett von Angela Merkel habe ich als Ministerin viel gelernt." Sie musste sich in viele Themen einarbeiten und die unterschiedlichsten Erwartungen der Fraktionen von links bis rechts im Parlament bedienen. Vieles von dem, was sie zu Europa von sich gebe, klinge den Abgeordneten noch zu formelhaft und zu vage, kritisierte der grüne Fraktionsvorsitzende Phillip Lamberts. Dennoch hat sie es geschafft, eine Mehrheit, wenn auch knapp, zu überzeugen.

Frankreich Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin | David-Maria Sassoli und Ursula von der Leyen
Geschafft: Parlamentspräsident Sassoli überreicht von der Leyen das GratulationsschreibenBild: Reuters/V. Kessler

Frauen und Männer im Gleichgewicht

Ursula von der Leyen hatte auch versucht, möglichst viele der weiblichen Abgeordneten auf ihre Seite zu ziehen. Vor genau 40 Jahren wählte das erste Europäische Parlament die Französin Simone Veil zur Parlamentspräsidentin. Jetzt ist Ursula von der Leyen die erste Frau in einem anderen EU-Spitzenamt. "40 Jahre danach kann ich mit großer Freude sagen: Endlich ein Frau als Kandidatin für das Präsidentenamt der Kommission", sagte sie am Morgen unter großem Applaus. In ihrer Pressekonferenz nach der Wahl versprach von der Leyen erneut, ihre künftige EU-Kommission paritätisch mit 14 Frauen und 14 Männern zu besetzen. Das wird noch ein hartes Ringen mit den EU-Mitgliedsstaaten, die die Kommissare oder Kommissarinnen vorschlagen. Ihr neues Amt wird von der Leyen am 1. November antreten.

"Wir hatten einen schwierigen Start", hatte Ursula von der Leyen schon letzte Woche gesagt; da hatten die EU-Staats- und Regierungschefs sie nominiert, obwohl sie nicht als Spitzenkandidatin im Europawahlkampf gestanden hatte. "Das Parlament muss mich jetzt kennenlernen. Ich hatte nur 13 Tage Zeit, um in die Themen hineinzuspringen. Vor einigen Tagen war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt eine Mehrheit haben würde." Wie ihre neue Kommission aussehen soll und wie die Ressorts zugeschnitten werden, konnte von der Leyen noch nicht sagen. Sie werde aber für ein Gleichgewicht zwischen West und Ost, Nord und Süd, arm und reich sorgen.

EU-Parlament: Ursula von der Leyen - Wahl zur Kommissionspräsidentin
Schaulaufen vor der Abstimmung: Von der Leyen verspricht neuen Schwung für die EUBild: Imago/Z. Cheng

Versprechen in viele Richtungen

Am Morgen hatte die Kandidatin mit einer leidenschaftlich vorgetragenen Bewerbungsrede versucht, zögernde Abgeordnete vor allen bei Sozialdemokraten und Grünen zu überzeugen. Ursula von der Leyen vollzog im Gegensatz zu ihren Anhörungen in der vergangenen Woche einen leichten Linksschwenk und grenzte sich sehr klar von den Rechtspopulisten und EU-Skeptikern ab. Sie versprach, Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit, die derzeit in Polen und Ungarn untersucht werden, künftig mit einem neuen Mechanismus zu beurteilen und zu verfolgen.

"Die Herrschaft des Rechts ist der beste Weg, unsere Freiheiten zu verteidigen und die Schwachen in der Union zu schützen", sagte von der Leyen in Richtung der nationalkonservativen Fraktion, in der die polnische Regierungspartei PiS den Ton angibt. "Es kann keine Kompromisse geben, wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht, niemals." Die Reaktion der Rechtspopulisten kam prompt. Der deutsche AfD-Politiker Jörg Meuthen kündigte an, seine Gruppe werde nicht für die Kandidatin stimmen. Ursula von der Leyen schnappte zurück, sie sei erleichtert, dass sie die Stimmen der Rechtspopulisten nicht bekomme. Die wolle sie gar nicht haben, da diese für das Gegenteil dessen stünden, wofür sie sich einsetze.

Ein grüner Deal

Den Grünen versprach Ursula von der Leyen, sie werde sich in den ersten 100 Tagen im Amt für einen "grünen Deal" zum Klimaschutz einsetzen und eine Billion Euro für klimafreundliche Investitionen mobilisieren. Die EU müsse mehr gegen die Erderwärmung tun. "Ich will Europa zum ersten klima-neutralen Kontinent in der Welt machen, und zwar bis 2050." Für einschneidende Maßnahmen braucht die neue EU-Kommissionspräsidentin allerdings nicht nur die Unterstützung des Parlaments, sondern vor allem die 28 Mitgliedsstaaten und ihre nationalen Regierungen.

Den Sozialisten, die sie in den vergangenen Tagen heftig kritisiert hatten, wollte von der Leyen mit weiteren Versprechen den Wind aus den Segeln nehmen. Sie kündigte an, die Seenotrettung auf dem Mittelmeer für Flüchtlinge neu zu organisieren, nachdem Italien seine Häfen geschlossen hat. Es gehe um eine faire Lastenteilung, sagte von der Leyen. "Ich werde einen neuen Pakt für Migration und Asyl vorschlagen, der auch eine Reform der Dublin-Regeln enthält. Nur so können wir den Schengen-Raum ohne Binnengrenzen funktionsfähig halten. Er ist der Schlüssel für Wohlstand, Sicherheit und Freiheit."

Nach dem Brexit, der nach heutigem Stand auf den ersten Arbeitstag von Ursula von der Leyen am 1. November fällt, wird die Arbeit für die neue Kommissionspräsidentin nicht einfacher. Einige der britischen Abgeordneten haben heute wohl für die deutsche Kandidatin gestimmt. Dieser Zuspruch fällt dann weg. Die Mehrheiten für ihre Politik zu organisieren dürfte im zersplitterten Europaparlament nicht leichter werden.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union