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Hajo Funke: "Jede Demokratie braucht ihre soziale Balance"

Felix Schlagwein
10. November 2016

Im DW-Interview spricht der Politikwissenschaftler über mögliche Gründe für den Wahlsieg des Rechtspopulisten Donald Trump. Das einzig wirksame Mittel gegen Populismus sei eine soziale Kehrtwende – auch in Europa.

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Bild: picture alliance/dpa

DW: Am 20. Januar 2017 wird Donald Trump als Präsident der USA vereidigt. Wie konnte er eine so große Anhängerschaft hinter sich bringen?

Hajo Funke: Es war ein doppelter Protest. Einerseits Protest gegen das sogenannte System, also die undurchsichtigen Großparteien, die vor Ort nur sehr schwach konkrete Politik machen. Diese Anti-Establishment-Haltung ist sehr verbreitet in Amerika. Hinzu kommt, dass tatsächlich viele von der Globalisierung und von der Deindustrialisierung überrollt wurden, nicht zuletzt Weiße, die sich dann von Trump aggressiv radikalisieren ließen und Sündenböcke für diese Entwicklung verantwortlich machten: Ihr Frust richtet sich gegen das System, die Schwarzen, die Mexikaner, die Muslime – all jene, die vermeintlich das Wohlergehen Amerikas gefährden oder gar zerstören.

Hat es etwas mit der amerikanischen Kultur zu tun? Sind die Vereinigten Staaten anfälliger für Populisten als andere Länder?

Sie sind anfällig, wie wir sehen. Das ist auch gefördert durch das politische System, das die Präsidentschaft sehr wichtig macht und in dem in der Regel nur zwei realistische Kandidaten gegeneinander antreten. Das erleichtert es Populisten. Es wäre auch denkbar gewesen, dass ein Bernie Sanders mit ganz anderen und konkreteren Überlegungen, die auch gewissermaßen populistisch sind, sagt, das politische System und das Washingtoner Politikverhalten reicht nicht, wir müssen an die Menschen ran und den ökonomischen und sozialen Kurs ändern. Das verspricht Trump zwar auch, aber bisher ohne Substanz.

Washington US Wahlen Flagge USA (Foto: picture-alliance/dpa/M. Reynolds)
Funke: "Viele wurden von der Globalisierung und von der Deindustrialisierung überrollt"Bild: picture-alliance/dpa/M. Reynolds

Ich würde nicht sagen, dass die Amerikaner oder die amerikanische Kultur oder das amerikanische politische System für einen solchen Rechtspopulismus geeignet sind. Es hängt vielmehr mit dem Zerfall der republikanischen Partei zusammen. Sie hat sich gewissermaßen von Idealen der Tea-Party-Bewegung gefangen nehmen lassen und nun hat Trump sie regelrecht gekapert. Als Präsident sollte er allerdings auf die Republikaner zugehen. Das wäre klug und rational. Alles andere wäre politisch-kulturell ein Desaster. Aber in welchem Maße Trump rational ist, ist bisher nicht ausmachbar.

Sie haben selbst lange Zeit in den USA gelebt und das politische System der Vereinigten Staaten untersucht. Woher, glauben Sie, kommt die extreme Abneigung der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung gegen das politische Establishment?

Auch Ronald Reagan hat seinen Wahlkampf erfolgreich gegen Washington geführt. Die USA sind fast ein ganzer Erdteil, jedenfalls ein halber Kontinent. Es ist ein riesiges Land und es hat andere Bedingungen der demokratischen Willensbildung. Washington ist für viele sehr weit weg.

US-Präsidentschaftswahl 2016 - Sieg & Rede Donald Trump (Foto: Reuters/C. Allegri)
Am 20.01.2017 wird Donald Trump vereidigtBild: Reuters/C. Allegri

Das viel größere Problem ist aber, dass man in den USA das Feintuning in der sozialen Politik versäumt hat. Wo es versucht wurde, durch Hillary Clinton und Barack Obama beispielsweise, stieß man auf immense Widerstände. Diese soziale Dimension, die natürlich die Menschen angeht, ist nicht wirklich Teil der politischen Kultur in den USA und da wo es angesprochen wird, muss man immens viel tun, um erfolgreich zu sein. Die soziale Situation wird den Staaten oder den Kommunen überlassen oder wird vergessen. Es gibt in den USA nicht einmal annähernd ein vergleichbares soziales Sicherungssystem wie in Westeuropa. Das ist ein Problem, denn jede Demokratie braucht ihre soziale Balance.

Nicht nur in den USA feiern Rechtspopulisten Erfolge. Sehen Sie Parallelen zwischen dem "Phänomen Trump" und dem rasanten Aufstieg der AfD in Deutschland?

Natürlich gibt es Ähnlichkeiten, aber diese sind auf die Formierung der Rhetorik begrenzt. Die politischen Systeme, die politischen Kulturen sind sehr unterschiedlich. Der AfD ist ein Nachahmen von Trump nicht zu raten, denn dann würden sie verlieren. Die Ängste gegenüber dem was Trump außenpolitisch vorhat, sind so groß, dass es wohl eher zu einer Distanz zwischen der Partei und ihren Wählern kommen würde. Mit voraussichtlich rund 10 Prozent, die die AfD laut Umfragen bundesweit erreicht, ist sie nur eine Partei unter vielen. Das Parteiensystem in Deutschland ist anders und auch angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtlage weit etablierter und gesicherter – trotz AfD.

Nächstes Jahr wird in Deutschland und Frankreich gewählt. Wie lassen sich ihrer Meinung nach die Menschen erreichen, die bereits rechtspopulistisch wählen oder es im nächsten Jahr in Erwägung ziehen?

Brexit Reaktionen Archivbild Marine Le Pen (Foto: Reuters/H.-P. Bader)
Wird Le Pen die nächste französische Präsidentin?Bild: Reuters/H.-P. Bader

Man braucht eine soziale Kehrtwende, sonst kommt sie über aggressive Rechtspopulisten. Das gilt insbesondere in Europa. Wir haben die großen Zustimmungsraten für Le Pen, wir haben die Erfahrung des Brexit – wann, wenn nicht jetzt eine soziale Kehrtwende? Europa braucht eine soziale Sozialdemokratie. Es braucht eine Wende, die sich glaubwürdig abzeichnet. Das haben wir bisher nicht. Alle sagen, sie hätten ein Medikament gegen die AfD, aber es ist keins. Denn neben der klaren Absage an Gewalt und Ressentiments braucht es eine soziale Sensibilität. Es braucht ein "Wir kümmern uns", ein "Wir lassen euch nicht hängen". Man kümmert sich nicht ausreichend um die Menschen und ihre Bedürfnisse. Wenn die politische Klasse darauf nicht eingeht, muss sie sich nicht wundern, wenn sie die Quittung dafür bekommt. Dann werden sie zum Objekt ihrer eigenen Desensibilisierung.

Das Gespräch führte Felix Schlagwein