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Rassismus im Tierschutz-Gewand

Nina Niebergall1. April 2016

In den sozialen Netzwerken protestieren Nutzer mit provozierenden Videos gegen Halal-Fleisch in Supermärkten. Sie nennen es zivilen Ungehorsam, Kritiker sprechen von Scheinheiligkeit und Islamophobie.

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Twitter-Screenshot: Identitäre Aktion #Halalchallenge (Foto: Twitter)
Auch der Twitteraccount "IAktion" wirbt für die Hallalchallenge. Bisher waren seine Betreiber nicht als Tierschützer aktivBild: twitter/IAktion

"Die bundesweit angelegte #Halalchallenge ist eröffnet", heißt es auf der für die Aktion eingerichteten Facebookseite. Die sogenannte Challenge, also Herausforderung, folgt der Logik der Ice Bucket Challenge, einem Internettrend, der im Sommer 2014 tausende Menschen dazu bewog, sich einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf zu schütten. Damals war es für einen guten Zweck: Die Initiative wollte auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose aufmerksam machen.

Aufmerksamkeit generieren will auch die Halalchallenge - allerdings nicht für eine unheilbare Krankheit, sondern angeblich für Tiere, die nach islamischen Vorschriften geschlachtet werden. Wie der Protest aussehen soll, wird auf der Facebook-Seite erklärt: "Lege Schwein in die #Halaltheke und filme es. Dann poste das Video in Deiner Facebook Chronik, bei Instagram oder bei YouTube oder sonst wo und nominiere den nächsten Freund!"

Regeln für den Fleischverzehr

Schweinefleisch ist für Gläubige im Islam tabu. Und generell gilt Fleisch erst dann als "halal", also zum Verzehr freigegeben, wenn es nach bestimmten Regeln geschlachtet wird. Die Tiere müssen während der Schlachtung ausbluten, oft ohne Betäubung. In Deutschland ist die sogenannte Schächtung grundsätzlich verboten - jedes Tier muss betäubt werden, bevor es geschlachtet wird. Es gibt im Rahmen der Religionsfreiheit allerdings Ausnahmeregelungen für Juden und Muslime.

Doch vieles deutet darauf hin, dass es hier nicht um Tierschutz geht, sondern um die gezielte Provokation von Muslimen. So sind viele Unterstützer der Aktion nicht für ihre Vergangenheit als Tierschützer bekannt, sondern vielmehr für ihre Aktivitäten in der rechten Szene. Die Facebookseite "Blog Dittmer" unterstützte die Aktion schon nach wenigen Minuten. Für die Seite schreibt unter anderem Melanie Dittmer. Sie ist die Initiatorin der anti-islamischen Bogida-Bewegung in Bonn und bekannt für ihre rassistischen und antisemitischen Äußerungen. Auch Dominik Roeseler, Pegida-Redner und Mitgründer der Gruppe "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa), warb auf seiner Facebook-Seite besonders lautstark für die Aktion.

Kampf der Kulturen im Supermarkt

Inzwischen haben die ersten Nutzer ihre Videos hochgeladen. Auf Twitter hatte es die Aktion sogar kurzeitig unter die aktuell am häufigsten getwitterten Begriffe geschafft - wobei der Hashtag auch von Usern genutzt wird, die versuchen, die Aktion als rassistisch zu entlarven. Die Facebook-Seite hat bereits knapp 4200 Fans. Auch wenn es sich dabei immer noch um eine Minderheit der deutschen Netzwelt handelt, spiegelt die Aktion doch die Wut einiger Bürger wider, die sich seit Neuestem auch auf Supermarkt-Ketten richtet, die Halal-Fleisch anbieten.

Deutsche Produkte mit Halal-Siegel (Foto:picture-alliance/dpa)
Meist nur in türkischen Supermärkten erhältlich: Produkte mit dem "Halal"-SiegelBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Diese Wut entlud sich in den vergangenen Monaten immer wieder in Form von Shitstorms auf den Facebook-Seiten von Rewe, Edeka und Co. Die Konzerne reagierten allesamt defensiv. Edeka antwortete beispielsweise auf einige Nutzerkommentare, dass nur "einzelne wenige Kaufleute" Fleischprodukte führten, die nach den religiösen Vorschriften des Islam produziert werden. Außerdem stamme keines der Produkte aus unbetäubten Schlachtungen.

Shitstorms und rechte Hetze

In Österreich kapitulierten die Spar-Supermärkte gänzlich vor ihren virtuellen Kritikern. Nachdem eine Wiener Filiale probeweise Halal-Fleisch ins Sortiment aufgenommen hatte, warfen Nutzer dem Konzern vor, Tierquälerei zu unterstützen. Oft schwang in den Kommentaren islamfeindliches Gedankengut mit. Daraufhin zog die Supermarktkette Konsequenzen: "Spar beendet aufgrund der (unbegründeten!) Vorwürfe und der überhitzten Facebook-Diskussion den Wiener Verkaufstest von Halal-Fleisch", schrieb der Konzern auf seiner Facebook-Seite. Man habe sich immer an österreichische Richtlinien gehalten, welche die Betäubung der Tiere vorsah, hieß es weiter. Daraufhin hagelte es Kritik von der Gegenseite, die Spar vorwarf, dem Druck von Fremdenfeinden nachgegeben zu haben.

Denn während inzwischen kaum ein Supermarkt ohne ein umfangreiches Angebot veganer, laktose- und glutenfreier Produkte auskommt, gibt es in den wenigsten Filialen Produkte, die halal zubereitet wurden. Dabei würde sich das Geschäft mit der religiös erlaubten Kost wirtschaftlich wahrscheinlich lohnen: In Deutschland leben über vier Millionen Muslime, die bis zu fünf Milliarden Euro jährlich für Nahrungsmittel ausgeben.

Das Gute, Erlaubte

Die Bezeichnung halal umfasst darüber hinaus mehr als die Regeln für das Schlachten der Tiere. Hamza Wördemann vom Zentralrat der Muslime erklärte zuletzt der Süddeutschen Zeitung: "Wer sich halal ernährt, sollte eigentlich ohnehin nur einmal die Woche Fleisch essen, und der sollte auch genau darüber Bescheid wissen, unter welchen Bedingungen sein Essen hergestellt wurde." Denn in einer ethisch-religiösen Auslegung hat halal eine deutlich umfangreichere Bedeutung als die allgemein bekannte. Als Gegenbegriff zu "haram" (verboten) bezeichnet halal das Gute, das Erlaubte. Und gut bedeutet auch: keine Massentierhaltung, faire Löhne, gesunde Tiere, Respekt vor der Schöpfung.

Liest man die Kommentare, die unter dem Hashtag Halalchallenge gepostet werden, kommen bei vielen Zweifel auf, ob diese Ideale auch für die Initiatoren des neuen Twittertrends von Bedeutung sind.