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Politik

Hanau: Zeichen setzen gegen Rassismus

4. März 2020

In Hanau erinnert ein Trauerakt an die Opfer des rassistischen Anschlags. Noch immer verarbeitet die Stadt die Tat. Initiativen wie die "Internationalen Wochen gegen Rassismus" wollen Fremdenhass bekämpfen.

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Deutschland  Internationale Wochen gegen Rassismus in Hanau | Flyer
In der Innenstadt in Hanau haben Aktivisten Flyer ausgelegtBild: DW/L. Hänel

Keine zwei Wochen ist es her, dass ein psychisch kranker Mann mordend durch Hanau zog und aus rassistischen Motiven neun Menschen tötete. Dieser Anschlag ist allgegenwärtig in der kleinen Stadt in Hessen – auch, als sich John Kannamkulam in der Innenstadt Hanaus mit Gleichgesinnten trifft, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Kannamkulam ist in Hanau geboren, Sohn indischer Einwanderer.

Seit Jahren engagiert er sich und hat die "Internationalen Wochen gegen Rassismus" mit ins Leben gerufen, die deutschlandweit seit 25 Jahren und in Hanau seit acht Jahren stattfinden. "Das Entscheidende ist, dass wir an diesem Tag Präsenz zeigen", sagt Kannamkulam, "und dass wir ein starkes Zeichen setzen und solidarisch gemeinsam gegen Rassismus einstehen."

In diesem Jahr stehen die Internationalen Wochen, die am 9. März beginnen, mit Lesungen, Filmvorführungen und Workshops unweigerlich im Zeichen des rassistischen Anschlags. Für Kannamkulam habe der Anschlag allen gegolten, nicht nur jenen mit Migrationshintergrund. "Es geht um unsere Demokratie, die bedroht ist. Wer das nicht verstanden hat, der hat den Kampf schon verloren."

Deutschland  Internationale Wochen gegen Rassismus in Hanau | John Kannamkulam
John Kannamkulam will von Rassismus betroffenen Menschen eine Stimme gebenBild: DW/L. Hänel

Sieben Mitstreiter Kannamkulams sind an diesem Tag in die Innenstadt Hanaus gekommen. Vor einem Einkaufszentrum bauen sie ihren Informationsstand auf. Zwei Plakate bewerben die "Internationalen Wochen gegen Rassismus", die Flyer sind in einem auffälligen Pink gedruckt. "100% Menschenwürde" steht darauf. Die Aktivisten schwärmen in alle Richtungen aus, um Flyer zu verteilen.

Kampf gegen Rassismus stößt auf Interesse

Wolfgang Kischel ist der Leiter des Koordinierungsrats, der die einzelnen Initiativen und Veranstaltungen der Internationalen Wochen gegen Rassismus aufeinander abstimmt. Zwischen zwei Gesprächen mit Passanten, denen er die Flyer übergibt, erzählt er, dass es in diesem Jahr zum ersten Mal konkrete Anfragen gegeben hätte.

"Schulen haben mich beispielsweise gebeten, ihnen unsere Programmbroschüre vorbei zu bringen oder zu schicken. Das gab es in den Jahren zuvor nicht, da mussten wir schauen, dass wir alle losbekommen. Jetzt haben wir von etwa 3500 Broschüren noch rund 800 übrig, der Rest ist unter den Leuten."

Dabei ist die Verteilaktion in der Hanauer Innenstadt erst der Anfang. Nun wollen sie auch mit größeren Werbeaktionen beginnen. Aus Respekt vor den Anschlagsopfern haben Kannamkulam und seine Mitstreiter damit bis zum großen Trauerakt gewartet. 

Deutschland  Internationale Wochen gegen Rassismus in Hanau | John Kannamkulam und Wolfgang Kischel
John Kannamkulam und Wolfgang Kischel verteilen in der Hanauer Innenstadt Flyer gegen RassismusBild: DW/L. Hänel

Aber schon vorher wird in der Hanauer Innenstadt schnell deutlich: das Interesse an der Bekämpfung von Rassismus ist vorhanden. Nach nicht einmal einer Stunde sind die mitgebrachten Flyer verteilt. Sogar der Oberbürgermeister der Stadt war kurz da. Er war in der Innenstadt unterwegs, um mit den Menschen über ihre Sorgen nach dem Anschlag zu sprechen.

Kannamkulam will noch ein paar Flyer im Kulturforum der Stadt vorbeibringen. In dem Haus im Zentrum Hanaus gibt es eine Bibliothek, öffentliche Lesesäle und Veranstaltungsräume. In einer der einladenden offenen Räume mit tiefen Fenstern trifft Kannamkulam auf Elke Hohmann. Sie leitet die Volkshochschule der Stadt Hanau.

Anschlag in Hanau immer präsent

Auch hier geht es schnell um den Anschlag. An zwei Freitagen im März soll es im Kulturforum einen offenen Gesprächskreis geben. Jeder kann kommen und seine Gedanken und Sorgen nach dem rassistischen Anschlag äußern. "In Hanau spricht man sehr viel über den Anschlag. Ich denke es geht um Verarbeitung und auch um Gefühle, die damit einhergehen: Sorgen, Ängste und auch Wut, die aufkommen kann", sagt Hohmann.

Das werde auch die "Internationalen Wochen gegen Rassismus" betreffen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Veranstaltung, die während der 'Internationalen Wochen gegen Rassismus' stattfindet, geben wird, die den Anschlag nicht aufgreift."

Für Kannamkulam, der seit seiner Kindheit rassistische Anfeindungen erlebt, beginnt die Bekämpfung von Rassismus mit Zuhören: "Das ist mein erstes Bedürfnis. Ich möchte, dass man mir authentisch zuhört und sich mir glaubhaft zuwendet, um diese Kränkung zu verstehen. Rassismus bedeutet Entmenschlichung, es macht mich zu einem ungleichwertigen Menschen." 

Aber da höre die Arbeit nicht auf. Daraus müsse sich eine eigene Sprache entwickeln. "Meine Eltern haben manche rassistische Erfahrung machen müssen, aber sie haben nicht darüber gesprochen und wurden als Menschen immer kleiner. Sie waren sprachlos", sagt Kannamkulam.

Deutschland  Internationale Wochen gegen Rassismus in Hanau | John Kannamkulam und Elke Hohmann
John Kannamkulam und VHS-Leiterin Elke Hohmann im Kulturforum der Stadt HanauBild: DW/L. Hänel

Er selbst habe daraus den Entschluss gefasst, für eine offenere und diversere Gesellschaft zu kämpfen. Kannamkulam kann auf Jahre in verschiedenen Gremien und Initiativen zurückblicken. Für ihn kann Rassismus nur dadurch bekämpft werden, dass Menschen auf der einen Seite sensibilisiert und auf der anderen Seite rechtsextreme Gruppen mit aller Kraft des Rechtsstaats verfolgt werden.

Seine Geburtsstadt Hanau sieht Kannamkulam wenige Tage nach dem Anschlag noch in einer Phase der Trauer. Er vergleicht die Verarbeitung des Anschlags mit den fünf Phasen der Trauer: Nicht wahrhaben wollen, Zorn, Verhandeln, Trauer, Akzeptanz. Er hoffe, dass die Stadtgesellschaft Hanau diese psychologischen Wellenbewegungen durchlaufen könne, um am Ende eine neue Sprache des Miteinanders zu finden.

"Wir dürfen aber die Zuversicht nicht verlieren", sagt er noch zum Abschluss. "Angesichts jahrhundertelanger Migrationsgeschichte in dieser Stadt, auch meiner Familie und vielen anderen Familien, werden wir das gemeinsam schaffen können."